Hlnlerhaltungsblatt des vorwärts Nr. 223. Dienstag, den 14. November. 1899 (Nachdruck verboten.) SZ Zwischen zwei Scherzen. Erzählung von L. Verni. Durch ein enges, hochgelegenes Fenster oberhalb des Kopfes der Krauken sah man in einen kleinen Hos. wo viel- farbige Lappen zum Trocknen aufgehängt waren und von wo ein undeutlicher Lärm wie von Frauenstimmen. Hühner- gegackcr und dem Aufschlagen von Wäsche aus das Wasch- brett heraufdrang: zur Rechten ließ eine offene Thür eine rauchige Wand und zwei Feuerstellen sehen. Die Lust im Zimmer war lau und nicht schlecht zu nennen. aber etwas verbraucht, mit einem widrigen Grundgcruch von gewöhnlicher Seife. Die Wände, das Bett, alles war in einem Ton zwischen grau und weiß gehalten und alles hatte etwas Müdes. Abgezehrtes. Allmählich verlor Bianca ihre heitere Unbefangenheit: sie blickte auf Elises elendes, verblichenes Kleid. auf den dürftigen Shawl und das graue Wollstück, die den Leib und die Füße der Kleinen bedeckten und ein Gefühl von Eiseskälte senkte sich auf ihre Seele, eine trostlose Nieder- geschlagenheit,>vie sie der körperliche Einfluß der kalten, feuchten Abeudluft hervorruft. Ohne sie genau zu verstehen, fühlte sie diese Misere und eine Sucht nach ein wenig Farbe, ein bißchen frischer Luft packte sie. Elise fuhr fort, sie anzusehen und erriet ihren Seelenzustand besser als Bianca selbst, und sie fühlte sich gegen ihren Willen dadurch ge- kränkt und gereizt. Warum war sie denn gekommen? Wer hatte sie denn gebeten? Was wollte sie mit ihrem leuchtenden Frohsinn in dem kalten Grau? Selbst ihr Parfüm, das das ärmliche Zimmer durchdrang, verletzte wie ein Miß- ton angesichts des schwerkranken Kindes.... Mag sie doch wieder fortgehen, was that sie hier... dachte die verbitterte Frau. Dann kam ihr ein anderer Gedanke, der sie sanfter stimmte: Anne Bianca! Ihr ist ja dieser Mangel an allem fremd: was weiß sie, wie dem zn Mute ist. dem es an Brot, an Sonne, an Luft fehlt I Sie bietet Spielzeug und Blumen an... Spielzeug und Blumen hier l... Und eine tiefe Bitterkeit preßte ihr das Herz... „Donnerwetter I Bei der verfluchten Kälte, nie ein Funken Feuer im Hause!" Bei diesen mit lauter Stimme ausgesprochenen Worten fuhr Bianca zusammen. Mutter und Tochter wurden traurig und verstummten. Einen Augenblick darauf erschien im Rahmen der Küchenthür ein junger, hochgebauter schöner Mann, init dem Schlapphut auf dem Kopf, einen Fiesko in der Hand. Er trat so Bianka gerade gegenüber, in ihrer frischen Anmut und Eleganz. In einer Sekunde verschwanden Hut und Fiesko; die nach Künstler art langgctragenen Haare wurden zurückgeworfen und ein schöner', gewandter junger Mann, mit edel geformten Zügen, trat mit weltmännischer Sicherheit auf sie zu. Er wartete eine halbe Minute, dann sagte er lächelnd, mit wohlklingender Stimme zu Elise: „Stellst Du Deinen Mann nicht vor?" Elise verharrte in Schweigen. Und er, ohne sich ans der Fassung bringen zu lassen, fuhr er mit demselben Lächeln, mit derselben melodischen Stimme fort: „Wer ist diese liebliche Vision, dieser Stern, der unsere Finsternis erleuchtet?" „Es ist die Gräfin von Sassonuovo," sagte Elise kalt. Darauf begann er, den Arm auf das Geländer des arm- lichen Bettes stützend, liebenswürdig zu plaudern, von aller- Hand Dingen, von der Kunst, der schönen Aussicht von Fiesole , den Werken Gottes, die die der Menschen so weit hinter sich zurücklassen, und ähnlichem mehr. Er war ein hochgewachsener Mann mit vornehmem Wesen, der gewandt und eindringlich sprach, mit imponierenden Gesten und beredten Handbewegungen: und bei jeder Handbewegung zitterte das Bett, das kranke Kind fuhr zusammen, die Mutter verzog schmerzlich das Gesicht. Bianca gewahrte nichts davon. Entzückt von der Er- scheinung und Unterhaltung, konnte sie das, was sie selbst gesehen und gehört hatte, nicht begreifen und schien sich ein- zureden, es sei nicht wahr. Elise wurde immer ernster. Sie verstand nicht, wie eine schöne Gestalt und eine wohlgewandte Phrase einen durch Thatsachen hervorgerufenen Eindruck zu verlöschen vermochten, sie begriff noch weniger, wie man sich angesichts ihres armen kranken Kindes mit etwas anderem beschäfttgen konnte. Als Bianca sich zum Gehen wandte, sagte sie mit einer an UnHöflichkeit grenzenden Kiihlheit:„Da Oskar da ist. könntest Du vielleicht durch die Küche gehen? So bekommt Mary nicht so viel Zug.. Sie nahm den zerschmetternden Blick ihres Mannes mit völligem Gleich- mut hin: „WasI Solche Dame läßt Du durch die Küche heraus- gehen?" wollte Oskar sagen... In dem hübschen Coiipo, in dem frohen, färben- reichen Treiben der Via dei Panjani Tozuabuoni und am Arno entlang fühlte Bianca noch immer die graue Kälte jener Kammer. Sie gab sich nicht Rechenschaft über das ganze Maß des Elends, das sie barg.— was wußte sie von Elend?— aber ein unbestimmtes Gefühl der Müdigkeit und des Miß- behagcns war ihr geblieben. Wenn doch das liebe Gesichtchen der Kleinen weniger durchsichtig wärc l Warum sie nur so aussehen mag? Auch Elise war sehr blaß.... Was für ein reizender Hut I— sie fuhr eben bei Madame Fcrrand vorbei.... Seltsam, die großen, leuchtenden Augen l Es wird wohl ein bißchen Blutarmut dabei sein, wie so oft; man nuißte... In dem Augenblick fuhren einige elegante Wagen vor- bei, man grüßt sich, mustert flüchtig die Toiletten, dann kehrt Biancas Denken in das graue Zimmerchen zurück. Sie knüpfte da an, wo sie unterbrochen worden war: Was ihr gut thun würde? Man müßte ihr boafte» geben l Und diese Lösung schien sie vollkommen zu befriedigen— ich werde an- ordnen, daß man ihr täglich eine Flasche voll schickt... Hoffentlich wird Elise es nicht übel nehmen... ich werde einfach sagen, unser Koch mache ihn so besonders gut... Anne Elise! Ist aber doch ein hübscher Mensch und sympathisch, der Mann I Mit welch' fürstlicher Miene er mich in den Wagen gesetzt hat l Vielleicht ist er ein wenig heftig, und sie mag nicht biegsam genug sein, weiß ihn nicht zu nehmen... Hier hielt der Wagen vor der gutgchaltencn, vornehmen Villa von Tante Ida und die Betrachtungen brachen jäh ab. Nur noch ein kurzes Postscriptum in Gedanken, während sie schon den glänzenden Klingelknopf in der Hand hielt; ob wohl Tante Ida bei all' ihrer Wohlthätigkeit, bei den allwöchent- lichen Almosen an der Thürpforte, derartige Wohnungen aus eigener Anschauung kannte, ob sie ihr die Bedeutung dieser Trostlosigkeit erklären könnte? Leben vielleicht alle, die nicht reich waren, mehr oder weniger in dieser Weise? IV. „Te, te. te TT' und wenn sie keine Mattatzen haben und wenn das Stroh durch die Laken kommt, was willst Du dabei machen? Es geht vielen Menschen so." „Aber bester Alberto.. „Aber beste Bianca.. fuhr er fort, indem er scherz- Haft ihren Tonfall nachahmte.„daS ist einmal so. Laß uns keine Trübsal blasen." Und teils durch seine Scherze, teils durch den unverhohlenen Ausdruck von Langeweile brachte er seine Frau dahin, diese öden Gespräche fallen zu lassen und sich um ihn zu bekümmern. Er war doch auch zu bedauern I Der Acrmste! Verdammt, an einen, Festessen teil zu nehmen, noch dazu an einein politischen, das seines Freunde einem gemeinsamen Freunde, dem Doktor Capitani gaben. Den Abend müsse er dann bei der Fürstin Neschkickoff verbringen— sehr elegant, sehr chic.„Da solltest Du eigentlich auch hinkommen.. Das war cS, worauf er schließlich hinauskam. Bianca blieb unentschieden. Es war keine Frage von geringer Bedeutung, es handelte sich um nichts weniger, als sich zu entschließen, ob sie ein schon zweimal getragenes Kleid noch einmal anziehen oder ein neues wählen, das am nächsten Donnerstag beim Ball des Bürgermeisters eingeweiht werden sollte. Schließlich beschloß sie heroisch, für diesmal zu Hause zu bleiben.
Ausgabe
16 (14.11.1899) 223
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