Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 224. dose
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Mittwoch, den 15. November.
1899
( Nachdruck verboten.) vor dieser hohen, vornehmen Gestalt, deren elegante Bewegungen und unbewußt herablassende Höflichkeit die vor. nehme Geburt verriet, fühlte sich der arme dicke gute Mensch, der nicht die Spur Vornehmes hatte, befangen und verlegen, und er zerbrach sich den Kopf und spielte mit seinen Franken. Wie die armen Nachbarsfrauen, die Elise so von Herzen gern beigestanden hätten, so fühlte auch er seinen Miut wanten, wenn es galt, ihr etwas anzubieten.
Plöglich rüttelte Bianca sich auf, rief nach der Jungfer und befahl ihr, den Schlafrod ihres Mannes zum Wärmen an den Ofen zu hängen. Dann kehrte sie seelenruhig zur Vergangenheit zurück, um liebe Erinnerungen zu wiegen, und sagte schließlich zu sich selbst: Es war doch ein edler Mensch, Ugo! Schade, daß er nicht aus guter Familie war.... Wenn er wenigstens reich genug gewesen wäre, um die Abstammung des Vaters vergessen zu lassen!...
" Immer noch auf!" rief Alberto freudig, als er nach ein Uhr in der Villa ankam. Ich habe Dir schrecklich viel zu erzählen. Gehr erzählen. Sehr gutes Essen; ein Stoch Nummer eins, der von Capitani. Hab' ein Auge auf ihn, falls er wegginge... Verschiedene Bekannte da, unter andern... na, rate einmal ... Ugo Adinolfi! Besonders deshalb aus der Lombardei gekommen. Und, Du kannst mir glauben, er hat auch eine passable Rede gehalten; anfangs verlegen... dann kam er ins Feuer... sogar zu sehr, denn er warf ein Glas Champagner um. Aber er redete ruhig weiter. Natürlich das übliche Thema, weder unterhaltend noch gut gewählt: die Arbeiter und ihre trostlose Lage, die üblichen großen Worte, die üblichen Hörer, der übliche Beifallssturm. Aber doch ein großer Einfaltspinsel, Dein Ugo!"
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Wieso?" fragte Bianca, ein wenig verlegt. " Erst macht er ein schiefes Gesicht, bei der Aufforderung zu Nefchtickoff zu kommen; dann macht er Redensarten, als ich ihm einen Platz im Wagen anbot..."
hinunter eilte, tröstete er sich, trübselig vor sich hinmurmelnd: Und während er mit gesenktem Kopf in Säßen die Treppe auf alle Fälle- jezt kommt es doch nicht mehr darauf an!...
Die arme Mutter, die zurückgeblieben war, den Kopf in die Hand stützend, dachte angstvoll nach. Sie musterte den Raum, langsam einen nach dem andern der wenigen Gegenstände betrachtend.„ Nein!" sagte sie leise, als faßte sie das Ergebnis der Musterung zusammen, nein, ich muß Bianca bitten. Ein Bissen von ihrem Mittagbrot reicht aus, reicht für sie", und sie blickte inbrünstig zu ihrem Kinde.j Wie sie in das liebe blasse Geficht fah, war ihr, als hinge alles daran, um diesen Bissen zu bitten, diesen Bissen zu er halten: es erschien ihr als der letzte Lichtstrahl in der Ferne, Ser, wenn sie ihn nur erreichen könnte, ihr neue Ausblicke der Hoffnung gesichert hätte. Dann verdunkelte sich ihr Gesicht bligartig durch einen nicht gerade edlen, aber doch mensch lichen Gedanken. Bianca würde alles durch den arroganten Diener herschicken. Sie würde die Hand ausstrecken, sie würde an den Hut! Aber gleich darauf bereute sie diese Regung, Dante fagen müssen, und der Mensch faßte sich nicht einmal schämte sich ihrer. Was fam daranj an? Angesichts dieses Geschöpfes, dieses lebenden Leichnams wat alles, alles gleich trat in ihrem Geiste die traurige Frage hervor, die sie sich gültig. Ein lebender Leichnam! Und gegen ihren Willen in ihrem Innersten so oft während der Besuche der Freundin gestellt hatte: wie konnte Bianca zusehen, wie ein lebendes Wesen sich vor ihren Augen verzehrte, berlosch und starb, und unab lässig diefelben Spielsachen, diefelbe ewige Bouillon schicken? Wie konnte sie immer wiederkehren mit demselben fanjten Lächeln, denselben Brillanten, denselben liebevollen Redensarten? Nie ein ehrfürchtiges verstehendes Schweigen, nie ein aus dem Herzen So schmußig ist er noch dahingegangen?" hervorbrechendes Wort. Daun pacte sie von neuem die Neue, fie „ Nein, er war am Ausgang, um mir den Schirm zurüd- schänzte sich ihres undantes. Bianca ist guten Herzens, dachte zubringen... Hat er mir also gejagt, er habe absteigen fie es liegt nur daran, daß sie manches nicht begreift müssen, weil unter den Betrunkenen ein Bekannter von ihm und das ist natürlich! Bei ihrem allfeits leichten, glatten gewesen sei, oder einer, der ihm einmal ein Bild angeschwatt Leben, wie konnte sie das verstehen? Ich muß mir ein Herz hat... ein tüchtiger Künstler, aber ein Lump. Er scheint faffen und fie bitten.
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Er ging immer aus Vorliebe zu Fuß." " Ach was! bei dem Negen. Und jetzt kommt erst das Tolle: in der Via di Parione hören wir Krawall, der Rutscher hält an und ich frage, was los sei. Betrunkene, die mit Messern auf einander gehen, sagt der Kutscher. Also vor wärts, sage ich. Inzwischen hat aber schon unser Adinolfi den Schlag aufgerissen und ist schon halb draußen. In der Sündflut haben wir ihn absetzen müssen! Nachher bei der Neschtickoff hat er mir gesagt
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Dejehannis? Ostar Dejehannis? Das ist ja Elifes
Mann 1
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auch verwundet gewefen zu sein, so ein halber Ungar, Bolade, Während sie aber mit allem Eifer diesen Erwägungen was weiß ich... Dejehannis, oder so... Nein, die Ver- nachging, brach es aus ihrem Herzen hervor wie ein heißer wundung hatte nichts auf sich..." fügte Alberto hinzu, als Strom der Empörung. Heiliger Gott! Wie konnte man das er Bianca erschrecken sah. nicht verstehen! Hätte sie selbst es nicht verstanden an Biancas Stelle, hätte nicht jeder andere Mensch es verstanden? „ Wirklich? Na, an dem hat sie was Rechtes! Also höre, hätte die Zaubermacht des Geldes nicht thun können: beUnd wenn sie verstanden hätte und helfen wollen was bei der Neschkickoff war natürlich die ganze Créme na, rühmte Aerzte, nahrhafte Speise, Aufenthalt im Freien, und auch Zucker und Salz! Welch fade Nichtigkeiten hat uns nicht Fahren in frischer Luft, in einem weichen Wagen, den man Sollini aufgetischt. Und die Zunge von Beppo di Neri kennst je nach dem Wetter schließen oder öffnen kann, ohne Erschütte Du ja nicht ungesalzen und auch nicht ungepfeffert. Aber rung. Und das arme Kind amüsant. Wir waren den ganzen Abend zusammen..." sie wollte es nicht einmal sich felbft eingestehen, so bitter machte sie der Gedanke- das
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einem
Und in diesem Stile fuhr Alberto vergnügt und gemüt- Rind würde sich erholen, würde leben. Die Mutter ertrug den lich fort, seine biffigen Kritiken, zweideutigen Anekdoten graufamen Gedanken nicht. Sie sprang auf; um ihn abund mehr als zweideutigen Abenteuer zum besten zu geben. zuschütteln, fing sie an, im Zimmer aufzuräumen, und zwang Bianca hörte lächelnd zu, alles gern hinnehmend, auch einen sich, durch Ueberlegen den Impuls zurückzuhalten, wie derben, lauten Kuß , den er gelegentlich auf ihre zarten Lippen einer, der gewaltsam ein Bentil schließt über Reffel mit allzuhohem Druck. Mechanisch sagte fie vor sich hin: ich muß mir ein Herz fassen und fie bitten, Bianca ist im Grunde ein guter Mensch, meint es gut mit uns. Es war eine Art Wiegenlied, um die imere Marter einzulullen...
drückte.
V.
,, Gute Pflege ist nötig, gute Pflege," sagte der Bezirksarzt, den Elise endlich wieder an das Bett der Kleinen gerufen hatte, und er fagte es mit jener brutalen Offenheit, mit der man nur dem Armen begegnet. Aber er war tein Elise ist gut, dachte Bianca, einige Rilometer von beiden schlechter Mensch, nur derb und ungeschliffen. Und als er entfernt, ungefähr um dieselbe Zeit; es bedurfte der ganzen den schmerzlichen Ausdruck der Mutter sah, that sie ihm Kraft des alten Freundschaftsbandes, damit sie diese schmerz leid; er hätte das gethane Unrecht gut machen wollen und lichen Besuche machte. Denn gewiß und wäre es mir um wußte nicht wie. Auch er watete nicht in Reichtümern; Marys willen muß es ihr lieb sein, wenn ich komme; aber er spielte nervös mit ein paar Franken, die nach der Art, wie sie mich empfängt, sollte man es freilich er lose in der Hosentasche hatte, und er hätte nicht meinen! Es scheint immer, als wäre sie es, die eine Gott weiß was darum gegeben, fie hier lassen zu Gunst erweist.
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können, in jenem elenden Zimmer, und fortzugehen. Aber In der That, Elise fühlte, daß Bianca ihr gegenüber einen