Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 253.

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Auswanderer.

Freitag, den 29. Dezember.

( Nachdrud verboten).

Novelle von Charles Foley. Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal.

Ats die Drei in Auteuil   angekommen waren, überschritt Pinchand den Platz, ging dann an der Barriere der Festungs­

1899

diesen seinen, blassen Lippen zu sehen, zog schnell seine von Thränen benetzte Hand zurück, hob die junge Frau behut sam auf und entschlüpfte auf den Fußspißen; indem er die Thüren mit unendlicher Vorsicht schloß, um die Ruhe des Kindes nicht zu stören.

Zehn Minuten später lag Herr Binchaud in bleiernem Schlummer.

II.

Am nächsten Morgen schnarchte Herr Binchaud noch, als werfe vorüber und betrat die schneeweiße Straße. Ein starker man dreimal heftig an seine Thür klopfte. Er richtete sich in Hauch wehte von der ungeheuren Ebene, und die junge Frau feinem Bette auf.

erbebte. Daher zog Pinchaud, als er vor seinem Hause stand, Mit zusammengefniffenen Lippen und zitternden Nasen­schnell die Schlüssel aus der Tasche, öffnete, ließ beide einflügeln, die magern Arme über der Brust gekreuzt, stand treten und schloß sofort wieder. Therese vor ihm. Sie erwartete eine Erklärung, die man ihrer Ansicht nach ihren bedeutenden Fähigkeiten als Wirt­schafterin schuldig war; doch da die Erklärung nicht kam, so rief sie sie mit ihrer Fagottstimme hervor: Weiß der Herr, daß eine Frau in dem Fremdenzimmer

"

schläft?"

Ein Efel erfaßte ihn vor den Erklärungen, vor dent Geschrei, vor der unvermeidlichen Scene. Und um sich Zeit zu lassen, sich zu fassen, bohrte er die beiden Fäuste in seine Augen und fragte wie ein Mann, der noch vom Traume be­herrscht wird:

Die Unbekannte und das Kind warteten im Dunkeln; sie fürchteten nichts Böses von dem kleinen Herrn mit dem dicken Gesicht; denn schlimmeres, als sie schon erduldet hatten, konnten sie sich nicht denken. Pinchand zündete das Gas im Eszimmer an, stellte noch zwei Teller zu dem Gedeck, öffnete die Schränke, das Büffett und setzte alles, was er finden Bei dieser plöglichen Anrede erinnerte sich Herr Pinchaud komite, auf den Tisch. Die junge Frau ging ihm entgegen, herzklopfend an das Abenteuer des gestrigen Tages, und nahm ihm die Teller ab und bemühte sich, ihm zu indem er seine ganze Unklugheit, seine ganze Tollheit er helfen, ohne doch neugierig oder unbescheiden zu sein. fannte, zürnte er sich, daß er jo gut geschlafen hatte, zu spät Er freute sich über dieses Taktgefühl. Man fegte sich erwacht war, um nachzudenken und sich unvermutet, ohne zu Tisch. Der Kleine schlaug, die Mutter fleine Bissen; plausible Entschuldigung, hatte fangen lassen. denn das alles wollte nicht michr leicht in ihren verengten und vom Fasten geschwächten Magen hinein. Sie hielt ihre Gabel in gewandter und eleganter Art, was Pinchaud ein großes Vergnügen bereitete. Er verlangte, sie solle einige Schluck reinen Bein trinken, und das belebte sie auch. Nun er zufrieden, wie der Kleine, doch er frank mehr. Dabei erzählte er immer geschwätig, ohne sich um die hochgradige Mattigkeit zu fümmern, die das müde Geficht seiner beiden Schüßlinge ausdrückte, sein Leben, seine Gewohnheiten, seine kleinen Beschäftigungen, Sie hörte ihm ernsthaft zu und rief ihre ganze Energie zu Hilfe, um nicht durch ein Wimperzucken ihr Verlangen nach Der Herr spielt den Unschuldigen, wer hat denn außer Schlaf zu verraten. Das Kind hatte den Arm auf den Tisch dem Herrn diese Frau mitbringen können?" gelegt, die Nase in seinen Mermel gesteckt und schlief, bevor Er drehte sich resigniert um, denn er erkannte, daß er Pinchaud seinen großmütigen Plau auseinandersetzte. Allein den Fragen doch nicht entgehen würde, und indem er sich zu leben, wäre traurig und dumm; sein kleines Vermögen trotz seiner verräterischen Röte bemühte, eine zerstreute Miene gestattete ihm recht wohl, ohne das Kapital anzugreifen, zu bewahren, als wenn es sich um eine unbedeutende That­jemanden bei sich zu haben und glücklich zu machen. sache handelte, stotterte er:

Eine Frau? Im Fremdenzimmer?"

Damit legte er sich wieder in die Kissen zurück, drehte das Gesicht zur Wand und that, als schliefe er wieder ein. Diesmal stieß Therese ein beleidigendes und böses Lachen aus.

"

Ach, ja, ich weiß

cine Frau. mun ja, Therese, es ist eine Frau da, was weiter?... Was hat sie Ihnen gethan, diese Frau?"

Angesichts der Verwirrung und der schüchternen Ausreden ihres Herrn befam. Therese Mut; ihre Augen wurden hell und in ihrem Mißtrauen scharfsichtig, fuhr sie mit biffiger Stimme fort:

Seine Tochter, Madame Harpiot, die eine hübsche Mit­gift erhalten und reich verheiratet war, hatte kein Kind und dachte an ihren Vater nur, wenn sie nichts Besseres zu thun hatte. Nach dieser Seite hin brauchte er also nicht die ge­ringsten Gewissensbisse zu empfinden. Was seine Wirt schafterin Therese anbetras, so war er ihres Knurrens und ihrer Nachlässigkeit müde. Schon am nächsten Tage wollte er ihr fündigen. Und wer wollte es ihm verdenken, daß er im Alter Ich hätte den Herrn lieber fragen sollen, was sie ihm von über sechzig Jahren eine Haushälterin nahm, da er doch stets, gethan hat, daß sie dort im Zimmer seiner Tochter schläft?" felbst als junger Mensch, ordentlich und ernsthaft gewesen Vor diesem Schlage erschraf der arme Mann, wandte sich. ivar? Alles fügte sich also zum Besten; sie sollte ihm das in seinem Bette hin und her, drehte nervös an den Decken Hauswesen leiten, die Wirtschaft führen, und der Kleine sollte und stöhnte dann mit leiser, fläglicher Stimme, als wenn er zur Schule gehen und bei ihnen leben; das wäre bequemer sie rühren wollte: und heiterer für Pinchaud, besser für sie und auch nicht tenrer. Iud er schivaßte immer unaufhörlich weiter, über rascht und entzückt über die ganz außergewöhnliche Leichtig­keit, mit der er all diese vielen Worte sand.

Oh, Therese, wie können Sie glauben?... Ein Mann in meinem Alter? Denken Sie doch nur! Und dann eine Frau mit ihrem kleinen Jungen! Bedenken Sie doch.... Bevor man über eine Sache spricht, muß man sich darüber klar werden, vollständig klar werden

Der strenge Ton, den er den letzten Worten beizulegen suchte, wurde unter dem harten und falten Blick der alten Frau herzlich schwach, und mit boshaftem Zischen erklärte sie

Endlich sah er die Frau an und bemerkte, daß sie unter ihren magern, dünnen Fingern ein tiefes Gähnen verbarg. Er erhob sich, nahm einen Leuchter, und indem er ihr den Kleinen tragen half. führte er sie nach dem Fremdenzimmer, wo seine Tochter bei ihren seltenen und fürzen Besuchen ihr Ultimatum: schlief. Er überzeugte sich, daß sie Streichhölzer, Wasser, ,, Der Rest ist Sache des Herrn; ich frage ihn nur, weil Handtücher und genügende Decken hatten, und zog sich zurück. mich das angeht. Wird der Herr diese Frau bei sich be­Er schloß die Thür und wollte sich eben seinem Zimmer wieder halten?" zuwenden, als er fühlte, wie die Frau seine Hand ergriff. Mit der plöglichen Furcht vor chivas Unvorhergesehenem, das seinen Roman stören konnte, wandte er sich um; doch in demselben Augenblick fiel die Fremde vor ihm auf die Knie, führte seine Hand, die sie noch immer festhielt, an die Lippen und be­deckte sie mit Küssen. Dieser Kniefall war so dankbar und demütig, daß er sich sogleich beruhigt und erleichtert fühlte. Dann schämte er sich trotzdem, seine dicken Finger unter

Pinchaud- drehte sich von neuem hin und her, dann bekam er einen langen Hustenanfall, und indem er ein sicheres Auskunftsmittel suchte, ohne es zu finden, wollte er die Sache scherzhaft darstellen und sagte:

Sie sind aber wirklich neugierig, Therese, wirklich sehr neugierig." Dabei drohte er ihr scherzhaft mit dem Zeige­finger. Sie fragen mich da mehr, als ich selbst weiß; diese Dame ist eine Freundin.

"