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Dann aber erkannte er an dem Zusammenzucken der wissen, wie sie sich eifrig, besorgt und so gefügig, um ihn be Alten die Ungeschicklichkeit des Wortes und verbesserte sich mühte. Ueber die bösen Klatschereien Therefes zuckte er die schnell: Achseln. Nie hatte er sich so friedlich und väterlich gefühlt.
Eine Verwandte eine Verwandte aus der Provinz!" Er empfand eine Art stolzer Freude, die er seiner Tochter Dann ist das jedenfalls eine Provinz, wo man deutsch , gegenüber nie empfunden hatte. Diese nahm alles, was englisch oder ich weiß nicht was redet," zischte Therese, diesen man ihr bot, als eine Verpflichtung auf; das benahm ihm leeren Ausflüchten gegenüber verächtlich mit den Achseln das Vergnügen. Dagegen drückten ihm diese beiden zuckend. Dann rief sie zornbebend, durch das wachsende Wefen, ohne doch etwas zu sagen, in ihrer naiven Ueber Zögern ihres Herrn fühner gemacht, fed heraus: raschung, daß sie zu essen, und zu trinken bekamen und vor der Kälte geschützt waren, jeden Augenblick in ihren unbewußten Bewegungen eine unendliche Dankbarkeit aus. Dann konnte er hier schwagen nach Herzenslust, während sein Schwiegersohn und seine Tochter ihm jeden Augenblick das Bort abschnitten und ihn schweigen hießen. Dagegen hörte ihm diese Frau mit all' ihren Augen, mit all ihren Ohren, ja sozusagen mit ihrem ganzen Wesen zu.
Was sie ist, das sieht man gleich. Aber ich wiederhole es dem Herrn: Ich will nur wissen, ob er die Absicht hat, „ das" bei sich zu behalten, denn wenn das" bleibt, so gehe ich! Das fage ich gerade heraus."
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Herr Pinchaud, der bis dahin immer röter gelvorden war, wurde blaß. Indessen behielt er doch von seinem rosigen Schlummer, feinen großmütigen Aufwallungen vom vorigen Abend noch eine unbestimmte. Rührung, den Wunsch nach Güte im Herzen. Dann stieg ihm nach und nach ein fleiner, berauschender Rest der Champagnerfelche in die Nafenlöcher, figelte ihm die Nase, und während er seinen Zorn bezwang, lehnte er sich in die Kissen zurück, trug eine große Gleichgültigkeit zur Schau, betrachtete die Rosette an der Decke und trällerte fast:
Wenn Ihnen das nicht mehr paßt, Frau Therese, Sie brauchen sich nicht zu genieren, Frau Therese; dann ziehen Sie sich nur zurück nach englischer oder deutscher Manier, ganz wie Sie wollen."
Die angenehme Ueberraschung, einen Wizz gemacht zu haben, täuschte ihn einen Augenblick über den Ernst der Situation. Die Wirtschafterin machte eine Bewegung, als wolle sie sich auf ihn stürzen, dann wich sie wie eine Miß handelte zurück. Sie warf die Thür des Schlafzimmers, des Wohnzimmers und des Entrees zu, daß ein Tauber davon aufgefahren wäre; dann huschte ihr magerer Schatten, starr vor Entrüstung, wütend an dem Parterrefenster vorüber.. ,, So, das wäre gefchehen," sagte Pinchaud, holte tief Atem und hatte das Gefühl, als wenn ihm jezt mit einem Mal mehr frische Luft in die Lungen drang, als in den ganzen fechzig Jahren seines armseligen, geduckten Lebens.
Er erhob sich, fleidete sich an und pfiff keď ein Liedchen vor sich hin, jedoch ohne tiefere Ueberzeugung, nur weil es so die Haltung eines kleinen, dicken Mannes erforderte, der eben eine große, magere Frau besiegt hatte. Während er seine Hosenträger anknöpfte, dachte er darüber nach, daß Frau Therese bei der Portiersfrau flatschen würde, und sein fühnes Pfeifen wurde zu einem diskreten Trillern; bei den Knöpfen feiner Weste dachte er, daß sie auch bei den Lieferanten Böses sprechen würde, und sein Trällern verwandelte sich in ein leichtes Geräusch der Lippen; als er feine Strawatte umgelegt, war es ihm, als hätte es ihm jede Lust zu fingen be nommen; er gab keinen Laut mehr von sich und sagte sich nur bestürzt, daß die ganze Straße über die Geschichte lachen
würde.
In dem bereits aufgeräumten Speisezimmer erblickte er zit feiner großen Genugthuung die Fremde, die im Begriff stand, das Büffet abzuwischen. Lächelnd wandte sie ihm ihr rofiges und von dem frischen Waffer neubelebtes Geficht zu. Abgebürstet und vom Staube befreit, verlich ihr das bis zum Halse gehende, schwarze Kleid ein bescheidenes, nüchternes und auständiges Aussehen, was Pinchaud beruhigte. Wie am vorigen Abend ergriff sie seine Hand und wollte sie an die Lippen führen. Er trat, im Grunde geschmeichelt und bewegt, zurück und murmelte linfisch:
Was sind das für Sachen!... Benn man das in Ihrer Heintat thut, hier müssen Sie es laffen."
Sie bestand nicht darauf und erkannte seine Verlegenheit. Als sie dann ihren fleinen Jungen einen auf dem Piano stehenden Korb fünstlicher Blumen betrachten sah, rief sie ihn mit erhobenem und drohendem Finger an. Zufrieden und glüdlich schloß Pinchaud daraus, sie würden nichts ruinieren und seine unschuldigen Freuden nicht stören.
Er öffnete einen Wandschrank und nahm eine Büchse mit Thee heraus. Behend ergriff sie dieselbe, eilte in die Küche und brachte ihm eine Viertelstunde später auf einem fleinen Zablett ein Zaffe. Zucker, Brot, Butter, eine rauchende Thee fanne; dann blieb sie vor ihm stehen, um ihn zu bedienen. Das war mehr, als er von ihr erwartete, und er nötigte sie, sich zu setzen und den Thee, das Brot und die Butter so schnell wie möglich mit ihm und dem Kleinen zu teilen.
Und den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag hindurch war es ihut ein wohliges Gefühl, fie um sich zu
Er sagte sich wohl, daß sie ihn nicht verstände und ihm wohl gerade deshalb eine so große Aufmerksamkeit schenke; doch es schmeichelte ihm trotzdem. Es machte ihm auch viel Spaß, den Lehrer zu spielen und sie die Worte aussprechen zu lehren. Er zeigte die Gegenstände und nannte sie: Tisch, Kamin, Schrank, Messer. Die andern wiederholten die Silben mit einem so drolligen Accent, daß fie alle lachten. Er, der so lange von dem Lehrerinnendiplom seiner Tochter erdrückt worden, fand darin eine Revanche und fühlte sich überlegen, und dieses plögliche Leben verbreitete in feinem feuchten, leeren und einsamen Heim eine gewisse Wärme. Den ganzen Tag über ging er nicht aus, erstens aus Vorsicht und dann auch wegen des Schnees, der wieder stärker fiel. Am Abend verschwanden seine letzten Befürchtungen; er hoffte wirklich, Therese würde weder bei dem Portier noch bei den Lieferanten schwagen; seine Tochter besuchte ihn so felten, daß er von dieser Seite vollständig Zeit hatte, sich vorzubereiten. Die Frau würde dann schon ein wenig Franzöfifch sprechen, sagen, woher sie fäme und wer sie wäre. Die Auskünfte würden sicherlich gut fein, und Madame Harpiot würde nichts dagegen zu sagen haben. Um etwas anderes kümmerte er fich für den Augenblick nicht, die Ehrenhaftigkeit, die auf ihrem Gesicht geschrieben stand, genügte ihm. Und dann, wozu auch denken? Es eilte ja nicht; jetzt nachdem er die Wirtschafterin verabschiedet, war das schlimmste gethan. Und da er den ersten, den schwersten Schritt so gut zurückgelegt hatte, weshalb da noch die anderen fürchten? Das Diner war also noch heiterer. Beim Nachtisch dentete die junge Frau, die etwas weniger schüchtern geworden war, auf das in einem Winkel stehende Klavier, das unter dem Korb mit den künstlichen Blumen und den anderen Gegenständen aller Art fast ver schwand. Ueberrascht begann Pinchand seine dicken Finger über das Tischtuch laufen zu lassen und fragte dann mit einer Kopfbewegung:
Sie können Klavierspielen?"
bas Klavier abzudecken. Er schob ihr einen Klavierstuhl hin, Sie zeigte eine lebhafte Bewegung, als sie aufstand, um und sie fing an zu präludieren, zuerst furchtfam, mit zögernden und fieberhaft zuckenden Fingern.
Er begriff, daß sie lange nicht die Tasten berührt hatte. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, fezte er sich an den Tisch. Sie spielte feltfame, sehr traurige Dinge, die ferne Dann wurden Erinnerungen in Pinichaud wachriefen. Finger der jungen die jungen Frau, neu die sich wie belebt fühlten, weniger steif und zitternd und liefen über die Tasten, und nun spielte sie Tänze mit plötzlichen Modulationen, mit phantastischen Rhythmen, bald einschläfernd und sinnlich, bald wild und leidenschaftlich.
Den fleinen Jungen hatte sich Pinchaud auf den Schoß gesetzt. Ohne sich besonders um den Taft zu fümmern, mit dem Kopfe wackelnd und eigene Melodien vor sich hinträllernd, begannen seine alten ungeübten Beine Lust nach einer Polfa zu verspüren, und er ließ den Kleinen hüpfen. Sie lachten laut auf, während das Klavier begleitete, als ein lautes Klingeln ihrer Freude ein Ende bereitete. Bei diesem Klingeln, das ihnen endlos vorfam, blieben sic stumm, blaß, vor Augst fast vergehend, unbeweglich sitzen.
Herr Pinchand machte ein Zeichen, man möchte sich ruhig verhalten und spitte das Ohr. Er hoffte, es würde der Portier oder irgend ein Lieferant fein, der, da keine Antwort, erfolgte, nicht wieder zu flingeln wagen würde.
Es flingelte wieder.
( Schluß folgt.)