Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Str. 254.

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Auswanderer.

Sonntag, den 31. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Novelle von Charles Foley. Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal.

( Schluß.)

Er erhob sich, und den Finger auf den Mund haltend, erreichte er mit Wolfsschritten, mit geheimnisvoller Vorsicht, die die junge Frau und ihr Kind erschreckte, das Vorzimmer, wo er vor der verriegelten Thür sich niederbückte und lange Zeit den Unbekannten auszuwvittern versuchte, der sich hinter ihr verbarg. Trotz seiner Furcht packte ihn eine Wut, daß er es nicht wußte; und er hatte die Unklugheit, schen wie ein Dieb, die Sicherheitskette hin- und herzuschieben. Das Herz fiel ihm in die Hosen; er erkannte seine Tochter. Das Stuirschen der Stette verriet ihn; die Klingel ertönte von neuem, wild und wütend, und erfüllte die ganze Wohnung mit zornigem Gebimmel.

Erschrocken fehrte Pinchand in das Eßzimmer zurück; hier befahl er der Frau mit so unklarer und matter Be wegung, in das Fremdenzimmer zu verschwinden, daß sie ihn nicht verstand. Zitterud, als wenn der Nachthauch sie aufs neue gepackt, riß das Auswandererweib vor der schrecklichen Vision, sie könne in den Schmut vom vorigen Tag wieder zurückjinken, die Angen auf und sah ihn an; sie verriet, daß ihr Leben wieder einmal diesem bebenden alten Manne auf Gnade und Ungnade anheimgegeben war.

1899

Lies das, dann brauche ich Dir nicht zu sagen, warum ich komme."

Unfähig zu lesen, buchstabierte Pinchaud mit zitternder Stimme:

Ihr Vater hat zu Hause ein Frauenzimmer.

Therefe."

Seine Augen sahen nicht mehr, die Stimme versagte ihm, seine Brust hob sich, sein Hals schwoll an, während sie ihn mit ihrem blaßgrauen Gesicht scharf beobachtete.

bei

Nach einer längeren Pause fragte sie mit einer Stimme, der es ihm falt über den Rücken lief:

" Ist das alles, was Du zu sagen hast?"

Sie starrte ihn mit ihren Viperaugen an, und er hatte die plögliche Empfindung, daß seine Tochter und er sich nie gekannt hatten, sich nie kennen würden. Wozu ihr auch er­flären, da sie ihm ja doch nicht glauben würde? Doch selbst dieses stolze Schweigen ging über seine Sträfte, und von ihren beiden metallenen Augen geängstigt, stotterte er, um nur etwas zu sagen:

Erstens ist es nicht wahr... Es ist eine arme, kleine, unglückliche Frau... Jawohl, unglücklich, unglücklich". dann wurde er bei den Erinnerungen an den gestrigen Abend lebhafter: Ach, wenn Du sie wie ich gestern abend, in dieser menschlichen Herde, ganz entsetzt und verloren, gesehen hättest! Es hätte Dich eben so wie mich gerührt! Dente Dir nur, Du wärest ohne einen Pfennig, vor Hunger, Kälte und Ermüdung sterbend, in der Nacht, in einem den Schrecken des Winters ausgesetzten Bahnhof, ohne die Sprache zu kennen, die man um Dich herum spricht, von schrecklichen, wüsten Männern von den Oefen zurückgescheucht, und von den Bänken verjagt!"

Sie hörte ihn nicht einmal aufmerksam an, und alle feine Worte fielen in taube Ohren. Sie bemerkte mur an diesem weinerlichen Geschwätz eine fortschreitende Geistes­schwäche, dann machte sie, ärgerlich darüber, sie könne ihre Zeit verlieren, seiner Jeremiade ein Ende, indem sie fragte: Was ist denn das eigentlich für ein Weib?"

Von dem unaufhörlichen Klingeln außer sich gebracht, stieß Herr Pinchand alle beide in das Nebenzimmer und kehrte wieder zurück, um die beiden verdächtigen Gedecke fort­zunehmen. Doch seine steifen Hände konnten wie in den bösen Träumen die Gegenstände nicht mehr halten. Als er die Teller fortgenommen, vergaß er die Gläser, dann die Gabeln, dann alles. Er trippelte in der Augft eines Menschen umher, der eben getötet hat, der sich in einer höchsten Willens­austreugung das Gehirn zermartert, um vernünftig und ruhig zu bleiben, der an alles denken, jede Spur seines Ver­brechens auslöschen will, dabei aber fühlt, wie sein stottern: Verstand in schrecklicher Angst untergeht und versinkt. Dieses Klingeln machte ihn verrückt. Er wollte feine Tochter zum erstenmale getroffen!" in fein Zimmer führen, ohne das Eßzimmer zu berühren. Und da ihm plötzlich der Gedanke kam, ein so langes Warten könnte den Verdacht bestätigen, so stürzte er nach der Ein­gangsthür und öffnete.

Sie stand faum offen, als Madame Harpiot flink und haftig hereinhuschte; jedenfalls fürchtete sie, ihr Vater könne sich anders besinnen und die Thür rasch wieder schließen. Obwohl er erwartete, sich ihr gegenüber zu sehen, so war er doch so bestürzt, als sie ihm an der Nase vorbeischritt, ohne weiteres nach der Thür des Speisezimmers ging und hinein trat, daß er kein Wort fand, um sie zurück zu halten. Schon steif und streng, wurde sie angesichts der zerstreut umher­stehenden Schüsseln und Flaschen noch strenger und steifer. Beim Anblick des geöffneten Klaviers bekam sie ein nervöses Zucken. Nun raffte sie gehässig ihre Röcke zusammen, hielt die Ellenbogen an den Körper, als wenn die Brotfrumen auf ihrem Kleide oder die Berührung des Tischtuches sie be­schmutzt hätten und fragte trocken mit jener farblosen und eisigen Stimme, in der nie eine Spur von Herz lag:

We empfängst Du mich denn hier?" Nun, in meinem Zimmer," stotterte er.

Sie ging auf den Fußspitzen, mit großen Säßen vor ihm her, wie eine Frau, die über Schmußpfitten springt. Auf der Schwelle wandte sie sich um und fragte im Tone beleidigenden Zweifels:

Es ist doch wenigstens nientand da?"

Diese Vermutung machte Binchaud vollends verwirrt, und er vergaß darüber, das Licht mitzunehmen. Sie erinnerte ihn in hartem Tone daran.

Woran denkst Du denn? Nimm die Lampe ." Während er sie auf den Kamin seines Zimmers stellte, schloß sie die Thür, kehrte zu ihm zurück und hielt ihm unter dem scharfen Licht der Lampe eine Depesche unter die Augen.

Bei diesem plöglichen Angriff begann er wieder zu Ja, ich. ich weiß nicht... ich habe sie gestern

Sie waffnete sich mit Geduld und dachte:

Er weiß nicht mehr, was er spricht.... Das wird lange

bauern!"

Und wie man es mit zerstreuten kleinen Kindern macht, begann sie zu fragen:

Na, wo warst Du denn zuerst gestern abend?" Ich war in der Oper."

Sie war verdugt, begriff ihn überhaupt nicht mehr und hielt ihn für verrückt. Pinchaud sentte den Kopf und schämte sich dieses ersten Fehltrittes. Sie bemeisterte schnell ihre Ve­ftürzung und fuhr fort: Und was hast Du in der Oper gethan?" " Ich habe mir die Musik augehört." Sie wurde ärgerlich:

,, Aber während der Zwischenakte?"

Er senkte den Kopf noch tiefer und verfekte mit dumpferer Stimme:

Während des letzten Zwischenattes habe ich... zwei Kelche Champagner getrunken."

Sie unterdrückte ein neues Zittern; dann aber merkte sie, daß sie auf der richtigen Spur war, trieb ihn hastiger an und wollte ihm keine Zeit lassen, sich zu fassen und zu lügen. Und als Du herauskamst, hat diese Frau Dich auf der Straße angesprochen?"

"

Er protestierte lebhaft.

Nein, fie nicht, ich bin auf sie zugegangen. Und nicht auf der Straße, sondern auf dem Bahnhof Saint- Lazare im Wartesaal....".

Madame Harpiot stieß zwischen ihren zusammengefniffenen Zähnen ein Hohngelächter aus:

Das ist ja schön! und ohne sie weiter zu kennen, haft Du sie nach Hause mitgenommen?"

Er nickte mit dem Kopfe" ja", und nun rief sie aus: