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Dobustle, Cox
Jagd. Das war ein Getrappel, ein Gefreisch, ein Fohlen und| Terrasse ausgebreitet. Herr v. Ballestrem übernahm das Präsidium grelles Schreien, ein Huschen flüchtiger Gestalten. Das quirlte mit einigen begrüßenden Worten und erklärte sofort, strenger denn durcheinander, wogte, hüpfte und sprang. An der weißen ie darüber zu wachen, daß keine unparlamentarische Aeußerung Kirchhofsmauer zeigten sich, ins ungeheuerliche verzerrt, flattrige paffiere. Als eine Sängerin das Wort Liebe aussprach, wenn auch Schatten; unheimlich tauchten sie auf und nieder, wischten vorbei und verschwanden.
Und hinter der bleichen Wand ragte das Krenz aus dem Dunkel des Friedhofes, wie ein Wahrzeichen stieg es empor und fchien endlos bis in den Himmel zu wachsen.
Peter wagte einen scheuen Blick dorthin; einen noch scheueren warf er hinter sich auf die nachdrängenden Weiber. Sein Fuß zögerte. Sollte er sich wenden, jene zu Hilfe rufen?!
Ihn schauderte.
" Boran, voran!" trieb der Obergendarm. Und Bittchen trottete wieder weiter.
Die Jagd wurde langsamer, jetzt fehlte es ihnen allen an Atem. Schnaufend trabte der Oberkailer an des Gefangenen andrer Seite; rechts und links hielten den beide Gendarmen gepackt, ab und zu wandten sie sich um und hielten den in geringer Entfernung Folgenden die Waffen entgegen.
Das laute Geschrei war verstummit, es hatte einem dumpfen Murren Platz gemacht.
Näher und näher kam man dem Thalende, hoch und finster hoben sich die Ruinen von Himmerod , dahinter schwarz ragende Bäume des unendlichen Waldes.
Voll Besorgnis fahen die Männer darauf hin. Schon gellten wieder einige Schreie.
Laoßt hän los! Bittchen, ons Bittchen!"
Ein Stein wurde geschleudert noch einer eine dreiste Stimme schimpfte. Das Murren, das bis dahin ein halb unterdrücktes gewesen, erhob sich lauter, kecker. Es schwoll an, wuchs und wuchs, wurde stark und stärker, drohender und drohender, grollend wie Ungewitter. Fester packten die Männer ihre Waffen
Dacin Schrei! Die Weiber stuzten.
in englischer Verkleidung, unterbrach er fic, indem er sein Glas an die Champagnerflasche flingen ließ, mit dem Hinweis, daß die Dame einen größeren Eindruck machen würde, wenn fie statt des heftigen Ausdrucks Liebe das unter gebildeten Menschen übliche Wort Freundschaft wählte. Und als sie weiterhin von einem Kuß fang, bemerkte Herr v. Ballestrem, ein Gruß" fei doch wohl aus reichend.
Das waren jedoch die beiden einzigen Fälle, die das bietungen von so flösterlicher Züchtigkeit, daß die Centrumsvertreter, Präsidium zum Einschreiten nötigten. Bisweilen waren die Dardie doch Anklagematerial brauchten, ungeduldig mahnten: Zur Un ordnung, zur Unordnung! Nach jeder Nummer fragten diese gewissenhaften Herren den überwachenden Schußmann, ob es auch genau so sei, wie an anderen Tagen, ob man nicht etwa die Blide gemildert, das Lächeln gereinigt, die Pointen gestrichen und das Kleid verlängert habe. Der Schuhmann gab unter seinem Amtseid zu Protokoll, daß es so sei wie alle Tage, sonst würden ihn auch keine zehn Pferde dazu bringen, die leberwachung der Schaustellung übernehmen. In der That, die Kostüme überschritten fein Millimeter die Grenzen der reinsten Sittlichkeit. Die Sängerinnen waren würdige Matronen, die in frommer Nührung anstoßfreie Gesangbuchverse vortrugen, deren Augen auf ein Lämmchen weiß wie Schnee zu blicken schienen, und deren Lippen die harte Strenge einer aus der guten alten Ranifeszeit stammienden jungfräulichen Mumie zeigten. Und wenn fie bisweilen ihre weißen Zähne entblößten, jo durften sie dies deshalb mit Recht wagen, weil sie nichts frivoles Menschlich- Natürliches waren, sondern solide Fabrikate lenschen Ge
werbefleißes.
Bereits nach der dritten Nummer war der Reichstag sich einig darüber, daß auf der Bühne nur die erhabendste Tugend waltete. Schon gedachte man befriedigt die Stätte zu verlaffen, allwvo teine. Zeile zur Begründung der lex Heinze zu holen war, da entdeckte ein Centrums- Abgeordneter etwas Schauriges. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf die Ungeheuerlichkeit, der alsbald feine gewohnte Sicherheit verlor. Von Wund zu Mund ging die, grause Kunde. Alles erblaßte und erstarrte; die Frauen bemühten sich, die Hälje umzuivenden, so daß ihre errötenden Gesichter Schutz und Zuflucht hinter dem hohen Rückenkragen finden möchten. formel, und Herr Rören ristete fich zu einem Ohnmachtsfall, wobei aus feiner Rodtasche einige Ledafchwäne ängstlich ents flatterten. Was war geschehen?
Ein Ruf, der das Thal durchhalte von einem Eude zum Ahlwardt betete aus dem Schulchan Aruch eine Beschwörungs andern!
Wie versteinert standen sie alle.
Noch einmal der Ruf! Ein Ruf aus kräftiger Männer fehle: Hallo- o- oh!".
Das Echo war erwacht, jubelnd gab es den Ruf zurück: " Hallo- o- oh!"
Und durch die Nacht flammte es auf, dort auf der Höhe von Schwarzenborn . Erst wie ein Stern, dann rasch größer werdend, weithin leuchtend, immer heller und heller, gelb und rot- eine Sonne, eine Riesenflamme, ein Freuden
feuer.
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Der einsame Busch auf dem kahlen Scheitel zeigte sich deutlich; wie bei Sonnenaufgang umlohte ihn Glanz und Glut. Aber jetzt brannte er selbst. Seine vertrockneten Aeste hüllten sich blitzschnell in sprühendes Geprassel, züngelten gierig und loderten auf in feurigem Entzücken.
Eine Freudenfadel stedte er empor zum nächtlichen Himmel.
,, Se sei dao!" Wie aus einem Mund fam's, nur ein einziger Schrei.
Das waren nicht der Weiber viele mehr, das war nur ein Weib noch)- das Weib! Jählings wandte es sich, alles vergessend, und stürzte im rasenden Lauf dem Mann entgegen.
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Sonntagsplandevei.
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Eine Enttäuschung in unsäglicher Grausamkeit! Was nützte es, wenn auf der Bühne die absolute. Teimfreie Sittenreinheit das weiße Banner strahlend entfaltete, wenn ja wenn das - Publikum nur eine riesengroße lleber tretung der lex Heinze darstellte! Welchen Wert hatte es noch, Gesetze wider die Unzucht auf der Bühne zu schmieden, wenn das Lafter den 8uschauerraum erfüllte! welche Blide züngelten im Saale, welch' unheiliges, Lächeln wagte sich hervor, welch schamlose Worte flüsterte man sich ins Ohr! Da waren Baare, die offenbar nicht firchlich getraut waren, vielleicht nicht einmal die nur mit Puder bekleidet waren. Andre reizten durch Filigranstandesamtlich. Da waren Hälse und Arme weiblichen Geschlechts, gewebe die Lüfternheit, und wenn die Männer die Cylinder lüfteten, zeigten sie die blanke, unverhüllte Schädelhaut! Dazu ein Chaos wild taumelnder Parfums, ein blendendes Gegliger von Diamanten, dieser Folgen und Anreißen des Lasters, und ein verführendes Wogen wallender Federn auf Babelturmhüten.
Ein paar Minuten war der Reichstag unschlüssig, was er thun solle. Darüber war man sich einig, daß man nicht einen Augenblick länger neben diefem lebendigen Spott auf die lex Heinze weilen dürfe. Aber wohin fliehen? Man gedachte, schleunigst das Freie zu gewinnen. Doch der Abg. Schrempf widersetzte sich dem Plan: Ilm des Himmels willen, nur nicht die Friedrichstraße in diefer Stunde; da ist man hier noch sicherer."
Herr v. Ballestrem war es, der zuerst seine Entschiedenheit wiederfand. Es gab nur einen der Würde der Volksvertretung angemessenen Plag, nur eine Stelle unversehrter Sittlichkeit: die Bühne.
Das war ein Ausweg. Die Anregung des Präsidenten fand die Neber die Reichstagssigung im Wintergarten, jubelnde Zustimmung der Abgeordneten und unter seiner Führung die am Donnerstag die Tugend der Specialitäten erprobte, sind begaben sie sich von der Terrasse zur Bühne, wo sie sich, malerisch bisher in der Preffe fehr unrichtige und vor allem sehr unvoll- lagernd, sofort die reine Luft tugendlicher Kunst erquickt wehen ständige Berichte veröffentlicht worden. Vielleicht verbot die seit fühlten. Die aufgescheuchten Künstler fanden sich schnell in die den lex Heinze- Beratungen zusehends gesteigerte Scham der Situation, sie stellten ihre Produktionen ein und ließen fich nebenschreibenden Menschheit, die nackten Thatsachen der Oeffentlichkeit den Parlamentariern nieder, die weiblichen Specialitäten im Centrum. preiszugebent. Die Fraktionen waren ungleich stark ver- So bildeten die Artisten und die Abgeordneten einen umerſtürmbaren treten. Die Feudalen waren nur spärlich in dem Etablissement Wall wider die Unzucht im Zuschauerraum. erschienen, das nach dem bevorstehenden Umbau den Namen Diefes unfittliche Publikum indessen begann zu lärmen. Man Tugendrosengarten erhalten wird. Erstens kannten sie bereits das habe sein Entree gezahlt und wolle dafür etwas sehen. Die VolksFebruar- Programm; zweitens hatte sie die taktisch merkwürdig unvertreter sollten mal zeigen, ob sie noch etwas andres könnten, als gefchichte Versicherung in der Einladung der Direktion, es ginge einfältige Gejege machen. Spöttische Zurufe flogen zur Bühne alles ganz anftändig zu, naturgemäß abgeschreckt; drittens litten sie hinauf. Die Lage der in dem Asyl der Tugend Geborgenen wurde noch unter den Strapazen der landwirtschaftlichen Woche. einigermaßen ungemütlich, und sie wäre gefährlich geworden ein Bierfeidel war bereits hart an dem Kopf des Abg. Rören vorbeigesaust
Sonst aber waren die Parteien in gutgewählten Proben auf der
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