Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 53.
Freitag, den 16. März.
1900
( Nachdruck verboten.) das gelb wie Wachs war, und bewegt: im Schlaf die blassen
Unter dem Schuke des Gefehes. fleinen Lippen.
19]
Von Maria Konopnida.
" 1
Die Dame beugte sich darüber.
,, Ach, das arme Geschöpf, es muß hungrig sein." „ Dem geschieht nichts," Iachte der Herr Rat gutmütig. Sehen Sie mal, wie gierig es ist."
Bevor sie noch den Satz zu Ende gesprochen, wurde die Thür, bei der sie stand, heftig aufgerissen, und im Rahmen erschien ein Polizist. Hinter dem ersten erschien ein zweiter Er steckte ihm den kleinen Finger in das Mündchen. Das und ein dritter. Im Hintergrund zeigte sich eine ganze Rind packte den Finger, zog ihn hinein und fing an, ohne die Schaar. Der erste sprang auf Hanka zu und griff haftig nach Augen zu öffnen, aus Leibeskräften darau zu fangen. der vermeintlichen Beute, die sie unter dem Tuch verbarg. Schweißtropfen traten ihm auf das gelbe, gefurchte, Das Mädchen stieß erschreckt einen Schrei aus, ließ das Tuch Gesichtchen. Da aber die Arbeit vergeblich war, schnitt es zusammen mit der miauenden Katze in der Hand des eine weinerliche Miene. Bolizisten, eilte im Flug auf die Thür zu, stieß einen zweiten Polizisten, der im Hintergrund lauterte, bei feite und lief in rafender Eile nach dem Fluß. In den Ohren hatte sie ein Saufen und ein Pfeifen, in den Augen glaubte sie eine Flamme zu haben. Es schien ihr, daß der Wind sie hintrüge. Hinter sich hörte sie die wilde Jagd, vor sich sah sie den Fluß erblinken. Eine erschrockene, jammernde Stimme rief sie beim Namen:„ Hanuchen! Haimchen!"
Sie erreichte das Ilfer, dort wo das Eis den Schlamm bedeckte... Sie schloß die Augen, neigte den Kopf nach vorn und sprang hinein.
Das Wasser zischte auf und schloß dann wieder feine dunkeln Fluten über ihr, auf der Oberfläche immer größere Wellenkreise ziehend.
In diesem Moment kam ein Wächter herbeigeeilt und erblickte zwei steife, in der Dunkelheit schimmernde Hände, die aus dem Wasser auftauchten und bald wieder verschwanden
Die Glocke von dem Turm des Franciskauerklosters ließ in einem fort ihre dröhnenden Klänge vernehmen...
VIII.
„ Na, na!" sprach givei Monate darauf der junge Arzt zu ciner der franken Arrestantiumen, die im allgemeinen Saal des Gefängnisspitals lagen.„ Na, na, heute sichst Du gar nicht schlecht aus. Nach einer Woche wirst Du entlassen werden können."
Er klopfte ihr auf die Schulter.
Fürchterlich abgentagert!" fügte er leise hinzu.
Zu der That, bei jeder Bewegung der Stranten claubte man das Klappern ihrer Knochen zu hören, die von der welken und vertrockneten Hant fiberzogen waren.
Der Arzt wandte sich an die Stranfenwärterit. Sönnte man der Kranken nicht etwas Mila), Bouillon, überhaupt etwas mehr Kräftigendes reichen?"
Die Wärterin zuckte die Achfeln und breitete die Hände aus. ..Mehr Kräftigendes?" rief sie.„ Sie bekommt Thee, Schleimfuppe... dasselbe wie die andren."
Der Doktor schmalzte ungeduldig mit der Zunge. Doch er beherrschte sich und wandte sich wieder an die Kranke, indem er ihr das Kissen unter dem Haupt in die Höhe schob. Lieg ' doch nicht funner fo." fagte er." Versuche Dich aufzurichten und eine Weile zu figen." Sie machte eine Bewegung, mit der Anordmmg nach zukommen, aber man merkte, daß ihr das große Mühe kostete. Ein vorbeicilender Diener steckte den Kopf durch die halbgeöffnete Thür.
„ Der Guädige fommt mit einer Dame..." fündigte
er alt.
Der Arzt furchte zuerst die Stirn, dann wurde er gleich wieder heiter, strich sich mit der feinen Hand. das dunkle Haupthaar zurecht und ging nach der Thüre.
Der Bejuch trat foeben herein.
„ Gehen wir, denn das fängt gleich zu weinen au", sagte die Dame.
Der Herr Nat entfernte den Finger.
In der That, das Kind begann mit seinem dünnen, schwachen, erstickten Stimmchen zu piepfen. Die junge Mutter stöhute, wandte sich mühselig um und reichte ihm die vertrocknete, leere Brust...
Sie traten an das andre Beft. Hier lag auf dem Rücken eine Frau mit rotem, fieberheißen Geficht, die mit verglaften Augen nach der Decke stierte. Ihre Lippen waren von der Hiße verbranit, von Zeit zur Zeit bewegten sie sich, den Speichel verschluckend und schver atmend. Der Herr Rat flüsterte mit dem Arzt.
Dieser machte eine unviffige Belvegung und zuckte die
Achseln.
„ Man kann nicht wissen," fagte er, dort ist es ohnehin überfüllt... Erst der dritte Lag."
Sie gingen weiter.
"
Diefe da ist eine starke Natur," sagte der Herr Rat, auf die im Bett aufrecht sitzende Arrestautin weisend, mit der der Arzt vor der Ankunft der Gäste sich unterhalten hatte. Jm Januar wollte sie sich ertränken, man zog sie schon beinahe ganz leblos aus dent Waffer, dann machte sie einen Typhns durch und das alles tan ihr nichts anhaden."
Sie wollte sich ertränken!" rief die Dame mit großem Intereffe und betrachtete die Kranke mit Neugierde.
"
Das ist nichts!" rief der Herr Rat triumphierend. „ Aber welch ein Charakter! Ich hab's ja immer gejagt, daß went fie am Guten die Hälfte der Ausdauer hätte, die sie aut Bösen zeigt, was wäre das für eine tapfere Fran! Erhebe doch mal den Kopf!" fügte cr hinzu und faßte die Kranke beim Kiun, um ihr Gesicht dem Licht zuzuwenden. hübsches Mädchen!" sagte er und lächelte gnädig.
Ein
Die Kranke wandte mit Mühe das Gesicht nach der gewünschten Richtung, ihre dunklen Haare flossen unter dem Häubchen hervor und verbreiteten sich über die eingefallenen Schläfe. Auf den mageren Wangen trat eine jähe dunkle Köte hervor, die schmalen Lippen erbebien und die langen Wimpern an den fahlen Lidern warfen einen bläulichen Schatten anf das herabgekommene und verelendete Gesich:.
" Denken Sie sich, gnädige Frau," rief der Herr Rat nachdem er das Kinn der Hauka losließ, diese da ist eine unverbesserliche Diebin. Zweimal aus dem Gefängnis ent Lassen, flüchtete sie jedesmal aus der Verbannung, um fich Diebesbanden anzuschließen. Sie hatte mun einmal Geschmack daran gefunden. Als die Polizei fie letztens während einer Treibjagd einfing, sprang fie in die Weichsel ."
Aus Furcht?" fragte die Dame.
Ach wo, aus Furcht! Bloß aus verbrecherischer Hals. startigkeit. Wenn sich unter mus ein gelungenes Eremplar dieser Sorte findet, dann ist es einfach zum Stüssen, fag' ich Ihnen." Er führte zwei Finger an den Mund, machte eine leichte Werbeugung und schwaste mit den dicken Lippeit.
" Was diejen Saal aubetrifft, so werde ich Sie, gnädige Frau, nicht hineinlassen, bis ich nicht weiß, ob nicht irgend Auf dem Gesicht des Mädchens spiegelte fich der Auseine Gefahr droht," sprach der Herr Rat in ausgesucht höfdruck aussprechlicher Qual. Sie ließ den Kopf auf die lichem Tone. Herr Doktor, kann man eintreten?" Brust sinken und preßte die gerungenen Hände auf der grauen Spitalsdecke zusammen.
Der Arzt lächelte.
"
Wer keine Furcht hat, kann überall eintreten."
"
Furcht."
Sehen Sie," rief die Dame, ich habe eben keine Mädchen! Wär es nicht vorteilhafter für Dich, mein Kind,
Sic fraten cin.
Auf dem ersten Bett lag ein junges Weib, mehr einem Sfelett als einem lebendigen Wesen ähnlich.
Ihr zur Seite schlief ein kleines, etva halbjähriges Kind,
wenn Du Dich bessern würdest, wenn Du ein neues, ehrliches Leben begünnest... Du siehst ja, was für Folgen die Verbrechen nach sich ziehen..
Die Kranke schwieg. Ihre Brauen waren zufannmengezogen, ihre Lippen besten.