Anterhaltungsblait des Vorwärts

Nr. 57.

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Donnerstag, den 22. März.

nard 00 ( Nachdruck verboten.)

Clementine Holm.

Eine Frauenstudie von Gabriele Reuter.  

vom ara ih 1900

des Hauser phantastische Stellungen einnehmen oder auch Tänze ausführen, zu denen Frau Holm begleitende Gefänge dichtete und komponierte. Unten auf der Straße sammelte sich bei solchen Gelegenheiten eine Menge von Arabervolt, bas lachend die" Fantasia" bewunderte und sich zuletzt Frau Clementine Holm wohnte in einem Hause, dessen freischend und brüllend um die Reste des festlichen Imbisses rechte Seite das Freskogemälde eines Drachens mit blauem prügelte, die Frau Holm ihm hinunterwarf. Es geschah mun Kopf und gelbem Schweif zeigte, während sich links von der Eingangsthür drei Mandarinenbäume und eine große Sonne mit einem Menschengesicht befanden. Frau Clementine war begeistert von diesen primitiven Malereien und hatte das Haus nur um ihretwillen gewählt, trotzdem seine Lage im Levantiner Viertel unbequem war und auch nicht für comme il faut galt. Sie hatte eine Neigung zum Ungewöhnlichen und gab der der deutschen Kolonie in Alexandrien   einige Jahre hindurch reichlichen Anlaß, sich mit ihr zu beschäftigen; bis sie dann stiller wurde und endlich ganz still.

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wohl, daß eines oder das andre der Mitwirkenden, von so viel Bublifum erschreckt, sich weigerte, ferner an den Kunst­übungen teilzunehmen. Aber dann konnte Frau Clementine Holm sehr böse werden. Sie haßte Kleinlichkeiten". Entzog sie infolge solcher Zwistigkeiten einem Schützling plöglich ihre Gunst, so ging dieser in der Stadt umher, hob die Schultern, machte cine wichtige, geheimnisvolle Miene und deutete an, daß die Dankbarkeit ihm zu reden ver­biete, sonst

Selbst Leute, welche die warmherzige, impulsive Frau Nicht, daß sie aufregende Liebesabenteuer gehabt hätte, hochhielten, verstanden es zuletzt nicht mehr, daß sie es nicht was ja bei einer noch ansehnlichen Witwe von üppigen Formen müde wurde, sich von undankbaren jungen Menschen zum und mit schönen braunen Augen nicht unerhört gewesen wäre. Narren halten zu laſſen. Es begannen Stimmen laut zu Aber schon der Umstand, daß sie meist in ihrem Hause werden, die ihrer Güte gegen Jünglinge zwischen siebzehn immer barfuß und in langen, weiten, wallenden Ge und vierundzwanzig Jahren böse Gründe unterschoben. wändern von leuchtenden Farben einherwandelte, erregte bei Frau Clementine Holm pflegte zuweilen weich und weh­den deutschen   Frauen, die eine solide, ehrbare Sitte unter mütig zu sagen: Vielleicht hilft eine andre gute Seele dafür auch dem fremden Mischvolf hoch zu halten wünschten, einigen meinent Ottokar, wenn er in Not ist. Aber das rührte niemand, Anstoß. Frau Holms lebhaftes Temperament suchte Be- denn man glaubte nicht recht an diesen Ottokar, von dessen thätigung und fand sie in der Barmherzigkeit und Nächsten Existenz die eigene Mutter, wenn man sie danach ausforschte, nur liebe, die sie auf ihre eigene, ettvas romantische und gewalt einen höchst unbestimmten Begriff zu geben vermochte. In same Weise betrieb. Sie weigerte sich standhaft, Mitglied des Wahrheit hatte er seit zehn Jahren nichts von sich hören Deutschen   Nähvereins zu werden, weil sie befürchtete, der lassen. Aber das sagte Frau Holm niemand. Auch nicht, Schlag könne sie dort vor langer Weile rühren. Sie that wie sehr ihr ganzes Thun und Lassen durch diesen schemen­nichts für das Diakonissenhaus, dieses Lieblinskind der Solonie, haft gewordenen Sohn regiert wurde. Die kirchlich durchaus und ihr Name fehlte regelmäßig auf den Sammelbogen für freidenkende Frau hatte den mystischen Glauben, daß sie auf die protestantische Kirche. Sie befand sich stets in Opposition eine ihr selbst unerklärliche Weise durch ihre Liebe in die zu dem, was offiziell vorgeschlagen wurde. Dagegen hatte Ferne wirken und das Schicksal ihres Ottokar durch ihr fie eine ganze Reihe von Privatschüßlingen, für die sie wirkte Handeln beeinflussen könne. Selbst von einer leidenschaft­und schaffte. Bald stöberte sie irgend ein illegitimes junges lichen Sehnsucht nach Schönheit, welche vielleicht in irgend Paar auf, das weder Glück noch Stern gehabt hatte und einem schlummernden Talente ihren Grund hatte, beunruhigt, gerade am Verhungern war, als sie mit föstlichen Fleisch- war es allmählich zur firen Jdee bei ihr geworden, daß ihr gelees und Hühnerpasteten eigner Fabrifation anrückte. Bald Junge seinen Pensionseltern in Deutschland   entflohen war, war es gar die ganze finderreiche Familie eines verkrachten weil das trübe Alltagsdasein eines Gymnasiasten seinem Kaufmanns, für die gesorgt, genäht mud gefocht werden schwärmerischen Geist unerträglich gewesen sei, daß er mun, mußte. Bald war es ein unjäglich talentvoller Musiker, den ein Pilger auf den Pfaden der Romantik, die Erde durchstreife. sie dem Schicksal entriß, in einem Comptoir fein Brot ver- Mit lebendiger Phantasie nährte sie den Traum: was die dienen zu müssen, indem sie ihn ohne Bedenken für ihren weite Welt ihm nicht geboten, solle er, wenn er endlich heim­Ruf in ihr Haus aufnahm, mit ihm vierhändig spielte und fehren würde, bei seiner Mutter finden. Darum ging ihr ihni aus ihrer Chaiselongue Decke von brannem Peluche Sinnen und Trachten immerwährend darauf, ihr Haus zu einen Rock machen ließ, welchen der Unglückliche bei dem einem Hort der Schönheit und der Heiterkeit zu gestalten. Konzert, das sie für ihn arrangierte, tragen mußte. Junge Der Ottokar, von dessen Männlichkeit, Intelligenz, Fein­Lente männlichen und weiblichen Geschlechts, die in der Hafen- fühligkeit und Güte sie unaufhörlich sprach, ohne das mindeste stadt nach irgend einer Existenz fuchten, waren ihre bevor davon zu wissen, wurde ihren jungen Mädchen, all diesen zugten Protégés. Ihnen eine Anstellung zu verschaffen war hübschen, auf schwankem Boden mühsam sich aufrechthaltenden Frau Holm eine wahre Luft. In den Geschäftsstuben der Stindern als ein ferner wunderbarer Lockvogel zur Tugend großen Handlungshäuser, auf dem Konjulat, ja in den türki- gezeigt. Denn natürlich für meinen Ottokar fann ich schen Ministerien, überall fannte man Frau Clementine Holm mur eine tadellos anständige Frau brauchen- also mertt's und empfand einen bangen Schrecken, wenn die umfangreiche Euch!" Gestalt in ihren phantastischen Gewändern und großem, Ein himmlisches Geschöpf", welches Frau Holm be wogendem Hnte erschien und sich zu energischen Vorschlägen sonders ins Herz geschlossen hatte, weil ihre fece Anmut fie breit und wuchtig in den ihr höflich gebotenen Sessel entzückte, merkte sich's leider nicht. Sie hielt den Ottokar niederließ. auch für eine Mythe und zog nach kurzer Zeit der Protektion von Frau Holm die eines reichen englischen Junggesellen vor. den Frau Holm weinte bittere Thränen über die Verlorene. Dann meinte sie zu ihren andren Gästen: Daß es ein reicher Mann ist, finde ich gemein. Ich hätte sie einem armen, schönen Künstlerjungen gegönnt. Auch dieses Wort" fand Sie hatte ihre großen, weißgetlinchten Räume in einem feinen Weg in die Oeffentlichkeit. Das Künstlerische stand romantisch- orientalischen Stil herausgepugt, der mehr auf mun aber in der Kolonie, die wie alle überjeeischen Kolonien deutschen Künstler- Maskenbällen als im Orient selbst zu in ihren Familien ein arbeitsames und etwas nüchternes Hause ist. Element repräsentieren, nicht gerade in hohem Ansehen. Man

So kam es, daß Frau Holms Haus immer von Persönlichkeiten bevölkert wurde, die nicht gerade zu sicher gefestigten Stüßen der Gesellschaft gehörten und dem Ton in ihrem Salon einige lärmende und freie Noten ver­liegen.

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Mit besonderer Freude drapierte sie junge Mädchen, die rechnete es noch so ziemlich zum Vagabundentum. Hätte man bei ihr aus und eingingen, stellenjuajende Bonnen und nicht den verstorbenen Herrn Holm als einen tüchtigen und Lehrerinnen, augehende Chansonnetten Sängerinnen und foliden Kaufmann gefannt, man hätte seine Witwe wohl ganz Novizen für das Ballet der Kairiner Oper in die wunder- mit ihren Schüßlingen identifiziert. Man zog sich mehr und baren Stoffe und Schmucksachen. Die jungen Damen, die mehr von ihr zurück. Zn feinen Lebzeiten hatte sie sich in allmählich von ihr zusammengeschleppt waren, mußten zu der ihrer Eigenart nicht so gehen lassen dürfen. Er hatte wohl Beleuchtung bunter Papierlampions auf dem flachen Dachel auch den Jungen ihrem Einfluß entziehen wollen und ihn