Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 58.
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Freitag, den 23. März
( Nachdrud verboten.)
Clementine Holm.
Cine Frauenstudie von Gabriele Neuter. Nachdem Frau Clementine aus dem ersten Freudenrausch wieder zu sich gekommen war, begann ein verdoppelt frendiges und geschäftiges Leben für sie. Wieder tauchte sie bei den einflußreichen Persönlichkeiten der Alexandriner Gesellschaft auf, wo sie zwar viel für andre, aber noch niemals etwas für sich erbeten hatte. Diesmal setzte sie ihnen mit ihrer naiven und eindringlichen Beredsamkeit auseinander, daß sie eine sehr einträgliche und ehrenvolle Stellung für ihren Sohn brauche, denn jeder Mensch müsse doch einsehen, daß sie ihren Ottokar, nachdem sie ihn zehn Jahre entbehrt, jeht in ihrer Nähe zu haben wünsche.
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Schmut und Staub dieser Wege war nicht vielleicht auf seine Seele gefallen und haften geblicben?
Jim wollte sie das reine, gute Kind, das Gretchen, ohne Besinnen in die Arme legen... War das nicht ein ver ruchter Leichtsinn oder noch Schlimmeres?
Aber wenn sie so weit in ihren schweren Gedanken gefommen war, dann richtete sie sich auf ihrem Lager in die Höhe und blickte mit heißen Augen in die Nacht... Ja gerade, wenn es so war, wenn ihr Zunge als ein zerbrochenes, unglückliches, frankes Geschöpf heimkehren würde, durfte kein Mittel zu kostbar sein, um ihn der Freude, dem Leben, dem Glück zurückzugewinnen. Und mit entzückter Grausamfeit opferte Frau Holm in ihren schlaflosen Nächten hundertmal das ahnungslose Mädchen auf dem Altar ihrer phantasievollen Mutterliebe.
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der Decke herabhingen. Hatte sie ihre mütterliche Freundin ins Bett zurückgeschmeichelt, so sang sie diefelbe, wie man es bei aufgeregten Kindern thut, endlich mit fanfter, leiser Stimme in Schlaf. Bulegt stellte sich starkes Fieber bei Frau Holm ein, und sie versiel so sichtlich, daß Gretchen an Ottokar schreiben mußte, wenn er seine Mutter noch am Leben finden volle, so möge er seine Reise beschleunigen.
Je näher die Zeit faut, für die Ottokar seine Ankunst geNoch einmal hielt sie ernste Umschau unter ihren jungen meldet hatte, desto leidenschaftlicher und schmerzensvoller wurde Mädchen und wählte zuletzt eine hübsche, bescheidene Gon- Frau Holms Sehnsucht. Die zehn Jahre hatte sie erduldet, die vernante als Schwiegertochter. Einige Erfahrungen von letzten zwei Monate vermochte sie fast nicht mehr zu ertragen. Widerspenstigkeit hatten sie gewitigt. Daß das arme Ding Lag sie nicht wach, in bangen Befürchtungen, so hatte sie feinerlei Anverwandte besaß und in einer kläglich besoldeten quälende Träume, jah ihn in schrecklichen und jammervollen Lagen Stelle bei ein paar verzogenen Griechenkindern ihr Leben und konnte ihm nicht helfen. Dann erwachte sie mit lautem vertrauerte, hatte ihre Wahl vielleicht ein wenig beeinflußt. Schrei, rief Gretchen und fragte erregt, ob es nicht geläutet Desto mehr würde Gretchen den Glücksfall, der sie traf, zu habe sie meine, es stehe jemand an der Hausthür. Hatte schätzen wissen. Und Gretchen wie dieser Name schon Gretchen dann durch die geschnitten Läden geschaut und ihr den Weltfahrer heimatlich und traulich anmuten mußte. versichert, mir der Thürhüter schlafe draußen auf seinem Frau Clementine vernachlässigte alle ihre andren Schütz- Baumwollensack, so legte sie sich mit tiefem Seufzen wieder linge um dieses einen Zukunftstindes willen. Die Waldhere nieder. Zuweilen aber wurde die Angst so groß, daß die geFomite Hänsel und Gretel nicht mit größerer Sorgfalt waltige Frau weinend und klagend umherlief und sich und füttern mud mästen, als Frau Holm ihr zartes Gretchen. Gretchen alle Gefahren ausmalte, die Ottokar noch auf der Denn Männer lieben das Füllige", sagte sie mit ruhiger Reise treffen könnten. Das gute Kind ging dann stundenlang Sicherheit. mit ihr auf und nieder in den Zimmern mit den bunten or allem umßte Gretchen die fonventionelle Modetracht Draperien, wo Krokodil- Mumien und eingelegte Laternen von aufgeben, den schönen jungen Körper nicht mehr einschnüren und sich mit den Gewändern befleiden, die Frau Holm ihr aus selbstgewählten Stoffen schnitt und nähte. Ihr glattes, feidiges, dunkles Haar, welches ihr bis über die Stnie reichte, mußte sie aufgelöst herabwallen lassen, um den Stopf mur von einem silbernen Reifen zusammengehalten, und statt Stöckelschuhen trug fie Sandalen. So wurde Gretchen mit ihrer weichen, stimmungsvollen Haltung eine Erscheimmg, die in Ottokar daufte ihr in einem leidlich stilisierten Brief für den Kreisen englischer Aesthetiker Aufsehen erregt haben ihre Liebe zu seiner Mutter und bat fie um ihr Bild. Das würde. Ein Londoner Maler vou bedeutendem Ruf, der sich durfte sie ihm zwar nicht senden, denn Photographien, meinte gerade in Egypten aufhielt, lief ihr auch einmal, als sie mit Frau Holm, geben oft bedenklich falsche Begriffe von einer ihren Zöglingen spazieren ging, straßenweit nach und belästigte Persönlichkeit. Aber es war doch eine Verbindung zwischen fie mit der Besanvörung, ihm Modell zu stehen. Jufolge dessen ihnen hergestellt. Ottokar wußte von seiner Mutter Plänen wurde ihr die Stellung in dem griechischen Hause gefündigt. für fein Glück. Aber Frau Holm war selig. Die Anerkennung ihres Geschmacks Gretchen hatte zwar den schüchternen Vorbehalt zu machen durch den englischen Künstler war ihr ein hoher Triumph. gewagt: sie wolle Ottokar erst sehen, che sie endgültig ihr Sie liebte von da ab die erwählte Schwiegertochter noch weit zärt- awort gebe. Ueber diese mädchenhafte kleine Schrulle ging licher. Sie nahm Gretchen nun zu sich ins Haus, mu durch Frau Holm mit kurzem, sicherem Triumphlachen hinsveg Feinen fremden Einfluß mehr ihren Erziehungsplau stören gu Endlich kam Ottofar. Merkwürdig, wie nüchtern meist Tajjen. Sie las mud mujizierte mit ihr, fie gab ihr Gesangs - solche Augenblicke, in denen sich die Schnsucht und das muterricht, und Gretchen entwickelte eine Stimme, die so Empfinden eines ganzen Lebens zusammendrängt, nach außen weich und friedlich klang, wie ihre ganze Person anmutete. wirken. Der junge Holm füßte seine Mutter auf den Mund Єie ließ geduldig alles mit sich vornehmen und sah mit und ihr war schwindlig und wirr im Kopf. Sie sagte mir: einem so sanften, gelassenen Lächeln dem Unwahrscheinlichsten Mein Junge!" und begann zu weinen und streichelte seine Hände. entgegen, daß sie ein wenig an jene griechischen Schönen er- Darauf führte sie ihn in ihren orientalischen Salon, wo innerte, denen ein göttlicher Gemahl in Gestalt einer Wolfe Gretchen stand mit aufgelöften Haaren und zwei blaffe Rosen oder eines Schivaus uahte, ohne daß sie sich besonders darüber in dem silbernen Stopfreifen. Ottokar nahm die Vorverwunderten. bereitungen für das, was sie waren. Er warf einen schnellen prüfenden Blick auf das Mädchen, das verlegen vor sich niederlächelte, ergriff energisch seine Hände, zog es zu fich, füßte es auch auf den Mund und sagte: Das ist jetzt also meine Braut!"
In den heißen Sommernächten, wenn die Mosquitos ihre Leifen bösen Summlieder sangen, hatte Frau Holm dagegen manchen inneren Stampf zu bestehen. Da bekam die Freude selbst ein verzerrtes Geficht und legte ihre schiveren falten Geisterhände auf die nach Atem ringende Brust.
Bie würde Ottokar ihr wiederkehren...?
So sicher, wie sie sich in Bezug auf ihn vor den Leuten zeigte, war sie denn doch nicht.
Welche Art von Mensch war er geworden?
Er schrieb ihr, daß er eine Stellung auf einer Plantage crrungen habe, von der er leben könne. Aber was wollte denn das bejagen? Was schließt das Wort„ leben können" nicht für verschiedene Existenzen ein!
Welche Erfahrungen mochten hinter ihm liegen, welche dunklen Wege mochte er gegangen sein! Und wieviel von dem
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Dazu lachte er, mit einem tiefen behaglichen Sachen, und nickte seiner Mutter freundlich zu.
Dieser war die schnelle und einfache Entwicklung der Dinge nicht ganz recht. Sie hatte an stummes Werben, vor allent an lange und innige Beratungen zwischen sich und ihrem Sohn gedacht. Und mu war ihr alles gewissermaßen über dem Kopfe weggenommen. Das fränkte sie ein wenig.
Sie hätte es mädchenhafter von Gretchen gefunden, wenn diefe fürs erste noch schen vor Ottokar geflohen wäre.
Aber Gretchen stannte glänzenden Auges den schlanken, großen, schönen Herrn an.