Anterhaltungsblatt des Vorwäris
Nr. 62.
F
2
Auferstehung.
Donnerstag, den 29. März.
( Nachdruck verboten).
1900
von ihrer Kindheit an im Hause Nechlindews und hatte Dmitri Jwanowit ch schon gekannt, als dieser noch ein ganz kleines Kerlchen war.
" Guten Morgen, Dmitri Jwanowitsch."
"
' n Morjen, Agrafena Petrowna. Was neues?" fragte Nechljudow scherzend.
" Ja, ein Brief von der Fürstin, oder ihrem Fräulein Um diefelbe Zeit, als Maslowa, vont langen Gehen Tochter. Das Mädchen hat ihn schon vor einiger Zeit geermüdet, mit ihren Transporteuren das Bezirksgericht betrat, bracht; sie wartet bei mir," sagte Agrafena Petrowna und lag der Neffe ihrer Erzieherinnen, Fürst Dmitri Iwanowitsch überreichte Nechljudow den Brief, wobei sie bedeutungsvoll Rechljudow, der sie verführt hatte, noch in seinem hohen, lächelte. zerwühlten Sprungfederbett mit Daunenmatratze, knöpfte den Stragen seines reinen, holländischen Nachthemds mit aus gebügelten Brustfalten auf und rauchte eine Cigarette. Er schaute unverwandt vor sich hin und dachte darüber nach, was ihm heute bevorstände und was gestern gewesen wäre.
-
„ Schön, einen Augenblick," sagte Nechljudow, nahm den Brief entgegen und machte dabei ein ärgerliches Gesicht, weil er das Lächeln der Haushälterin bemerkt hatte.
Das Lächeln Agrafena Petrowna bedeutete, daß der Brief von der jungen Fürstin Kortschagina kam, die Nechljudow nach Meinung der Haushälterin heiraten würde. Und diese durch das Lächeln Agrafena Petrownas ausgedrückte Vermutung war Nechljudow unangenehm.
"
Ihm fiel der gestrige Abend ein, den er bei den reichen und berühmten Kortschagins zugebracht, deren Tochter er, wie man allgemein annahm, heiraten würde und er feufzte unwillkürlich und warf die ausgerauchte Cigarette fort ind ,, Also ich werde ihr sagen, daß sie warten soll." Damit wollte sich eine frische aus dem silbernen Cigarettenbehälter nahmi Agrafena Petrowna die Staubbürste vom Tisch, die nehmen. Aber dann besann er sich eines andern, ließ nicht an der richtigen Stelle lag, trug sie an einen andren seine glatten, weißen Beine vom Bett herunter, fuchte die Platz und verschwand aus dem Speisezimmer. Pantoffeln, warf einen seidenen Schlafrock über die vollen Nechljudow öffnete das parfümierte Billet, das Agrafena Schultern und ging mit schnellen, schweren Schritten in das Petrowna ihm überreicht, und begann zu lesen: Aufleidezimmer neben dem Schlafgemach, welches von feinem In Erfüllung der auf mich genommenen Verpflichtung, Geruch verschiedener Elixiere, Bartpomaden und Parfüms Ihr Mahnzettel zu sein." stand auf dem granen, dicken Papier ganz durchdrungen war. Hier putte er feine an vielen mit ausgefranften Rändern in scharfen, aber weitläufigen Stelfen plombierten Zähne mit einem besonderen Pulver, Zügen ,, erinnere ich Sie daran, daß Sie heute, am spülte den Mund mit wohlriechendem Mundwasser aus und 28. April, im Schwurgericht zugegen sein müssen und des begann dann sich an allen Seiten zu waschen und mit ver- wegen keinesfalls mit uns und Kolossow zur Gemäldeschiedenen Handtüchern abzureiben. Die Hände wurden mit besichtigung fahren können, wie Sie mit dem Ihnen eignen parfümierter Seife gewaschen, die langen Nägel sorgfältig Leichtsinn gestern versprachen; es sei denn, Sie verspürten mit einer Nagelbürste gereinigt; dann spilte er über einem großen Marmorwaschbecken das Gesicht und den dicken Hals ab und trat darauf noch in einen dritten Raun neben dem Schlafzimmer, wo eine Douche hergerichtet war. Hier wusch er den muskulösen, fettbelegten Körper mit kaltem Wasser, rieb ihn mit einem rauhen Badelaken ab, zog sauber geplättete Wäsche und die spiegelblank geputzten Schuhe an und setzte sich vor die Toilette, um feinen fleinen, schwarzen, frausen Bart und das auf der Vorderseite des Kopfes etwas spärlich gewordene lockige Haar mit zwei Bürsten zu frisieren.
Alle Gegenstände, die er in Gebrauch nahm: Toiletten zubehör, Wäsche, Kleidung, Fußzeng, Schlips, Tuchnadel, Hemdenknöpfe waren von der allerbesten und teuersten Sorte; unauffällig, einfach, solide, kostbar.
Luft, die dreihundert Rubel, die Sie für Ihr Pferd nicht daran wenden wollen, dem Gerichtshof als Buße für verspätetes Erscheinen zu bezahlen. Mir fiel das gestern ein, als Sie eben fortgegangen waren. Also vergessen Sie es nicht. Fürstin M. Kortschagina."
Auf der andren Seite stand in französischer Sprache: Mama läßt Ihnen sagen, daß bis zur Nacht für Sie gedeckt bleibt. Kommen Sie bestimmt, einerlei wann.
-
M. K."
Nechljudow runzelte die Brauen. Dieses Billet bildete cine Fortsetzung der kunstreichen Bearbeitung, die die junge Fürstin Kortschagina ihm mm schon zwei Monate lang an gedeihen ließ, und die darin bestand, daß sie ihn mit unsichtbaren Banden immer fester an sich fettete. Dabei hatte Nechljudow außer der bei nicht mehr ganz jungen und nicht Aus einem Dußend Schlipsen und Tuchnadeln wählte leidenschaftlich verliebten Leuten ganz gewöhnlichen Augst vor Nechljudow die ersten besten aus was ihm einst Ver- der Ehe noch einen andren Grund, weshalb er, selbst wenn gnügen gemacht hatte, ihm jetzt aber höchst gleichgültig ge- es sein fester Entschluß gewesen wäre, nicht sofort einen worden war, zog sein gereinigtes, auf dem Stuhle zurecht Heiratsantrag machen konnte. Dieser Grund bestand nicht gelegtes Zeug au und trat, wenn auch nicht ganz frisch, so darin, daß er vor zehn Jahren Katjuscha verführt und verdoch sauber und parfümiert, in das lange Speisezimmer, lassen hatte daran dachte er gar nicht mehr und hielt es dessen Parkett- Fußboden erst gestern von drei Mujhits glatt auch nicht für einen Hinderungsgrund zur Ehe der Grund gebohnert war. Hier stand ein ungeheures Eichenbüffett war vielmehr der, daß er eben jetzt zu einer verheirateten und ein ebenso großer Ausziehtisch, der mit seinen breit Frau in Beziehungen stand, die von seiner Seite zwar auseinanderstehenden, in Form von Löwenklauen geschnitzten gelöst waren, von ihrer aber noch nicht als gelöst angesehen Füßen einen imponierenden Eindruck machte. Der Tisch war wurden. mit einem feinen, gestärkten Tischtuch mit großent Mono- Nechljudow war sehr schüchtern im Verkehr mit Frauen; gramm bedeckt; auf ihm standen eine silberne Staffeekanne doch gerade diese Schüchternheit hatte in jener verheirateten mit duftendem Kaffee, ebensolche Zuckerdose, der Hahmtopf Frau den Wunsch erweckt, ihn zu erobern. Sie war die Gemit heißem Nahm und ein Körbchen mit frischen Semmelu, mahlin eines Adelsmarschalls jenes Bezirks, in welchem Zwieback und Biskuit. Neben dem Gedeck lagen die ein- Nechlindows Hauptbesigungen lagen. Und dieses Weib hatte ihn getroffenen Briefe, Zeitungen und ein neues Heft der fran- in ein Verhältnis hineingelockt, das für Nechljudow mit jedem zösischen Zeitschrift Revue des deux Mondes ". Nechljudow Tage anziehender und gleichzeitig immer abstoßender wurde. wollte gerade mit Lesen der Briefe beginnen, als durch die Zuerst konnte er der Versuchung nicht widerstehen, dann fühlte in den Korridor führende Thür eine starke, bejahrte Dame, er sich schuldig vor der Frau und vermochte das Verhältnis mit einer den Scheitel bedeckenden Spitzenhaube auf dem Stopf, ohne ihre Einwilligung nicht zu lösen. Das eben war der crschien. Das war das Dienstmädchen der unlängst in dieser Grund, weswegen Nechljudow sich nicht für berechtigt hielt, Wohnung verstorbenen Mutter Nechljudows, Agrafcua Pe- der Fürstin Kortschagina, selbst wenn er es gewollt hätte, frowna, die bei dem Sohne in der Eigenschaft einer Haus einen Antrag zu machen. hälterin geblieben war.
Agrajena Petrowna hatte zu verschiedenen Zeiten im ganzen wohl zehn Jahre im Auslande zugebracht und besaß um das Aussehen und die Manieren einer Dame. Sie lebte
Auf dem Tisch lag gerade ein Brief vom Manne dieser Fran. Als Nechlindow die Handschrift und das Monogramm sah, wurde er rot und verspürte sofort jenen Stoß im Innern, den er stets beim Herannahen einer Gefahr fühlte. Aber seine