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Nach den Bemühungen einer Viertelstunde bekam ich ihr kleines, graues, würdiges Haupt durch ein Fenster hinaus. Aber ins Haus hineinzukommen, war einfach unmöglich. Sie hätte schon Gäste im Vorratszimmer und in der Mädchenstube liegen.

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herzigkeit und Findigkeit an. Also vorwärts Marsch!" zu Grau Mit diesen orten schilderte der Botaniker Ferdinand Cohn Svensson. das langsame Vorschreiten des Frühlings. In diesem Jahre hat er sich bei uns sogar vom Kalender überholen lassen, denn wer wenige Tage nach dem kalendermäßigen Frühlingsanfang mit uns auszog, um den ersten Blütenstrauß im Freien zu pflücken, erlebte neben manchem Frühlingszeichen auch manche Enttäuschung. Da waren Birken, die von den fallenden Aesteit schneebrüchiger Kiefern ge­troffen und verletzt worden waren und ans deren Wunden der bes tannte Birkensaft in Menge ausgetreten war in langen Eis­zapfen hing er von den Wundstellen herab, gleichsam ein Frühlings­zeichen, dem der Winter noch einmal einen Stempel aufgedrückt hatte.

Wenn Frau Holm noch niemals eines betrübten Mannes letzte Hoffnung auf Erden gewesen, so war sie es mun. Nachdem ich ein paar Mat irre gegangen, stand ich schließlich vor einer halb geöffneten Entreethir, hinter der ich in der hellen Sommernacht eine Frau

bemerkte.

Ihre Barmherzigkeit schien etwas größer zu sein, als die ge­wöhnlicher Menschen aber alle Winkel wären voll.

Siebenmal komplimentierten wir hin und her, und ich stellte es ihr anheim, einen beliebigen Preis zu verlangen oder für den Zweck Freunde oder Freundesfreunde um Hilfe anzugehen. Im Notfalle hätte ich in der Sakristei der Kirche geschlafen und für diesen Fall gern dem Tempel eine fleinere Zier als Dankbarkeits­beweis gespendet.

Mein tiefer Ernst imponierte schließlich Frau Holm. Nachdem fie an der Thür zum nächsten Zimmer mit einer jüngeren Frauen­stimme geflüstert hatte, sagte sie entschlossen:

Der Herr soll im Bett meiner Tochter schlafen!" ind als ich im tiefen Gefühl meiner Dankbarkeit schwieg, fagte fie, dieses Schweigen mißdeutend:

Natürlich nehme ich das Mädchen zu mir! Gehen Sie vielleicht noch ein Weilchen drüben auf dem Kirchhof auf und ab, bis wir das Bett men bezogen haben."

Fräulein Holms Kemenate war sehr niedlich und besaß kein Fenster, da sie früher als Holzstall benutzt war.

Ein moderner Schulhygieniker hätte kaum geduldet, daß ein Mensch von 142 Kilo dort schliefe.

Das Sofa, auf dem mir das sehr prunklose Lager bereitet wurde, war auch recht flein ; mit einem Wort: ich konnte Frau Holms flugen Einfall, ihr Kind zu sich hineinzunehmen, gar nicht genug preisen.

Als ich am Morgen aufstand, das Herz von Dankbarkeit erfüllt und mit schiveißtriefendem Leibe, Ilopfte Frau Holm an die Thür und drückte die Hoffnung aus, daß ich gut geschlafen und dabei nicht vergessen hätte, daß der Ausgang durch ihr und ihrer Tochter Zimmer führe. Wenn ich mich aber in das Gewimmel der Boule­vards des Städtchens für ein Weilchen mischen wollte, würden die Damen gern Toilette und das Entree passierbar machen.

Meine Nachtruhe war nur gering gewesen, ich hatte Sommer­ferien, die kleine Stadt sprach mich an und daher beschloß ich, noch einen oder zwei Tage dazubleiben und mich auszuruhen, da die Marktleute doch wohl am Vormittag abreisten, so daß ich ein Zimmer bekommen könnte, daß unter andren noiwendigen Gegenständen auch ein Fenster besaß.

Später am Morgen machte ich die Bekanntschaft meiner Wirts Teute. Mama war eine Frau von fünfzig Jahren, mit einem Be nehmen, daß nach den lokalen Verhältnissen wohl Dame" genannt werden konnte, und das Mädchen war einige zwanzig alt und ganz stattlich und hatte, wie die Mutter, einen Auflug von dem, was man " Erziehung" nennt.

Es war ein herrlicher Tag. Ich saß träumend auf einer Bank des Kirchhofs und dachte an die Vergänglichkeit aller Dinge, als plötzlich hinter mir ein Geflapper wie von Porzellan ertönte und eine freundliche Stimme fragte:

" Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffe anbieten?"

Da stand Frau Holm mit Tasse und Kaffe mitten auf dem Kirchhof!

"

Nein, nun muß ich fort zum Mittag!" rief Frau Holm, als die Turmuhr elf schlug.

( Schluß folgt.)

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Noch immer waren es unscheinbare Blüten, aber keine Blumen", die 11115 daran erinnerten, daß der Kreislauf der Jahreszeiten wieder begonnen habe. Waren die Gräben am Waldwege auch zugefroren, tot und starr, so hingen doch unzählige blühende Kätzchen an den zahlreichen, von munteren Meisen belebten Haselsträuchern herab. Was sollten im frostigen Vorfrühling auch bunte Blumen, in denen der Botaniker keine dem Menschen zu Liebe geschaffene Augenweide erblickt, sondern Lockapparate, bestimmt, den Flug der nach Blütenhonig ausschwirrenden Insekten anzuziehen? So lange für den größten Teil der geflügelten Insekten noch Schlafenszeit herrscht, muß ein andrer Faktor die Rolle der Ver­breitung des Blütenstaubs von Blüte zu Blüte übernehmen der Wind. So find die Haseln und Erlen, die Birken, Pappelu und Weiden sogenannte Windblüher.

Wir haben inzwischen einen uns bekannten Standort der blauen Anemone, Leberblümchen genannt, erreicht und begeben uns auf die Suche. Ueberall raschelt das trockne Buchenlaub unter unsren Füßen und nach einigen Minuten vergeblichen Suchens glauben wir bereits, noch zu früh gekommen zu sein. Aber unser Begleiter ist glücklicher gewesen und sein Freudenruf lenkt unsre Schritte nach einer andren Stelle, wo mus hier und dort die niedlichen blauen Sterne ents gegenleuchten. Es sind die Frühaufsteher unter den Blumen, denn die weißen und gelben Anemonen, das Lungenkraut und andre Frühlingsblumen des Buchenwaldes zeigen erst geringe Anfänge. Sie alle müssen zwar erblühen, ehe die Belaubung der Buchen den Waldboden in Echatten tauchen und den Blumen Licht und Luft rauben würde, aber bis dahin ist noch gute Weile! Die spitzen Knospen der Buchen finden wir noch fest geschlossen und wir freuen uns um so mehr, daß das Leberblümchen sich ohne Not den Schlaf so früh aus den Augen gerieben hat. Bald fallen uns auch feine Blätter in die Augen, von zierlich dreilappiger Gestalt und etwas lederartig, so daß sie an Ephenblätter erinnern. Diese derbe Beschaffenheit gestattet ihnen auch die Ueberwinterung. Die eigen­tümliche Form des Blattes soll unter Aufivendung einiger Phantasie an die Lebergestalt erinnern. Daher stammt auch der Name des Pflänzchens, der an die Blütezeit der sogenannten Signatur Ichre erinnert. Damals, im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, suchte man nach Aehnlichkeiten zwischen Blättern und Blüten der Pflanzen und Teilen des menschlichen Körpers, um auf diesem Wege von höheren Mächten bestimmte Heilmittel gegen allerlei Krankheiten zu finden. Das Leberblümchen mußte als un­fehlbares Mittel gegen Leberleiden herhalten, Herzförmig gestaltete Pflanzenteile waren dazu bestimmt, Herzen zu heilen usw. So manche Namen sind auf diese Weise noch erhalten; wir haben ein Milzkraut, Gauchheil, Wohlverleih 2c. Das Leberblümchen heilt keine Leberleiden, aber wem es vergönnt ist, das blaue zarte Blümchen draußen unter den Buchen zu finden, dem treibt es die winterlichen Grillen in die Flucht.-

Kulturgeschichtliches.

Ich habe ja bereits gesagt, daß die Stadt flein und patriarchalisch k. Das Leben in Badeorten in früheren Jahre war, und daß Fran Holm dicht neben dem Friedhof wohnte. Aber hunderten. In dem neuen Buche Der Arzt und die Heilkunst trogdem in der deutschen Bergangenheit" von Hermann Peters findet sich Schen Sie, wir betrachten den Kirchhof ganz als unfren über das Badeleben in den vergangenen Jahrhunderten folgende Garten. Hier ist es so hübsch..." sagte Frau Holm ent- Busammenstellung von Zeugnissen und Angaben aus jener Zeit: schuldigend. In manchen Badeorten waren in den Sommerinonaten so viele Ich bin nicht abergläubisch; ich machte es wie Dietrich, ich Gäste, daß die Wohnungen nicht ausreichten und die Kurgäste in schwieg und trant", da die Frau auch für sich und ihre Tochter Zelten lagen. Von Pyrmont wird aus dem 17. Jahrhundert erzählt, Tassen holte. Fühlte sich einer der unter dem grünen Rasen daß aus Mangel an Schlafstellen die Hälfte der Gesellschaft nur bis Schlummernden verletzt, müssen wir es halt mit einander abmachen, Mitternacht schlief, während die andre Hälfte, welche bis dahin dem wenn wir uns in einer andern Welt wiedersehen. Vergnügen nachging, alsdann zur Ablösung erschien. Mit der Ver­pflegung war es in vielen Bädern ebenso recht mangelhaft. So flagt der Nürnberger Kaufmann B. Paumgartner im Jahre 1591 von Karlsbad in einem Briefe: Sonst ist es allhie wahrlich ein sehr sprödes Wildbad, da umbs Geld doch gar nichts zu bekommen, schier weder Wein noch Bier allhie hat". Derselbe Gewährsmann besuchte im Jahre 1584 das Wildbad bei Lucca und berichtet über sein dortiges Badeleben in erhalten gebliebenen Briefen an seine Frau: Und trint all Morgen früe nüchtern 2/3 Maß. Jm Leib ein Gerümpel macht; macht mich aber im wenigsten gar nicht matt, als sonst die Purgatzen zu thun pflegen". Da sein Kopfiveh nicht abnimmt, wendet er sich an drei Aerzte. Ueber ihren Nat schreibt er seiner Gattin:" Das fürnemst aber ihrem Fürgeben nach gewest wäre, ( wenn) ich dem Wildbad als mit Baden und Docciren( Douchen), als dasselbe Wasser auf die Hirnschalen, all Tag zwei Stund laufen, desgleichen auch an den Magen rinnen laffen, recht und besser aus­gewartet hätt". Am Ende des 16. Jahrhunderts machte man die ersten Versuche, die Zusammensetzung der Mineralwasser kennen zu lernen.

Kleines Feuilleton.

Ik. Vorfrühling. Aus seiner Heimat, den glücklichen Jufeln der Tropen, nimmt alljährlich ein Reisender seinen Weg nach dem Norden. Ohne Baß und Accreditiv wandernd, wird er überall mit Jubel begrüßt von den sehnsuchtsvoll auf ihn harrenden Völfern. Ueberall werden ihm Blumen auf den Weg gestrent; eine Kapelle von fröhlichen Vogelstimmen begleitet ihn. Er reist bequem und langsam; die alte Reichs- Postschnecke fönnte ihn überholen; jeder Eisenbahnzug läßt ihn im Fluge zurüd; ein rüstiger Fußgänger vermag mit ihm Schritt zu halten; man nimmt an, daß er täglich im Durchschnitt mir etwa um vier Meilen dem Nordpol zuivandert.-