Unterhaltungsblatt des Borwärts

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Auferstehung.

Mittwoch, den 23 Mai.

( Nachdruck verboten.)

od Roman von Leo Tolstoj  .

1900

Ja, Herr, unser Leben ist schlecht, sehr schlecht, was ist darüber zu reden," sagte der Alte. Wo schleicht Ihr hin!" schrie er die in der Thür Stehenden an.

"

Nvn, lebt wohl", sagte Nechljudow, der Unbehaglichkeit Ich hab hier min zwölf Menschen," fuhr der Alte fort und Sajam empfand, über deren Ursache er sich keine Rechen und deutete muf zwei Weiber, die mit herabgerutschten Kopfschaft gab. tüchern, schwibend und aufgeschürzt, mit nackten Waden auf einem Vorsprung standen und Mistgabeln in der Hand hielten. der Alte. Was nicht so ein Monat ausmacht; da kauf mal einer sechs

Bud Brot, woher soll man die nehmen?"

"

Reicht denn Dein eignes nicht aus?"

Mein eignes?!" wiederholte, der Alte mit verächtlichem Spott. Ich habe Land für drei Seefen, und dieses Jahr haben wir im ganzen acht Fuder geerntet. Nicht bis Weih­nachten hat's gereicht."

Also was macht Ihr dann?"

Wir machen es so, daß einer als Arbeiter weggegeben wird; haben auch von Euer Gnaden noch Geld geborgt. Bis Fastnacht ist schon alles im voraus behoben, aber die Abgaben find noch nicht bezahlt."

.Und wieviel betragen die?" Ja, von meinem Hofe sollen siebzehn Rubel in drei Malen im Jahr zusammenkommen... Ach, behüte Gott  das Leben, man weiß selbst nicht, wie man sich durch schlägt!" Hudow. Warum denn nicht, tritt ein," sagte der Alte, lief mit schnellen Schritten seiner bloßen Füße an Nechljudow vorbei und öffnete ihm die Hüttenthür.

Kann ich zu Euch in die Hütte treten?" fragte Nech­

Die Frauen schoben die Tücher auf den Köpfen zurecht, ließen die Röcke herunter und schauten mit Schrecken auf den sauberen Herrn mit goldenen Knöpfen an den Manschetten, der in ihr Haus eintrat.

Zwei Mädchen in schlechten Hemden sprangen zur Hütte hinaus. Nechljudow bückte sich, nahm den Hut ab und trat in den Flur und in die nach fäuerlichem Essen riechende, schmutzige und enge, von zwei Webstühlen eingenommene Hütte. In der Hütte am Ofen stand eine Alte mit auf gekvempten Aermeln, die ein paar magere, nervige, verbrannte Arme sehen ließen.

.Da ist unser Herr, der als Gast zu uns kommit," sagte der Alte.

Ei, seid uus willkommen," sagte die Alte freundlich und streifte die aufgekrempten Aermel herunter.

Ich wollte einmal nachsehen, wie ihr wohut," sagte Nechljudow.

" Ja, wir wohnen so, wie Du sichst. Die Hütte will ein­stürzen; sie wird schon noch jemand totschlagen. Aber der Alte fagt, sie ist so gut. So leben wir und sterben wir," sagte die muntre Alte und nichte nervös mit dem Kopfe. Jekt will ich gleich das Mittagessen herrichten. Muß dem Arbeits bolt zu efsen geben."

Was werdet Ihr denn essen?"

,, Was wir essen?" Unfre Speise ist gut. Der erste Gang: Brot und Sanerbier und der zweite: Sauerbier und Brot," sagte die Alte und entblößte ihre zur Hälfte ab­genutzten Zähne.

Nein, ohne Scherz. zeigt mir, was Ihr heute essen

werdet."

Essen?" sagte der Alte lachend. Unser Essen ist nicht übel. Zeig' ihm, Alte."

Die Alte schüttelte den Kopf.

Möchtest unser Mushitessen sehen? Bist ein widerwärtiger Herr, wenn ich Dich so ansehe. Alles mußt Du wissen. Hab' gefagt: Brot mit Sauerbier, und dann noch Stohlsuppe; Geißfuß haben die Frauen gestern gebracht, das ist unser Kohl; nachher Kartoffeln."

"

Und weiter nichts?"

Was denn noch? Das rühren wir mit Misch an," sagte die Alte lachend und schaute nach der Thür.

Die Thür sted offen und der Flur war voll Wolf: Kinder, Mädchen, Frauen mit Brustkindern drängten sich in die Thür und schauten auf den wunderbaren Herrn, der das Mushitessen besichtigte. Die Alte war augenscheinlich stolz auf ihre Geschicklichkeit, mit dem Herrn umzugehen.

Wir danken ergebenst, daß Du uns besucht hast," sagte

Nechljudow durch. Er trat auf die Straße und schritt sie ent

Das Volf im Flur drängte sich zusammen und ließ lang. Hinter ihm traten zwei barfüßige Knaben aus dem Flur: der eine, ältere im schmutzigen, einst weiß gewesenen Hemd, und der andre in einem engen, verschossenen rosaroten. Nechljudow sah sich nach ihnen um. Wo gehst Du denn jetzt hin?" fragte der Kurabe im weißen Hemd.

Zur Matriona Charina," sagte er. Wißt ihr die?" Der kleine Knabe im rojaroten Hemd fing an über irgend etwas zu lachen, der ältere aber fragte ernsthaft nach: ,, Welche Matrjona? Ist sie alt?"

am

wir

a, sie ist alt."

0-0," meinte er gedehnt, das ist die Semjonicha, die Ende des Dorfes. Wit bringen Dich hin. He, Fedta, bringen ihn hin."

Aber die Pferde."

O, die thun nichts."

Fedka willigte ein, und sie schritten zu dreien das Dorf hinan. C

Fünftes Kapitel.

Nechljudow fand es angenehmer bei den Knaben als bei den Erwachsenen, und er unterhielt sich unterwegs mit ihnen. Der Kleine im rosaroten Hemd hörte auf zu lachen und sprach ebenso verständig und ausführlich wie der ältere.

Nun, wer ist denn bei Euch der Allerärmste?" fragte Nechljudow.

Wer arm ist? Michail ist arm, Sjemen Makarow, und dann Marfa   ist noch mehr arm."

Und Anisja ist auch arm. Anisja hat feine Ruh, fie geht bettelu."

Sie hat keine Kuh, aber dafür sind sie im ganzen nue drei, aber Marfa   ist zu fünfen," erwiderte der ältere. Aber die andre ist Witwe," verteidigte der rosarote Knabe Anisja.

Du fagst: Auisja ist Witive, aber Marfa   ist genau das selbe wie eine Witive", fuhr der ältere Knabe fort. Sie hat ebenso keinen Mann."

Wo ist denn ihr Mann?" fragte Nechljudow. Lausfutter im Gefängnis," gebrauchte der ältere Stuabe einen ganz gewöhnlichen Ausdruc.

Hat sommers im Herrenvald zwei kleine Birken ab Sett sitt er geschnitten, und da hat man ihn eingesperrt. im sechsten Monat, und die Frau geht betteln; itd drei Kinder und die Alte ist dumm," erzählte der Kuabe aus führlich.

Wo wohnt sie?" fragte Nechljudow.

..Da ist gerade der Hof." antwortete der Knabe und deutete auf ein Haus, vor dem ein winziger, weißköpfiger Knabe, der sich mit Austrengung auf seinen fruminen, in den Knieen nach außen gebogenen Beinen hielt, unsicher auf der Straße stand, eben auf dem Fußweg, auf dem Nech­ljudow ging.

Waska, Du Rader, wo bist Du hingelaufen!" schrie ein Weib, das im schmußig grauen, wie mit Asche bestreuten Hemd aus der Hütte gelaufen fam. Sie stürzte mit erschrecktem Ge ficht vor Nechljudow. hiu, nahm das Kind auf und trug es fort in die Hütte, als fürchtete sie, Nechljudow würde ihrem Stind etwas zu Leide thin.

Das war dasselbe Weib, deren Mann wegen der Birken aus Nechljudovs Wald im Gefängnis saß.

Nun, aber diese Matrjona, ist die arm?" fragte Nech ljudow, als sie an die kleine Hütte Matrjonas kamen.

..Wie ist die wohl arm: sie handelt mit Schnaps," er widerte der rojarote magere Knabe bestimmt.

Bei Matrjonas Hütte entließ Nechljudor die Knaben und trat in den Flur und dann in die Hütte. Die Bauernhütte der alten Matriona war sechs Ellen lang, so daß auf dem