Anterhaltungsblatt des Borwärts

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Auferstehung.

Sonntag, den 3. Juni.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Leo Tolstoj  .

Einerlei. Sie sollen sich nicht in fremde Angelegenheiten mischen. Das ist keine Beschäftigung für Frauen."

C

Nun, Du findest doch, daß Marietta sich mit diesen Sachen beschäftigen darf," sagte Nechljudow.

,, Marietta ist eben Marietta. Aber da will plöglich, Gott   weiß wie, irgend so ein hergelaufenes Ding alle Welt belehren.

nicht."

"

Nicht belehren, sondern einfach dem Volfe helfen." Man weiß ohne ste, wer Hilfe nötig hat und wer Aber das Volk leidet doch Not. Sich; ich komme so eben vom Lande. Ist denn das notwendig, daß die Bauern fich um ihre letzten Kräfte arbeiten und sich nicht satt essen, damit wir in schrecklichem Lurus leben?" sagte Nechljudow, in dem die Gutmütigkeit der Tante den Wunsch erweckt hatte, ihr alles zu sagen, was er dachte.

" Ja, du willst wohl, daß ich arbeite und nichts esse." Nein, ich will nicht, daß du nichts ißt." erwiderte Nech Hudow unwillkürlich lächelnd, ich will nur, daß wir alle arbeiten und alle essen."

Die Tante hatte wieder die Stirn und die Pupillen gesenkt und ließ jetzt ihren Blick voll Neugierde auf ihm ruhen.

Mein Freund, du wirst schlecht enden," sagte sie. Warum denn?"

In diesem Augenblick trat ein hoher. breitschultriger General ins Zimmer. Das war der Gemahl der Gräfin Tscharskaja, ein Minister außer Dienst.

Ah, Dmitri, guten Tag!" sagte er und bot ihm die frisch rasierte Wange dar. Wann bist Du gekommen?" Er füßte seine Frau schweigend auf die Stirn. ,, Nein, er ist unbezahlbar," wandte sich die Gräfin Jekaterina Jwanowna an ihren Mann. Er will mich an den Fluß schicken, um Wäsche zu spülen, und essen soll ich nur Startoffel. Er ist ein schrecklicher Thor, aber thu ihm schon zu Gefallen, um was er Dich bittet. Er schwärzt sich schrecklich an," verbesserte sie sich. Hast Du gehört: Die Kamenskaja soll ja in solcher Verzweiflung sein, daß man für ihr Leben fürchtet," wandte sie sich an ihren Mann. Du hättest zu ihr fahren sollen."

" Ja, das ist schrecklich," sagte der Mann. Nun, Du kannst mit ihm sprechen, ich muß Briefe schreiben."

1900

für irgend etwas er erhielt, und je häufiger er mit hoch­stehenden Personen beiderlei Geschlechts spräche und mit ihnen zusammenträfe- es um so besser für ihn sein würde. Alles übrige hielt Graf Iwan Michailowitsch im Vergleich mit diesen Grunddogmen für nichtig und uninteressant. Alles übrige konnte so oder ganz entgegengesetzt sein. In Gemäß­heit dieses Glaubens lebte und wirfte Graf Jwan Michailowitsch seit vierzig Jahren in Petersburg   und hatte nach Verlauf dieser vierzig Jahre den Posten eines Ministers erreicht.

Die Haupteigenschaften des Grafen Jwan Michailowitsch. mittels deren er das erreicht, bestanden erstens darin, daß er den Sinn geschriebener Papiere und Geseze verstand, und, wenn auch unverständlich, brauchbare Schriftstücke aufzusetzen und ohne orthographische Fehler zu schreiben verstand; zweitens darin, daß er übermäßig repräsentierte und, wenn nötig, eine nicht nur stolze, sondern auch unzugängliche und majestätische Miene auffezen, erforderlichenfalls aber auch friecherisch bis zur Gemeinheit sein konnte; drittens darin, daß er keine allgemeinen Principien oder Maximen hatte, weder moralische noch staatliche, und daß er deswegen, wenn es nötig war, mit allen einer Meinung sein, erforderlichenfalls aber auch mit allen verschiedener Meinung sein konnte. Indem er so handelte, bemühte er sich nur, den richtigen Ton zu wahren und keinen krassen Widerspruch mit sich selbst auf kommen zu lassen; ob aber seine Handlungen an und für sich moralisch oder unmoralisch waren, ob aus ihnen das Heil oder ungeheurer Schaden für das russische Reich oder für die ganze Welt erwuchs, dagegen war er vollständig. gleichgültig.

Als er Minister wurde, waren nicht mir alle Leute ,, die von ihm abhingen und es hingen von ihm eine ganze Menge Beamte und viele von seinen Nächsten ab­sondern auch alle Unbeteiligten und er selbst davon überzeugt, daß er ein sehr verständiger Staatsmann sei.

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Als aber eine bestimmte Zeit verstrichen war und er nichts organisiert, nichts vorgezeigt hatte, und nach dem Gesetz des Kampfes ums Dasein genau solche Beamte wie er, die ebenso zu schreiben und Papiere zu verstehen gelernt hatten, und ebenso repräsentabel und principienlos waren, ihn ver drängten und er seinen Abschied nehmen mußte da wurde allen klar, daß er nicht nur kein besonders verständiger, sondern ein sehr beschränkter und wenig gebildeter, wenn auch sehr selbstüberzeugter Mensch war, der sich mit seinen An­schhauungen kaum bis zum Leitartikelniveau konservativer Blätter erhob. Es zeigte sich, daß er gar nichts besaß, was ihit von den andern wenig gebildeten und selbstüberzeugten Be amten, die ihn verdrängt hatten, unterschied, und er selbst sah das ein; aber in seiner Ueberzeugung, daß er jedes Jahr mehr Staatsgeld und neue Orden erhalten müßte, machte ihn das durchaus nicht schwankend. Diese Ueberzeugung war fo fest, daß nicht einer den Mut hatte, ihm diese Dinge zu Dann lasse ich noch offen, was Du wegen der Ge- verweigern; und er erhielt, teils als Penfion, teils als Be schorenen wünschst, sie wird ihren Mann schon instruieren. lohnung dafür, daß er Mitglied einer Staatseinrichtung und Und er thut es. Glaub' nicht, daß ich böse bin. Deine Vorsitzender aller möglichen Vereine und Gesellschaften war, Schußbefohlenen sind mir zwar in der Seele zuwider, aber ich jedes Jahr einige zehntausend Rubel, und außerdem von ihm will ihnen nichts Böses. Gott   behüte sie. Nun geh. Aber hochgeschätzte Rechte: neue Tressen auf seine Schultern und abends sei bestimmt zu Hause. Du hörst Kiejewetter. Dann Hosen aufnähen und Ordensbänder und Emailleſterne ait beten wir. Und wenn Du nicht widerstre bst, wird Dir das seinem Frack befestigen zu dürfen. Infolgedessen hatte Graf sehr gut sein. Ich weiß ja, Helene und Ihr alle seid darin Jwan Michailowitsch sehr hohe Verbindungen. sehr zurückgeblieben. Also auf Wiedersehen,"

Nechljudow war kaum in das Zimmer neben dem Besuchs zimmer getreten, als sie ihm von dort zurief:

"

Also soll ich Marietta schreiben?"

Bitte, liebe Tante."

Fünfzehntes Kapitel.

Graf Jwan Michailowitsch war Minister außer Dienst und ein Mann von festen Grundfäßen.

Er hörte Nechljudow so an, wie er einst die Vorträge seines Ressortchefs angehört hatte, und sagte dann, er werde ihm zwei Schreiben geben, eins an den Senator Wolf von der Kassationsabteilung.

Die Urteile über ihn lauten verschieden, aber jedenfalls ist er ein Mann comme il faut," sagte er. Auch ist er mir verpflichtet und wird schon thun, was er kann."

Die Grundsäße des Grafen Jwan Michailowitsch bestanden darin, daß, wie dem Vogel eigen ist, sich von Würmern zu nähren, mit Federn und Daunen bekleidet zu sein und durch Der zweite Brief, den Graf Iwan Michailowitsch Nechlindow die Luft zu fliegen, so ihm von klein auf eigen war, sich von gab, war an eine einflußreiche Persönlichkeit in der Kommission teuren Speisen, die von teuren Köchen zubereitet waren, zu für Bittgefuche gerichtet. Die Angelegenheit der Fedosia nähren, die allerbequemiste und teuerste Sleidung zu tragen, Birinkowa, wie Nechljudow sie ihm erzählte, interessierte ihn und mit den allerfeinsten und schnellsten Pferden zu sehr. Als Nechljudow ihm mitteilte, er wolle darüber der fahren. Alles das mußte deshalb stets für ihn in Bereit Kaiserin einen Brief schreiben, sagte er, der Prozeß sei wirklich schaft stehen. Außerdem glaubte Graf Jwan Michailowitsch, sehr rührend und man könne ihn bei Gelegenheit einmal er­daß, je mehr Geldbezüge aller Art aus der Kronkasse, und zählen. Aber versprechen könne er nichts. Die Bittschrift je mehr Orden einschließlich der diamantenen Ordenszeichen l ginge ihren Gang." Wenn aber, dachte er, die Gelegenheit

"