Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 112.

62] po Auferstehung.

Mittwoch, den 13. Juni.

Nachdruck verboten.)

Roman von Leo Tolstoj .

1900

nach Absolvierung seines Studiums systematisch alle Arten von Thätigkeiten durch, denen er feine Straft widmen konnte, und kam zu der Entscheidung, daß er sich am allernützlichsten in der zweiten Abteilung gerade der Kanzlei Seiner Majestät des Kaisers machen würde, die mit der Ausarbeitung von Der Senat hat nicht das Recht, das auszusprechen. Gesetzen betraut war. Hier trat er ein. Aber trotz der aller­Wenn der Senat sich erlaubte, gerichtliche Urteile auf Grund genauesten und gewissenhaftesten Ausführung alles dessen, was von ihm verlangt wurde, fand er in dieser Stellung keine seiner Auficht von der Gerechtigkeit des Urteils zu fassieren, würde, Befriedigung seines Verlangens, sich nüßlich zu machen, und ganz abgesehen davon, daß der Senat jeden festen Stützpunkt konnte in sich nicht das Bewußtsein hervorrufen, daß er seine verlieren und Gefahr laufen würde, der Gerechtigkeit eher im Schuldigkeit thäte. Diefe Unzufriedenheit verstärkte sich infolge Weg zu sein, als sie wieder herzustellen," sagte Seljonin mit einiger Zusammenstöße mit den sehr kleinlichen und ehr Bezug auf den vorher verhandelten Prozeß: ganz abgesehen geizigen nächsten Vorgesetzten so sehr, daß er aus der zweiten davon würde der Schiedsspruch der Geschworenen seine ganze Abteilung austrat und in den Senat überging. Im Senat Bedeutung verlieren." " Ich weiß nur eins, daß dieses Weib vollständig un- ging es ihm besser, aber dasselbe Bewußtsein der Un­schuldig und die legte Hoffnung, sie vor unverdienter Strafe zufriedenheit verfolgte ihn auch hier. Er fühlte unaufhörlich. zu bewahren, verloren ist. Der oberste Gerichtshof hat hier daß hier ganz und gar nicht war, was er erwartet hatte und was sein mußte. Hier, während seiner Thätig. eine vollkommene Ungesehlichkeit bestätigt." feit im Senat, Bestätigt hat er sie nicht, weil er eine Untersuchung den Posten als Kammerjunker, und er mußte in gestickter verschafften ihm seine Verwandten der Sache selbst nicht vorgenommen hat und gar nicht Uniform hinfahren und verschiedenen Leuten dafür danken, daß vornehmen kann," sagte Seljonin, mit den Augen blinzelnd. sie ihm die Stellung eines Lakaien verschafft hatten. Jetzt Du bist sicher bei Deiner Tante abgestiegen," fügte er hinzu, fühlte er noch mehr als im Amte, daß dieses nicht das offenbar im Wunsche, das Gespräch zu ändern. Ich habe Richtige" war, aber dabei konnte er einmal auf den Posten gestern erfahren, daß Du hier wärft. Die Gräfin Jekaterina nicht verzichten, um nicht diejenigen zu kränken, welche über­Swanowna hatte mich eingeladen, mit Dir zusammen der Rede eines fremden Predigers beizuwohnen", sagte Seljonin, beugt waren, daß sie ihm dadurch einen großen Gefallen eriviesen, und sodann schmeichelte diese Ernennung den mur mit den Lippen lächelnd. dolgot niederen Instinkten seiner Natur: es machte ihm Vergnügen, sich im Spiegel in einer goldgestickten Uniform zu ſehen und die Verehrung zu genießen, welche diese Ernennung bei einigen Lenten hervorrief.

"

" Ja, ich war dort, bin aber mit Abscheut fortgegangen," sagte Nechljudow böse; er ärgerte sich darüber, daß Seljonin die Unterhaltung auf einen andren Gegenstand brachte.

Nun, warum denn mit Abscheu? Es ist doch immerhin ein religiöses Gefühl, wenn auch ein einseitiges, ſettierer haftes; das da zur Erscheinung fommt," sagte Seljonin.

Ganz dasselbe geschah mit ihm bei seiner Verheiratung. Man besorgte ihm eine in den Augen der Welt glänzende Partie. Und er heiratete hauptsächlich deshalb, weil er durch Es ist einfach toller Blödsinn," sagte Nechljudow. " Nein. Das ist es nicht. Sonderbar ist hier nur, daß Nein. Das ist es nicht. Sonderbar ist hier nur, daß eine Absage sowohl die Braut, die diese Ehe wünschte, wie wir die Lehre unsrer Stirche so wenig kennen, daß wir unsre auch diejenigen, die sie eingefädelt, getränkt und ihnen weh eigentlichen Grunddogmen für eine neue Offenbarung halten," gethan hätte; dann aber auch deswegen, weil die Heirat sagte Seljouin, der sich gleichsam beeilte, den früheren Freunde eines jungen, lieblichen, vornehmen Mädchens seiner Eigenliebe schmeichelte und und ihm Vergnügen bereitete. feine ihm neuen Ansichten beizubringen.olden ond

Nechljudow schaute mit erstaunter Aufmerksamkeit das Richtige", wie das Amit und die Stellung bei Hofe. mit erstaunter Aufmerksamkeit Die Ehe erwies sich aber sehr bald noch weniger als Seljonin an. Seljonin tuandte seine Augen nicht ab, in nach dem ersten Kinde wollte die Frau feine Kinder mehr denen nicht nur Summer, sondern auch Uebelwollen zum haben, sondern ein glänzendes Leben in der Gesellschaft

Ausdruck fam.

Glaubst Du denn an unsre Kirchendogmen?" fragte

Nechljudow.

"

Gewiß glaube ich daran," erwiderte Seljonin und schaute mit einem leblosen Blick gerade in Nechlindows Augen. og

führen, an dem auch er wohl oder übel teilnehmen mußte.

Troßdem sie hierdurch ihrem Mann das Leben vergiftete und selbst nichts als schreckliche Anstrengungen und Ermüdung von fort. All seine Versuche. diese Lebensweise zu ändern, scheiterten, einem solchen Leben hatte, setzte sie es dennoch geflisfentlich vie an einer ſteinernen Wand, an ihrer festen Ueberzeugung, in der sie von allen Verwandten und Bekannten bestärkt wurde, daß es so sein müsse.

Nechljudow: fenfzte. Das ist sonderbar," sagte er. llebrigens werden wir uns später sprechen," sagte Seljonin, Ich tomme," wandte er sich an den Gerichts kommissar , der ehrerbietig an ihit herantrat. Wir müssen Beinen, war dem Vater vollständig fremd, namentlich des Das Kind, ein Mädchen mit langem Goldhaar und bloßen uns unbedingt sehen," fügte er mit einem Seufzer hinzu. wegen, weil es ganz und gar nicht so gehalten wurde, wie Aber wird man Dich vorfinden? Mich triffst Du immer um er es wünschte. Zwischen den Gatten entstand das gewöhn sieben Uhr zum Mittagessen Nadeshdastraße" er nannte liche Sich- nicht- verstehen und sogar der Wunsch, sich nicht zu die Nummer. Ist viel Wasser seitdem zu Thal geflossen," verstehen; dann begann in der Stille ein schweigender, vor schloß er beim Fortgehen, wieder mur mit den Lippen Unbekannten verheimlichter und durch den Anstand gemäßigter Lächelnd.

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" Ich komme, wenn ich kann," sagte Nechlindow im Ge­fühl, daß ein ihm einst naheftender und lieber Mensch, Seljonin, ihm plöglich infolge dieser kurzen Unterhaltung fremd, fern und unverständlich, wenn nicht feindlich ge

worden war.

tae Dreiundzwanzigstes Rapitel.

Als Nechljudowe mit Seljonin als Student verkehrte, war dieser ein braver Sohn, ein trener Gefährte und ein für seine Jahre fein gebildeter Weltmann mit großem Zaftgefühl, stets elegant und hübsch, dabei ungewöhnlich aufrichtig und ehren haft gewesen. Er studierte ohne besondere Mühe und ohne jede Pedauterie; dabei erhielt er goldene Medaillen für seine Arbeiten.

Er hatte sich nicht nur mit Worten, sondern in Wirklich teit zum Ziel seines jungen Lebens gesteckt, den Menschen zu dienen. Diesen Dienst stellte er sich nicht anders als in der Form des Staatsdienstes vor, und deshalb ging er alsbald

"

Am

Kampf, der Seljonin zu Hause das Leben sehr schwer machte. So erwies sich denn das Familienleben noch weniger als das Richtige", wie das Amit und die Stellung bei Hofe. allerwenigsten erwies sich aber als das Richtige" feine Stellung zur Religion. Wie alle Leute seines Streifes und seiner Zeit zerriß er durch das Wachsen seiner Vernunft ohne jede Anstrengung die Fesseln religiösen Aberglaubens, in denen er erzogen war, und wußte selbst nicht genau, wann er sich ihrer entledigt hatte. Ernst und aufrichtig wie er war, verbarg er in seiner Jugend und während seiner Freund­schaft mit Nechljudow als Student seine Verwerfung der Religion nicht. Als er aber mit den Jahren in höhere Stellungen aufrückte und besonders als in der Gesellschaft eine Reaktion in konservativer Richtung eintrat, war ihm seine geistige Freiheit im Wege.

Zu Hause, als sein Vater starb, mußte er bei den Toten­meffen zugegen sein; seine Mutter wünschte, daß er faste und zum Abendmahl ging, was die öffentliche Meinung ver