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geben, aber

Der Tisch war jetzt schon zur Hälfte von den Sonnen- Die Soloaten schimpften und stießen die ergeben, aber bös­ftrahlen ergriffen. Es wurde heiß und namentlich schwül in- willig gehorchenden Sträflinge zurecht und zählten sie wiederum. folge der Windstille und des Atmens der Sträflinge, die Als alle wieder übergezählt waren, kommandierte der Eskorte­ebendaselbst im Haufen standen. 01150 Offizier etwas und im Haufen entstand eine Bewegung. Die Na, was ist das; kommt den da gar kein Ende?" sagte schwachen Männer, Frauen und Kinder stürmten aneinander der große, dicke, rote Eskorte- Offizier mit hohen Schultern und vorbei zu den Wagen, begannen ihre Säcke auf dieselben zu furzen Armen, zog den Rauch seiner Cigarette ein und qualmte legen und dann selbst auf sie hinaufzuklettern. Da fletterten unaufhörlich in seinen Schnurrbart, der den Mund verdeckte. hinauf und setzten sich nieder: Frauen mit schreienden Brust­,, Werden ja ganz matt. Woher haben Sie nur so viele Leute findern, fröhliche Kinder, die sich um ihre Pläge balgten, und zufammen bekommen? Sind es noch viele?" mürrische, finstere Sträflinge.

Der Schreiber zählte nach.

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Noch vierundzwanzig Männer und die Frauen." " Nun, was steht Ihr da, rückt heran.... schrie der Eskorte- Offizier den noch nicht aufgenommenen Sträflingen zu, die sich aneinander drängten.

Die Sträflinge standen schon über drei Stunde in Reihe und Glied und nicht im Schatten, sondern in der Sonne, und warteten, bis sie an die Reihe kamen.

Diefe Arbeit ging innerhalb des Gefängnisraumes vor fich; draußen aber, am Thorweg, standen wie gewöhnlich eine Schildwache unterm Gewehr, etwa zwanzig Lastwagen für Sträflingsgepäck und für die Schwachen, an der Ecke ein Haufen Verwandte und Freunde, die das Herauskommen der Sträflinge erwarteten, um sie zu sehen, womöglich mit den Verbannten zu sprechen und ihnen irgend etwas zu übergeben. Zu diesem Haufen gesellte sich auch Nechljudow.

Er stand hier ungefähr eine Stunde. Am Ende der Stunde ertönte hinter den Thorflügeln Kettengeflirr, das Geräusch von Schritten, Kommandostimmen wiederholtes Husten und leises Gemurmel eines großen Haufens. Das dauerte fünf Minuten lang, während deren Aufseher durch das Pförtchen ein und aus gingen. Endlich ertönte ein Kommando.

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Einige Sträflinge nahmen die Müze ab, traten zum Eskorteoffizier und baten ihn um etwas. Wie Nechljudow später erfuhr, baten sie ihn, auf den Wagen steigen zu dürfen. Nechljudow sah, wie der Eskorteoffizier schweigend, ohne die Bittenden anzusehen, an seiner Cigarrette zog, wie er dann plöglich seine kurze Hand gegen einen aus der Reihe ge­tretenen und an ihn herangekommenen Sträfling schwenkte, und wie dieser in Erwartung eines Schlags den rasierten Kopf in die Schultern einzog und von ihm fortsprang.

" Ich will Dir Deine Frechheit schon anstreichen, daß Du daran denken sollst! Gehst zu Fuß!" schrie der Offizier.

Nur einen taumeligen, langen Greis mit Fußfesseln ließ der Offizier auf den Wagen, und Nechljudow sah, wie dieser Greis seine pfannkuchenförmige Müge abnahm, sich bekreuzigte, zum Wagen trat, und wie er dann lange nicht hinaufflettern konnte infolge der Beinschellen, die ihn hinderten, seine schwachen, greisenhaften, festgeschmiedeten Füße heraufzuheben; wie dann eine Frau, die schon auf dem Wagen saß, ihm half, indem sie ihn an der Hand hinaufzog is most note Als alle Wagen mit Säcken gefüllt waren und auf den Säcken diejenigen saßen, denen es gestattet war, nahm der Eskorte- Offizier feine Mütze ab, wischte mit dem Taschentuch die Stirn, die Glaze und den dicken roten Hals trocken und bekreuzigte sich.

Abteilung marsch!" kommandierte er.

Die Soldaten flapperten mit dem Gewehr, die Sträflinge nahmen die Mützen ab und begannen, einige mit der linken Hand, das Kreuz zu schlagen, die Begleiter schrien etwas, die Sträflinge schrien etwas als Antwort, unter den Weibern erhob sich ein Geheul, und die von Soldaten in weißen Kitteln umringte Abteilung bewegte sich vorwärts und wirbelte mit den fetten­gefesselten Füßen Staub auf. Vorauf gingen die Soldaten; hinter ihnen, mit den Ketten klirrend, die gefesselten Gefan­genen, je vier in einer Reihe; hinter diesen die Verbannten; dann die Gemeindeverbrecher, zu je zweien mit den Händen aneinander gefesselt; dann die Beiber. Dann kamen mit den Reisesäcken und den Schwachen beladene Lastwagen, auf deren einem hoch oben ein verhülltes Weib saß, das unauf­hörlich winselte und schluchzte. 16 and bild

Die Thorflügel flogen donnernd auf, das Kettengeklirr wurde hörbarer, auf die Straße marschierten Estortesoldaten in weißen Kitteln unterm Gewehr und stellten sich augen­scheinlich ein bekanntes und gewohntes Manöver im weiten regelmäßigen Bogen vor dem Thorweg auf. Als sie sich auf gestellt hatten, ertönte ein neues Kommando, und mit pfann­tuchenförmigen Müzen auf den rasierten Köpfen, mit Säcken auf dem Rücken, die in Ketten gelegten Füße schwer nach­schleppend und die eine freie Hand schwenkend, während die andre den Sad auf dem Rücken hielt, begannen die Ge­fangenen in Paaren herauszukommen. Zuvorderst schritten die männlichen Zwangsarbeiter, alle in gleichen grauen Hosen und langen Röden mit einem gelben Carreau- auf dem Rücken. Sie alle Junge, Alte, Magere, Dicke, Blasse, Note, Schwarze, Schnurrbärtige, Vollbärtige, Bartlose, Russen, Tartaren, Ebräerkamen fettenrasselnd heraus und schwenkten kühn den Arm, als schickten sie sich an, irgend wohin weit fortzugehen; nachdem sie aber zehn Schritt borwärts gegangen, blieben sie stehen und stellten sich ge- Der Zug war so lang, daß, als die Vordersten schon dem horsam in Viererreihen hintereinander auf. Hinter ihnen Gesicht entschwunden waren, sich erst die Wagen mit den strömten unaufhaltsam ebenso rasierte Leute ohne Fußfesseln, Säcken und den Schwachen in Bewegung setzten. Als die aber die Hände mit Handfesseln zusammengeschmiedet, in eben Wagen sich in Bewegung setzten, stieg Rechljudow in sein solcher Kleidung aus dem Thorweg hervor. Das waren Ver- Fuhrwert, das auf ihn wartete, und befahl dem Kutscher, die bannte. Sie schritten ebenso fühn heraus, machten Halt und Abteilung zu überholen, um auszuschauen, ob nicht stellten sich auch in Viererreihen auf. Dann kamen die bekannte Sträflinge unter den Männern wären, und Gemeindeverbannten. Dann die Weiber, auch in bestimmter dann die Maslowa, wenn er sie unter den Weibern Ordnung: erst die Zwangsarbeiterinnen in grauen gefunden, zu fragen, ob sie die ihr gesandten Sachen Gefängnisröcken und Kopftüchern, dann Deportierte erhalten hätte. Es war sehr heiß, Wind wehte nicht und freiwillig folgende Weiber in ihrer städtischen oder länd­lichen Kleidung. Einige von den Frauen trugen ein Bruſt find vorne in ihren Rockfalten.m

jol Fünfunddreißigstes Kapitel.

und der von tausend Füßen aufgewirbelte Staub stand die ganze Zeit hindurch über den Sträflingen, die sich in der Mitte der Straße vorwärts bewegten. Die Sträflinge gingen Mit den Weibern tamen auf eignen Füßen Kinder: schnell, und das nicht sehr schnell trabende Droschkenpferd, Knaben und Mädchen. Die Kinder drängten sich wie Füllen mit dem Nechljudow fuhr, überholte sie nur langsam. Reihe in der Herde zwischen den Gefangenen durch. Die Männer auf Reihe zogen die unbekannten Wesen mit dem sonder­waren stumm, husteten nur bisweilen oder machten abgerissene baren und schrecklichen Aussehen dahin, und bewegten sich Bemerkungen. Unter den Frauen aber hörte man ein un tausend gleichmäßig beschuhte und bekleidete Füße vor­unterbrochenes Gerede. Es tam Nechljudow so vor, als erwärts, und wurden, gleichsam zur Ermutigung, die freien tenne er die Maslowa, als sie herausfam; aber dann verlor Hände geschwenkt. Ihrer waren so viele, sie waren so gleich­sie sich in einer großen Menge andrer, und er sah nur mäßig gestaltet, und sie befanden sich in so besonderen, einen Haufen grauer, der menschlichen, besonders der weib seltsamen Umständen, daß es Nechljudow schien, als wären lichen Gesichtszüge gleichsam barer Wesen mit Kindern und das nicht Menschen, sondern eine Art besonderer schrecklicher Säcken, die sich hinter den Männern aufstellten. Wesen. Diesen Eindruck zerstörte in ihm nur der Umstand,

Trotzdem alle Gefangenen innerhalb der Gefängnismauern daß er im Haufen der Sträflinge den Mörder Fjodorow und gezählt waren, fingen die Eskortesoldaten an, sie wiederum zu unter den Verbannten den Komifer Ochotin und noch einen zählen und mit der früheren Zählung zu vergleichen. Diese Strolch, der sich an ihn gewandt, erkannte. Fast alle Ge­neue Ueberzählung dauerte lange, namentlich weil einige Gefangenen schauten sich um, schielten nach dem Wagen, der sie fangene fich bewegten und von einer Stelle zur andern gingen überholte, und nach dem in ihm sizenden Herrn, der nach und dadurch die Eskortesoldaten in ihrer Zählung irre machten. ihnen hinsah. Fjodorow bewegte den Kopf nach oben, zum