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Am Ende der Allee, neben dem großen Steinfrenze, begegneten ihm zwei Totengräber, die ihre Hände reibend und munter schwaßend, von ihrem Geschäft zurückkehrten, sie wiesen auf seine Frage nach der Richtung und eilten weiter, um sich zu erwärmen. Bode suchte zwischen prunkenden Familiengrüften seinen Weg.
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an der Handlung mit Grabmälern vorüber und betrat den haben in ihrer Lebensweise etwas außerordentliches Interessantes. Kirchhof. Ohne zu fragen, ging er zwischen den großen und Das Gut Zdislavie liegt nicht weit von der ungrischen Grenze ent kleinen, reichen und armen Säufen die breite Allee hinauf. fernt; man lernt, wenn man in einer solchen Gegend aufwächst, die Er dachte an gar nichts, als wie hart sein Leben war; Gemisch der verschiedensten Voltsstämme darbietet. Durch ihre mannigfaltigsten Sitten und Gewohnheiten kennen, die das und dann fiel ihm nur eins auf: in den Straßen der Stadt Heirat, im Jahre 1848, mit dem Baron von Ebner wurde hatte es schon zu tauen angefangen, da war nichts als Schmutz die Gräfin Dubsky in die vornehme Wiener Gesellschaft ver auf der Straße; aber hier lag, wie draußen vor dem Ge- pflanzt. Aus den Jdeen dieser Gesellschaft heraus ist sie fängnis, die dünne, reinliche Schneedecke über den winterlich nur ganz zu verstehen. Ein hervorstechender Charakterzug dieser Ges tahlen Gräbern. sellschaft ist der Kultus des guten Herzens". Mit diesem guten Herzen glaubt man allein die großen weltbewegenden Fragen der Gegenwart meistern zu können. Es ist bezeichnend, daß ein öftreichis scher Abgeordneter, der mit seinen Gedanken in dieser Gesellschaft lichen Mitteln könne man nichts zur Ausgleichung der großen socialen wurzelt, vor nicht zu langer Zeit öffentlich gesagt hat: mit gefeg Gegensätze erreichen; das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Leiden des Proletariats fönne nur die private Mildthätigkeit, das Wohlwollen der besser Gestellten sein. Liebe und Wohlwollen find denn auch die Leitmotive, die in fast allen Werken EbnerEschenbachs hervortreten. Derselbe Charakterzug hat eine andre niederöstreichische Aristokratin, Bertha von Suttner , zur Eine leitung der bekannten Friedensbewegung geführt, schaft ist die Vorliebe für das Magvolle, für eine gewisse Schönheit Eine andre Eigenschaft diefer östreichischen, vornehmen Gesell äußerer Formen. Dieser Vorliebe kam die Erzählungskunst der Dichterin in bohem Maße entgegen. Marie von Ebner - Eschenbachs Darstellung ist nicht ohne Leidenschaft; aber diese Leidenschaft hat Bode zögerte näher zu treten, so völlig schien das Mäd - etwas abgeklärtes; sie hält sich innerhalb gewisser Grenzen. Alles chen in ihren Schmerze versunken; in beiden Händen hielt Stürmische, alles Radikale fehlt in der ruhig hinfließenden Schildes sie eine weiße Rose , die sie den Schmuck des fleinen Grabes rung; den Begierden und Forderungen des Lebens gefellt sich immer entnommen haben mochte; sie rührte sich nicht, sie bewegte Das Ruhige, Ausgeglichene in ihrer Weltanschauung, durch das die Mahmung zur Entsagung. die Lippen nicht, ihr Gesicht zuckte nicht, aber unaufhaltsam strömten die Thränen aus den geöffneten Augen über die bleichen Wangen nieder.
Plöglich, als er um die Wand eines altarähnlichen Grabdenkmals bog, sah er sich am Ziele.
Kaum zwanzig Schritte vor ihm lag, von der weißschimmernden Fläche durch die gelbliche Farbe des frisch geschaufelten Sandes unterschieden, ein ganz kleiner Grabhügel, zwei große Kränze von weißen Rosen und ein Armenkranz von Ephenblättern und Papierblumen lehnte an den einen schmalen Ende, und dicht vor den Kränzen stand aufrecht, den Kopf gesenkt, Johanna von Havenow.
fie in den letzten zwei Jahrzehnten als Erzählerin immer mehr Anerkennung gefunden hat, machte es Marie von Ebners Eschenbach unmöglich, auf dem Felde Erfolge zu hers ringen, auf dem sie solche zuerst gesucht hat, als dramatische Obgleich sich die einflußreichsten und einsichtsvollsten
So weint niemand un fremdes Leid, der nicht das Schwerste selbst erfahren und noch daran trägt.dynenleiter für ihre Leistungen intereffierten, blieben ihre
( Fortsetzung folgt.)
dramatischen Schöpfungen doch ohne Wirkung. Jn Karlsruhe wurde 1860 ihr Trauerspiel Marie Stuart in Schottland ", im Wiener Burgtheater 1871 ihr Einafter" Doktor Ritter" aufgeführt. Beide machten ebensowenig einen bedeutenden Eindruck wie das 1873 im Wiener Stadttheater gespielte Drama„ Das Waldfräulein", von dem man hätte glauben sollen, daß es schon durch die Schilderung Sie sieht die Welt, wie sie ist; aber vom Standpunkt des vor der modernen Wiener Gesellschaft fesseln müsse. Die dramatische nehmen östreichischen Salons aus. In diesem Satz könnte man hurz Kraft fehlt dieser Künstlerin; die ruhige Schönheit ihrer Dar int der Erzählung ausleben. die Stärken und Schwächen Marie v. Ebner- Eschenbachs zusammenstellung konnte faffen, die am 13. September ihren fiebzigsten Geburtstag feiert. Als sie sich, von der Mitte der siebziger Jahre au, fast Die Lebens- und Bildungsverhältnisse der Gesellschaftsklasse tauchen ausschließlich diesem Gebiete zuwandte, wurde ihr eine volle als Hintergrund ihrer Erzählungsfunft auf, die einst den Grafen Anton Würdigung bald zu teil. Am ridhaltlosesten traten für sie die Auersperg zu dem vielgefeierten Dichter Anaftafius Grün heranreifen akademisch- litterarischen Kreise ein. Was die deutsche Schönheitsließen. Er war der Freiheitsdichter, wie er entsteht, wenn nicht der Sohn wissenschaft als ideale Eigenschaften des Kunstwerts hingestellt hat: des Volks, sondern der zum Wolfe herabsteigende, von den all- Ebenmaß und Harmonie, das findet man in den Novellen und gemeinen Ideen der Menschenwürde und des Kulturfortschritts er- Romanen Ebner- Eschenbachs in hohem Grade verwirklicht. Sie sind füllte Kavalier zum Sänger wird. Marie von Ebner- Eschenbach geradezu eine Illustration zu mancher Universitätsvorlesung über die ift die adelige Dame mit dem von unendlicher Güte für alles Forderungen der Schönheit und der Kunst. Es ist charakteristisch, Menschliche erfüllten Herzen, die unbefangen die Schattenfeiten daß die Wiener Universität die Dichterin gelegentlich ihres fiebzigsten der vornehmen Kreise wie das Leben der arbeitenden Be- Geburtstags foeben zum Ehrendoktor ernannt hat. bölferung schildert; aber jene nicht ohne den Anteil, den die ZuEine feine Beobachterin spricht sich in den beiden Sammlungen gehörigkeit giebt, und dieses nicht ohne den Zug von Fremdheit, der von Schloß- und Dorfgeschichten"( 1883 und 1886) und in dem erzeugt wird, wenn man mit dem Volle doch nur als die vornehme zweibändigen Roman„ Das Gemeindekind "( 1887) aus. Aber allen Schloßfrau zur Dienerschaft in Berührung gekommen ist. Wie innig diesen Personen, die da geschildert werden, fehlt doch etwas, um uns und warm auch die Schilderung ist, mit der die Dichterin innerhalb der Gesellschaftsschicht, der sie angehören, ganz vers in ihrer Erzählung„ Bozena"( 1876) ein Kind aus dem ständlich zu sein. Tazu sind sie zu wenig aus ihrem ureignen Bolle mit seinen anspruchslojen Leiden und Freuden hinstellt; man Empfinden und Vorstellen heraus dargestellt; fie bieten uur hört nicht jemand sprechen, der mit gelitten und sich mit gefreut ihre Außenseite, nicht die intimen Züge ihres Gemits dar. hat, sondern die gütige Dame mit der milden Lebensanschauung und Wenn alle dem abfieht, so muß man Leutseligkeit. Man erfennt flar, worauf hier hingewiesen werden aber eine hinreißende Wirkung verspüren von der tiefen, innigen soll, wenn man unmittelbar nach Ebner- Eschenbachs Dorf- und Art, mit der sich die Erzählerin in fremdes Seelenleben zu versezen Stadtgeschichten"( 1886) eine Dorfgeschichte Peter Stofeggers lieft. fucht. Bermag sie doch sogar mit Wärme das Seelenleben der Tiere Hier spricht der Mann, der als wandernder Schneidergeselle mit dem zu schildern, wie in der Erzählung Krambambuli", die in der Wolfe zu Tisch gesessen hat; dort das Gutsfräulein, das nie viel Sammlung„ Neue Schloß- und Dorfgeschichten" sich findet. weiter gekommen ist, als dem Volte die Hand zu reichen. Mau mißversiehe dies nicht. Es ist kein Ton jener herablafsenden" Art in den Erzählungen dieser Dichterin, die verlegen muß; aber sie tann nirgends das gräfliche Blut, das in ihren Adern fließt, nirgends die aristokratische Erziehung verleugnen, die sie genossen hat; nirgends auch die Empfindungen der Gesellschaftstreise, in denen sich ihr Leben bewegt hat.
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Die socialen Uebel und Vorurteile versteht die Dichterin in sympathischer Art fünstlerisch darzustellen. Die Wilde und Güte ihrer Gesinnung verleiht ihren Schilderungen, wenn sie auf solche Gebiete fommt, eine eindringliche, ergreifende Sprache. Ihr Höchstes nach dieser Richtung hin hat Marie von Ebner Eschenbach im Gemeindekind" erreicht. Wie ein gesellschaftlich entwurzelter Mensch seiner Umgebung zur Last fällt, wie ein fast Verlorener Marie von Ebner Eschenbach ist auf dem mährischen wieder auf den rechten Weg gebracht wird: dies wird hier mit Schlosse Zdislavic aus einer altadeligen Familie als Gräfin Dubski innerer Wahrheit und zugleich mit der Herzlichkeit geschildert, die geboren. Sie war ein phantafievolles, außergewöhnlich eindrucks für jede menschliche Verirrung Mitleid und Verständnis hat. Die faiges Mädchen. Frühzeitig trat bei ihr ein entschiedener Hang Liebe zu einer breiten Erzählerkunst zeigt sich besonders in diesem auf, ihre Welt und Menschenkenntnis nach allen Seiten Buche. Die Dichterin verweilt gern an Stellen, wo es möglich ist, hin zu erweitern. Bon ihrer Lebhaftigkeit und Unter die Gemüter der Menschen nach allen Seiten hin auszu nehmungslust wissen diejenigen viel 311 erzählen, die sie schöpfen, 100 man in den Genuß der dargestellten Ber als Mädchen kannten. Die mährischen Adelstreise, aus denen sonen und Schidsale sich recht vertiefen kann. Weniger sie herausgewachsen ist, zeichneten sich seit lange durch gelingt es ihr, eine Handlung zu schürzen und zu Ende liberale, fortschrittfreundliche Anschauungen aus. Sie unterscheiden zu führen, die einen raschen Gang und starke Gegensätze fich dadurch vorteilhaft von dem reaktionären böhmischen Hochadel. verlangt. Das zeigt sich in der Erzählung„ Unfühnbar"( 1890), wo Die Volksschichten, mit denen die junge Gräfin in Verührung fam, die Berirrung der Leidenschaft bei einer Frau, die einen Fehltritt in
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