Unterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 192� Donnerstag, den 4. Oktober- 1900 Machdruck verboten.) S] Tltttev Tvollren. Roman von Kurt Aram  . Magda dachte an das Städtchen, wo sie manchmal hinkam. Die Beamten dort waren fast alle verheiratet. Sollte unter all den Frauen denn nicht eine sein, die sie lieb geivinncn könnte? Einige kannte sie, aber nicht viele. Sollte unter denen, die sie noch nicht kannte, nichteine sein, die ihr helfen könnte? Geschehen mnß etwas, sonst.... sonst... Sie wnhte eigentlich noch nicht recht, was sonst geschehen würde. Nur daß es etwas Schreckliches sein würde, das wußte sie. Sie sah zum Himmel. Grau, grau. Keine Sonne. Nur Wolken. Glück?...? Sie lächelte wehmütig. Daran dachte sie gar nicht mehr. Sie stand auf, denn sie fing an zu frieren. Es war kalt trotz des bewölkten Himmels, trotz der bleiern stillen Luft. Sic wandte sich wieder nach Hanse  . Plötzlich hielt sie an. Wurde da nicht gesungen? Also doch ein Mensch, der sang! Sie kam näher. Jetzt konnte sie schon unterscheiden, es waren zwei, Mann und Frau, die sangen. Nun hörte sie auch ein dünnes Kinderstimmchen. Aber so in der Nahe klang es gar nicht mehr heiter. Mußte denn selbst das bißchen Singen hier traurig sein? Jetzt konnte sie die Worte deutlich verstehen. Sie kamen ans dem Hause des Bauern, der sie vorhin so freundlich gegrüßt hatte: Ach Gott   und Herr. wie groß und schwer find mein begangne Sünden! Da ist niemand, der helfen kann, in dieser Welt zu finden.' Sie machte, daß sie weiter kam. Das fehlte noch, solcher Gesang l Und doch, ja, er paßte hier unter die Wolken, in all die Traurigkeit. Beinahe wären ihr die Thränen gekommen bei der klagenden, fast verzweifelnden Melodie, deren getragene Töne ihr folgten. Die Worte berührten sie nicht. Magda wollte noch nicht gleich nach Hause, als sie merkte, daß die Leute fertig mit Essen   waren, und die Männer die Köpfe auS den Fenstern streckten, nachdem sie sich eine Pfeife angezündet, um so die halbe Stunde zu genießen, die sie noch frei hatten. Deshalb wandte sie sich, als sie an die Hauptstraße kam, nicht nach links, sondern nach rechts, hier noch ein wenig weiter zu gehen. Es stand da nur noch ein Haus, denn das Dorf war nicht groß. Vor dies Haus hatte sich ein kräfsiges Weib mit rot«.,, gefunden Backen postiert, die prallen Arme in die starken Hüsten gestemmt. Sie war nicht mehr jung, die Frau Schmidt, sah aber noch gut aus mit den großen, brennenden Augen und der starken Brust. Sie erfreute sich nicht gerade des besten Rufs. Ihr Mann hatte gar keine Gewalt über sie. Die Frau stand wie fest gemauert vor ihrem HauS und sah Frau Magda aufmerksam an. Diese merkte es gleich. Wollte die Frau sie vielleicht ansprechen? Das wäre ihr gar nicht angenehm gewesen, denn sie kannte deren üblen Ruf. Frau Schmidt betrachtete sie immer noch ganz ungeniert von oben bis unten, wie abschätzend. Nun blähte sie sich förmlich auf in ihrer gesunden Strammheit. Frau Magda sah. wie sie geringschätzig lächelte. Da wandte sie sich ab und ging die Straße wieder zurück. Frau Schmidt lachte laut und unverschämt hinter ihr her. Die junge Frau wurde ganz rot. Was sollte das denn? Sie hatte der Frau doch nie etivas gethan. kannte sie persön- lich überhaupt nicht. Jetzt mußte sie doch durch die Straße, wo alle die Menschen an den Fenstern lagen. Es war ihr wie ein Spieß- rutcnlaufen. Keiner grüßte, keiner rührte sich im geringsten vom Fleck, aber alle musterten sie aufmerksam. Erst lvollte sie ärgerlich werden und sich bei ihrem Mann beschweren. Doch der würde die armen Leute dann gar zu schlecht behandeln, da ließ sie es lieber. Es lag nichts Freundliches in der Art, wie sie betrachtet wurde. Sie fühlte, es war der Neid, der sie so aus allen Fenstern ansah, der Neid, daß sie gut gekleidet war, spazieren gehen konnte, wann sie wollte und nicht arbeiten mußte. Jetzt trat einer an die Thür und spuckte ihr fast auf die Füße. Es war gewiß nicht Absicht, dachte sie. Aber nun pfiff er ihr auch grell in die Ohren. So einen rechten Gassenhauer. Breitbeinig stand er da, die Hände in den Hosentaschen. Er arbeitete erst seit kurzem hier und kam aus Elberfeld  . Endlich zog einer seine Mütze und wünschte guten Tag. Dankbar sah sie auf. Es war der Platzmeister vom Eisen- werk. Von gegenüber kam nun auch ein Gruß aus dem Munde des Formenneisters. Als sie schon die graue Villa vor sich hatte, grüßte sehr devot der Magazinverwalter. Diese drei hatten ihr gutes und auch bequemes Auskommen bei ihrem Manne. Sie huschte auf ihr Schlafzimmer und legte den Um- hang ab. Was wollten sie nur: diese Schmidt und die andern alle? Und weshalb schämte sie sich geradezu vor diesen Leuten? Sie fühlte sich mitschuldig an ihrem kümmerlichen, arm­seligen Leben, das war's. Hätte sie ihnen nicht helfen sollen? Sie wußte ja nicht.' wie. Was sollte sie auch ihnen zu lieb thun? Sie verstand ja nichts. Müde strich sich Magda über die Stirn. Da war sie wieder, immer dieselbe, die alte Resignation. Aber die Schmidt? Eine freche Person! Weiter wußte sie nichts zu sagen. Als sie zu Tisch kam, lief ihr Mann schon gereizt durchs Zimmer. Seine Stiefel knarrten dabei, daß ihr die Ohren weh thaten. Sie wagte aber nicht, etwas zu sagen. Er sah sie gar nicht an. So hielt er es zunächst immer, wenn er irgend etwas von ihr wollte und doch nicht gleich damit herauskam, weil er meinte, s i e wolle es nicht. Er fürchtete sich selbst ein wenig vor seiner Heftigkeit, die dann so leicht losbrach. Neben ihrein Teller lag ein Brief. Sie wagte nicht, ihn zu lesen, weil sie nicht wußte, ob ihm das im Augenblick recht sein würde. War es das nicht, begann er gleich sich auf- zuregen. Aber sie machte es gerade verkehrt. Er beobachtete sie und wurde immer ärgerlicher, weil sie sodumm" dasaß und den Brief nicht las. Er kaute an seinem Schnurrbart und wurde immer röter im Gesicht. So lies doch endlich!" Hastig that sie's. Es war eine Einladung der Frau Oberförster im nahen Städtchen für morgen Abend um sechs zum Thee. Wie sich das merkwürdig traf. Vorhin hatte sie sich gerade noch vorgenommen, dort eine Freundin zu suchen. DaS sag' ich Dir. daß Du hingehst und nicht wieder dumme Ausreden machst! Verstanden?" fuhr ihr Mann zwischen ihre Gedanken. Ja," sagte sie leise. Thu doch bitte den Mund auf. daß man verstehen kann. was Du willst." Ja." sagte sie lauter. Es fällt auf, daß Du Dich nirgends mehr sehen läßt. Man redet schon von unglücklicher Ehe und solchem Unsinn l Ich merk' es wohl, wenn ich irgendwohin komme. Das wird jetzt anders, verlaß Dich drauf l" Sie schwieg. Oder hast Du was dagegen?" zornig an. Nein," erwiderte sie. Du wirst also hingehen?" Ja. Ganz gern." Er war erstaunt. Sie ging selten auf solche Wünsche ein. Er sah sie mißtrauisch an, wie einen Feind. Aber ich bitt' mir aus. daß Du kein so larmoyantes Gesicht machst wie eben! Daß Dich alle Welt bedauert um so einen Mann!" Seine Augen funkelten sie