Mnterhaltlmgsblatt des Horwäris ?c?. L00 Dienstag, den Oktober 1900 cNachdruck verboten.) IN Mnkov Molken. Noman von Kurt Aram . Wieder thctt sich die Thür auf, und herein schritt der Chemiker Weber. Wie jeden Abend lachte er zuerst laut und umständlich, als er all den Rotwein mit Selter sah. Er war riefengroß und sehr dick. Die erste Frage an jeden Fremden, der- in den Klub eingeführt wurde, lautete, indem er sich möglichst dicht und möglichst sich aufblasend vor dem Herrn binstellte:„Raten Sie nial, was ich wiege? I" Diese Frage brachte den Gast natürlich in Verlegenheit, da er nicht recht wußte, ob Herr Weber stolz auf seine Dicke war oder nicht. Er schwieg deshalb und lächelte tinr ein lvenig, was nichts schaden konnte. „Hundertsiebzehn Kilo Lebendgewicht!" rief Herr Weber dann und lachte dröhnend, indem er auf seinen Bauch köpfte.„Der is schuld, das Ludcrchcn, diese Botanisiertrommel hat's in sich, hahaha!" Als es nenn Uhr war, bestellte Amtsrichter Blau den zweiten Krug und zündete sich die erste Cigarre an, denn zum zweiten und dritten.Krug ranchte er je eine Cigarre aus einer großen Meerschanmspitze, die sein stiller Stolz war. Als der zweite Krug vor ihm stand, er lnit dem Taschen- tuch die Stelle, an der er zu trinken beschlossen, ein lvenig abgewischt, auf den Schaum geblasen, niil festzustellen, ob auch richtig eingeschenkt war, dann den Krug an die Lippen gesetzt, langsam einen Schluck getrunken, den Krug wieder vorsichtig abgesetzt und den Deckel ein wenig zurecht gerückt. weil der schon alt war und so ohne weiteres den Inhalt nicht mehr luftdicht verschloß, als er sich dann geräuspert hatte, sprach er langsam, laut und deutlich folgendermaßen:„Meine Herrn, da der Winter vor der Thür steht"— der Chemiker seufzte schwer, denn nun wußte er schon, was kommen würde —„da der Winter vor der Thür steht", wiederholte Blau noch einmal nachdrücklich,„so ist es an der Zeit und deshalb an- gemessen, daß wir wie in jedem Jahr so auch in diesem Jahr »ms schlüssig werden, welche drei Herrn wir ausfordern sollen, uns die Ehre zu geben, uns in dem Winter dieses Jahres die drei wissenschaftlichen Vorträge zu halten, die statuten- gemäß in jedem Winter jeden Jahres in unfern» Klub gehalten zu werden Pflegen." „Ist's denn schon wieder so weit? I" rief Otto ärgerlich. „Wär's denn nicht genug, wenn wir uns alle zlvci oder drei Jahre die drei Lössel Bildung verabreichten?" stöhnte der massige Chemiker. „Ader meine Herren, meine Herren," rief Schnldircktor Walter und machte seine enthusiasmiertesten Augen. Er wollte anfspringen. weil er dann besser reden konnte, aber der Chemiker erwischte ihn noch rechtzeitig und hielt ihn auf dein Stuhl fest, so daß der erhobene Zeigefinger wieder sank. „Sitzen bleiben! Sonst wcrd ich verrückt," schrie der Chemiker dem Schuldirektor wütend zu. Die zwei Gesundheitsflecken auf den Backenknochen des Herrn Blau wurden um einen Grad röter, als er wieder anhob:„Ich bemerkte schon zuvor, daß diese drei Vorträge in jedem Winter jeden Jahres statutenmäßig festgelegt sind, also nicht wohl eine Aeuderung für diesen Winter sich empfehlen dürste." „Dann los in Teufels Namen!" tobte der Chemiker, als wenn er die Hauptperson wäre. „Ich halte es im Interesse der Gesamtbevölkerung für sehr instruktiv und daher nützlich,.und deshalb erlaube ich mir. cö in Vorschlag zu bringen, daß einer der drei Vorträge im Winter dieses Jahres über das neue Bürgerliche Gesetzbuch gehalten wird." „Um Himmelswillen! Auch das noch\* rief Weber. Amtsrichter Roth und Schuldirektor Walter waren dafür, Otto war es egal, und den» Oberförster, der auch inz', vischen erschienen war, ein Mann in weißem Haar und Bart mit einem frischen Jungengesicht, ebenfalls. Weber machte noch einen letzten Rettungsversuch.„Der Vorstand ist nicht vollzählig." „Statutengemäß ist nur Stimmenmehrheit erforderlich," sagte Blau,„um einen Vorschlag zum Beschluß zu erheben." „Wo steckt denn der Apotheker?" rief der Chemiker, weil er von diesem Vorstandsmitglied immer noch Hilfe erwartete, Er schellte. Sofort erschien Jean.„Wo bleibt denn heute abend der Apotheker?" Jean grinste über das ganze Gesicht und sagte:„Der Herr Apotheker ist vorhin um sechs Uhr Vater geworden." „Was! I" rief der Chemiker, nun erst recht außer sich, „und das sagen Sie jetzt erst, Sie Langohr? Was ist's denn, ein Mädchen oder ein JnNge?" „Diesmal endlich ein Junge," grinste Jean noch der- gnngter. „Hurra!" lärmte Weber,„da muß er endlich die zehn Flaschen Sekt zum besten geben. Schicken Sie gleich hin- über.'Neu schönen Gruß vom Klub, er ließe grawlieren, und der Herr Apotheker solle kommen von wegen des Sekt." Jean ging. Als der Apotheker vor sechs Jahren geheiratet, hatte er sich verpflichtet, drei Flaschen Sekt zu zahlen, wenn das erste Kind ein Knabe würde. Es war aber ein Mädchen geworden. Als die Frau in Jahresfrist wieder soweit war, waren es bereits fünf Flaschen Sekt. Wieder ein Mädchen. Nun wurde die Sache stadtbekannt. Alle Welt war gespannt, wie das weiter ginge. In der„Erholung", der zweiten Garnitur, fing mar» an zu wetten. Selten war eine Frau aufmerksamer betrachtet worden, als seitdem die Frau Apotheker. Als es wieder so weit war, lebte die ganze Stadt in einer gelinden Erregung. Mit großem Eifer brachte man in Erfahrung, wie lange es noch dauern würde. Es waren sieben Flaschen Sekt geworden,— und wieder ein Mädchen. Das war doch toll l Am meisten amüsierte sich aber entschieden die Frau Apotheker und kam sich sehr wichtig und interessant vor. Es kam das vierte Mädchen, und es standen acht Flaschen Sekt. Jetzt galt es zehn Flaschen, und endlich war der Junge da. „Wir werden also für den ersten Vortrag einen hervor- ragenden Juristen zu gewinnen suchen," fing Blau wieder an. Nun nahm Roth das Wort und meint«', man könne auch mal einen Vortrag über moderne Litteratnr halten lassen, Hauptmann, Sudermann und so. Alles war entsetzt.„Was?" rief der Schnldirektor und riß sich energisch vom Chemiker los.„Was? I" der Zeigefinger drohte nach allen Seiten,„bedenken Sie doch, in diese Vor- trüg«! gehen unsre Frauen und unsre unschuldigen Mädchen!! I" ! kam ihm selten vor, aber diesmal konnte er vor Entsetzen wirklich nicht weiter sprechen. Alle waren dagegen. Solche Uusittlichkeiten könne man der Bevölkerung uninöglich zumuten. Nur Amtsrichter Roth blieb hartnäckig. Einmal, weil er es vorgeschlagen hatte, und dann, weil er sich von solchem Vortrag ein wenig Pikanterie versprach. Die andren einigten sich für den zweiten Vortrag auf das Thema: Die deutsche Balladendichtung im allgemeinen und Schillers Glocke im besonderen. Der Schnldircktor hatte es zuerst vorgeschlagen. Jean kam wieder.„Einen schönen Gruß vom Herrn Apotheker , und in einer halben Stunde stände er zur Ver- fügung." Es war inzwischen halb zehn geivorden. Der Amts- richter Blau bekam seinen dritten Krug Bier und steckte die zweite Cigarre in die Meerschaumspitze. Ueber den dritten Vortrag konnte man sich absolut nicht einigen. Der Schuldirektor war für die sociale Frage. Aber das erschien den andern als ein gar zu heikles Thema. Amts- richter Roth schlug die Fraue », frage vor. Man fand, das interessiere hier nicht im geringsten, hier gäbe es das über- Haupt nicht, Gott sei Dank! Blau war für einen Vortrag über Darlehnskasscn oder derlei. Das wollten die andern aber ganz entschieden nicht. So verschob man denn die Dis- kussion darüber auf ein andermal. Alle waren sehr er- leichtert, daß man so weit war und wieder ein vernünftiges Wort reden konnte. Blau freute sich auch, daß er wieder schweigen durfte. Er mußte jedes Jahr die Sache aufs Tapet bringen. Null war sie wieder einmal so gut wie erledigt."•. Als der Klub vor ziveiundzwanzig Jahren gegründet
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17 (16.10.1900) 200
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