Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 201
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Mittwoch, den 17. Oktober.
sto ord ( Nachdruck verboten.)
1900
Der Apotheker stand verdußt, die andern lachten. Als Otto in seinem Wagen in die Nähe des Dorfs tam, spähte er eifrig in das Dunkel. Befriedigt pfiff er durch die Mnter Wolken. pisode Bähne. In einem Fenster des Hauses, in dem die Schmidts Roman von Kurt Aram. wohnten, stand eine brennende Lampe. Im Lauf der Jahre verblaßte die Decke, und aus den sechs Vorträgen waren drei geworden.
Der Wirt trat mit vielen Verbeugungen, die aber im Gegensatz standen zu dem dreisten, vertraulichen Gesichtsausdruck, in das Klubzimmer, ging auf Otto zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er war kurz, fett und asthmatisch. Wie ein Dachs im Herbst, der sich reichlich Fettvorrat auch für den längsten Winter zugelegt hat.
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Er ließ sofort halten und stieg aus, um noch ein paar Schritte durch die frische Luft zu gehen."
Wer's glaubt, wird selig", brummte der Kutscher vor sich hin, während er allein nach Hause fuhr.
III.
Das Dorf, in dem die graue Villa stand, hatte noch vor zwanzig Jahren nur ein Wirtshaus besessen, das am Selbstverständlich, immer her damit!" rief Otto. Ausgang des Dorfs, direkt an der Chaussee lag. Es lebte Wieder sprach der Wirt Otto leise ins Ohr und fah hauptsächlich von den Frachtfuhrleuten, die hier die erste dabei auf Blau. Dann schauten beide gleichzeitig in demselben oder letzte Station machten, je nachdem sie von dem Die Bauern von Gedanken nach der Uhr, die an der Wand gegenüber hing. Städtchen tamen oder zu ihm wollten. Otto nickte dem Wirt zu, der sich wieder unter vielen Ver- damals frequentierten es nicht sehr. Wochentags zeigten sich beugungen entfernte, während Otto dem Amtsrichter Roth fast nur die notorischen Trunkenbolde. Nur Sonntags auch Leise etwas mitteilte, was diesen sehr zu interessieren schien, andre Bauern. Sie saßen dann von fünf bis neun, tranken denn er richtete sich energisch auf aus seiner lässigen Hal- ein, zwei Schnäpschen, das Stück zu vier Pfennigen, oder tung, die er bisher eingenommen hatte, und strich unter zwei Glas Dünnbier, das Glas zu fünf Pfennigen, und nehmend den schwarzen Schnurrbart. Dann sah auch er nach spuckten die Stube voll. der Uhr.
Damals zählte das Dorf sechshundert Seelen. Jetzt befaß es deren neunhundert. Dafür aber zu dem alten noch vier neue Wirtshhäuser.
Als diese nun anfing, langsam zehn zu schlagen, stedte Blau seine Meerschaumspike langsam und umständlich in ein Lederetui und machte den Cigarrenstummel im Aschenbecher Das alte fristete sein Leben nur fümmerlich weiter, seitunschädlich. Er ließ ihn da nie ruhig ausbrennen, sondern dem die Frachtfuhrleute mit der Eisenbahn verschwunden bernichtete stets den letzten Rest Feuer in demselben, bevor waren. Der alte Befizer tonnte sich auch nicht entschließen, er sich erhob. Man konnte ja nie wissen, ob sonst nicht doch neumodisch zu werden und seinen Gästen andres zu bieten, noch ein Unglück geschah. als er es von jeher gewöhnt war. Den vier andern Wirts häusern ging es dafür um so besser.
Die Uhr hatte noch nicht ausgeschlagen, so war auch Jean schon zur Hand und empfing seine fünfundsechzig Pfennige aus der Westentasche des Herrn Blau.„ Guten Abend," sagte er und ging auf harten Sohlen aus dem Zimmer. Niemand lächelte oder machte einen schlechten Witz über ihn, als er draußen war. Man war daran gewöhnt. Nun schob der Wirt zwei Harfenmädchen ins Klubzimmer, die er auf der Straße aufgegriffen hatte, weil er wußte, was die Herren außer Blau und dem Schuldirektor gern hatten. Auf den legteren aber wurde weiter keine Rücksicht genommen.
Geradezu," entfuhr es diesem, indem er die Brille höher schob, das finde ich sonderbar, höchst sonderbar!"
Die beiden Mädchen postierten sich an die Thür und fingen fofort an zu fingen, ohne erst lange zu fragen:
Mein Herz, das ist ein Bienenhaus Nach dem Gesang bekamen sie zu trinken, wurden gedrückt, mit schlechten Wizen überschüttet, kurz behandelt, wie es dabei zum guten Ton gehört. Als es immer toller wurde, entfernte sich der Oberförster. Walter war schon gegangen, nachdem er sein Lockenhaupt empört geschüttelt, den Zeigefinger dräuend gen Himmel gehoben und gesagt hatte: ,, Geradezu, das finde ich geradezu häßlich!"
Jetzt traten der Apotheker und Doktor Horst in das Zimmer.
Der Apotheker war ein kleines, zierliches Männlein und gar nicht apothekerhaft schrullig. Immer fidel. In seinem Leben hatte es bisher nur zwei Dinge gegeben, die ihm Summer bereitet. Erstens, daß er keinen Sohn besaß. Der Summer war jetzt gehoben. Zweitens, daß er so flein war, sogar fleiner, als seine allerdings nicht kleine Frau. Den Kummer wird er wohl behalten müssen, aber so schrecklich tief ging er auch nicht. Er trug ftets einen sehr hohen Cylinder und ließ seine Frau in der Gosse gehen, während er auf dem Bürgersteig wandelte. So ließ sich dieser Kummer einigermaßen tragen.
Der Apotheker stellte sich mit einem noch ganz verklärten Gesicht vor die ältere Maid, die der Chemifer an sich genommen, daß sie sich nicht fürchte unter all den Männern, wie er gewigelt hatte.
Der Apotheker legte dem Harfenmädchen die Hände auf die Schulter und jubelte:„ Herrschaften, Herrschaften, endlich hab' ich ihn, den Jungen!"
No, Kleiner", sagte die ältere Harfenmaid, das is doch nig besonners, ich hab er schon vier. Wann De sonst nig weißt!"
Die Wirte hatten sich gut über das Dorf verteilt, so daß keiner dem andern ins Gehege tam. Zwei saßen an der Hauptstraße, an deren Ende die altmodische Fuhrmannskneipe lag; eins stand oben bei der Kapelle, so daß die Leute, die dort wohnten, nicht erst den Berg hinunter und dann wieder hinauf mußten, wenn sie trinken wollten. Das vierte, die magere Spinne, lag mitten im Dorf, gewissermaßen an seinem Herzen. Es gehörte einer Witwe.
Es gingen nicht nur die Erwachsenen den Spinnen in das Net, sondern schon die ganz jungen Leute, so wie sie aus der Schule waren. Ja auch nicht nur die Männer, sondern auch ein gut Teil der Mädchen und Frauen mit ihren kleinen Kindern vom Säugling aufwärts.
Da die Männer wenigstens am Sonntag etwas von ihrer Familie haben wollten und zugleich doch auch ein bißchen Vergnügen, so wurde eben die ganze Familie mit in das Wirtshaus geschleppt, denn die Wirte waren die einzigen Leute, die für Vergnügen sorgten. Kein Mensch sonst kümmerte fich darum, daß die Arbeiter irgend eine andre Sonntagsunterhaltung fanden. Das hätte ja Zeit und Geld gekostet. Den Wirten fostete es ja freilich auch Zeit, aber wenigstens kein Geld. Im Gegenteil!
Auch am heutigen Sonntag waren die Wirtshäuser schon um vier Uhr nachmittags gut befest.
Das eine hatte für jeden Sonntag einen Ziehharmonikaspieler engagiert, das zweite besaß ein Orchestrion, das für fünf Pfennig ein langes Stück leierte, das dritte außer dem Orchestrion auch noch eine überdachte, heizbare Kegelbahn, und das vierte hatte das alles garnicht nötig.
In dem Wirtshaus nahe am Eingang ins Dorf, das den schiefen Beter für jeden Sonntag als Ziehharmonikaspieler engagiert hatte, übte heute seit vier Uhr der Gesangverein des Dorfes, Harmonie" genant. Der schiefe Peter konnte also noch eine Weile ruhen, was ihm an Sonntagnachmittagen selten vorkam, da die" Harmonic" ihre Gesangstunden jeden Sonntag in einem andren Wirtshaus hielt, um keinem ihrer Befizer vor den Stopf zu stoßen.
Der schiefe Peter fühlte sich heute wie ein wohlhabender Rentner, der thun kann, was ihm Spaß macht, und nicht arbeiten muß, sondern geruhsam zufieht, wie andere sich plagen. Es war auch wirklich zu behaglich, still in dem tabakdurchqualmten Zimmer fißen zu dürfen, ein Glas Bier vor sich und eine Cigarre im Mund, während draußen der Sturm heulte. Er machte ein sehr zufriedenes Gesicht, als