Nnterhaltungsblatt des Jorwärisstx- 202.Donnerstag, den 18. Oktober.1900(Nachdruck verboten.)131Mukev Molken»N o in a n Von Kurt Ära m.Die Mitglieder der..Harmonie" wußten das auch undhatten deshalb, als sich der Gesangverein aufthat. gleich inder Stadt nach einem Dirigenten gesucht. Von ihnen hättesich keiner getraut, so einen Verein zu leiten. Schon wegendes Respekts, ohne den nun einmal so ein Verein nicht be-stehen kann, mußte der Dirigent aus der Stadt sein.Der städtische Hufschmied wußte in der That sich Respektzu verschaffen. Alle Achtung! Das war überhaupt ein ganzerKerl! Man brauchte ihn nur fluchen zu hören, da merkteman daS schon.Auch bei der Neueinstudierung heute fehlte es darannicht.Als es schon mehr Wagnersche Dissonanzen gab, schluger mit dem Taktstock, den ihm der Verein zum ersten Jahres-fest geschenkt hatte, auf den Tisch, daß alles wackelte undschrie:„Ihr Heuochsen, eis, eis müßt Ihr singen! VerstehtIhr das denn immer noch nicht? Cis. eis, zum Donnerkeil!"Es war auch keine Kleinigkeit, die„Harmonie" zu har-monischcm Gesang zu bringen. Sie sangen alle nur nach demGehör. Um so großartiger klang es, wenn der Dirigent, sooft es schief ging, immer»vicder eis. eis schrie, denn dabeikonnte sich niemand etwas denken. Es klang aber so gebildetund gelehrt. Der Hufschmied arbeitete in Wirklichkeit auchnur nach dem Gehör und verstand von Noten grade so wenigwie die andern. Das mit dem eis hatte er in der gebildetenStadt nur aufgeschnappt, und da es ihm iinpomerte, festgehalten.Heute wurde das ivunderschöne Lied:„Weißt du, Mutter,was mi träumt Hot" eingeübt. Es gefiel allen ausgezeichnet,weil es so rührend war. Man hätte gleich losweinen können.Tic Männer freuten sich schon, wenn sie es erst vortragenkönnten.Der Dirigent sang die erste Stimme vor. bis es ging.Das dauerte nicht sehr lange, da die erste Stimme gut hörteund leicht auffaßte. Dann summten die von der zweitenStimme leise mit, bis sie sich dieselbe gemacht hatten. Auchdas ging bald, da die Leute von jeher gewohnt waren, zuihren Liedern sich die zweite Stimme in der Terz zu suchen.Schwierig wurde die Sache aber bei der dritten Stimme,beim Baß. Bei dieser Stimme waren einmal die, welche dasschlechteste Gehör hatten, und dann war ihnen Baß singenüberhaupt fremd. Sie fielen gar zu gerne in die erste oderzweite Stimme, oder brnmmclten jeder ans seine Weise vorsich hin. Je tiefer es war, für um so richtiger hielten sie es.Da nun der Dirigent den Baß auch nur konnte, so lange dieerste und zweite Stimme sang, tvar es in der That nicht leichtund dauerte recht lange, bis ein neues Lied auch nur soweitging, daß es dem Gehör eines Hufschmieds genügte.,.(?>s, cis!" brüllte der Dirigent wieder einmalund wischte sich die Stirn mit dem großen Taschen-tuch. Es war schon das zweite. Zwei gingen fast stetsbei einer Neueinstudierung drauf. Am Schluß wurden diebeiden feuchten Tücher von ihm herumgereicht. Mann für Mannkonnte sich durchs Gefühl überzeugen, wie schwierig dasDirigieren war.„Noch einmal", stöhnte er, und es war rührend anzusehen. wie die bärtigen Männer im Schweiße ihres An-gcsichts und unverdrossen von neuem begannen. DieAugen quollen ihnen förmlich aus dem Kopf, so angestrengtstarrten sie ans den Taktstock des Dirigenten, als vermöchtensie aus ihm mit den Blicken den richtigen Töne heraus-zufangen.Verzweifelt, fluchend klopfte der Hufschmied aberwieder ab.„Mer wolle uns erscht emal stärke," schlug er vor,„nachher geht's besser." Alles war einverstanden und stärktesich mit Schnaps und Bier.„Das is e verdammt Gcschicht", seufzte der Hufschmied,„immer das eis! Lieber will ich zwanzig Gaul beschlagen. IAber in der moderne Musik is es nu mal überall. Da isnix zu machen."Alle lauschten andächtig den Worten des Dirigenten, dernoch mehr musikalische Weisheit von sich gab. Nur der schiefePeter lächelte ein wenig überlegen. Mit dem eis kannte ersich zwar auch nicht aus, aber es war ihm doch verdächtig,daß immer das eis schuld sein sollte, Ivenn es nicht stimmenwollte. Es gab doch so viele Noten, au denen es außer demeis noch liegen konnte. Soviel wußte er doch. Da ließ er sichnichts vormachen. Doch sagte er nichts, das verbot die Kolleg-schaft. Wenn er einmal darum gefragt wurde, was schon öftervorgekommen war. erwiderte er:„Gewiß, das is so, wie'Z derHerr Dirigent Euch sagt. Das eis, das is e verflixt Geschicht,da verlaßt Euch druff."Wieder begann das Proben. Endlich ging es einiger-maßen!Der schiefe Peter schnalzte mit der Zunge, als schlucke eretwas sehr delikates ein, und verdrehte die Augen, als ständeder Himmel offen. Alle sahen es und schrieen wie besessen,um dem Peter den Genuß ja recht hörbar zu machen. DerDirigent aber reckte sich stolz hoch ans wie ein Feldherr nacheiner siegreichen Schlacht.Eigentlich war es dumm vom schiefen Peter, daß selbster seine Zustimmung zu dem Gesang gab, denn nun würdeer bald wieder spielen müssen; und mit dem Rentnerbewußt-sein war es aus. Aber so war er nun mal. Wenn es gutwar, war's eben gut. Da heuchelte er nicht, denn„de Kunstis heilig".Als das neue Lied endlich einigermaßen saß, dursten auchwieder andre Leute in das Wirtshaus, das von vier bis halbsechs heute für die„Harmonie" reserviert worden, was dickmit Kreide draußen auf der Thür geschrieben stand.Es erschienen hauptsächlich Weiber, Kinder und Ver-wandte der Harmoniesäuger. Auf allgemeines Verlangenmußten die Sänger erst eins zum besten geben. Sie sträubtensich zwar ein wenig, thaten es nachher aber natürlich gern.Bald schallte es durch die dicke, bläuliche Luft, so daß dieFenster leise klirrten:„Wer hat dich, du schöner Wald, auf-gebaut so hoch dort oben."Dann kam endlich der schiefe Peter an die Reihe,während ringsum ein allgemeines Lachen, Reden und Trinkenanfing.In dem zweiten Wirtshaus, das etwa in der Mitte derHauptstraße lag, hatten sich auch längst die Stammgäste ein-gefunden. Hier saßen der Formermeister Windolf mit Frau unddrei Kindern, der Magazinverwalter Claas mit Frau und vierKindern, der Schreinermeister Haun mit Frau und drei Kindernnebst zwei Schwestern, die zu Besuch hier waren und nach auswärtsgeheiratet hatten... Uni halb sechs erschien auch der Plag-meister Rensch mit seiner Frau. Er hatte nur einen Sohn,der seine eignen Wege ging, wenn er auch erst zwölf Jahrealt war.Die mitgebrachten Kinder waren überhaupt alle unteracht Jahren. Auf die älteren hatten die Eltern nicht mehrEinfluß genug, um sie zwingen zu können, mit in ihr Wirts-haus zu gehen. Die strolchten für sich herum und ver-schwanden dann meist im Wirtshaus der Witwe.Platzmeister Rensch kam immer später als die andern.Er liebte es. an Sonntagnachmittagen sich in Feld undFlur zu ergehn, wie er es nannte. Im Hochsommer thatendas die andern auch, aber zu dieser Jahreszeit nicht mehr.Reusch las in seiner freien Zeit viel und alles, ivas ihmzwischen die Finger kam. Am liebsten aber doch Gereimtes.Seiner Frau hatte er seiner Zeit zur Hochzeit sogar Scheffel?Trompeter geschenkt.Der Formermeistcr Windolf sühlte sich als Künstler, daer hier und da, obgleich er kein gelernter Modelleur war,ganz hübsche Muster für Oefen und Kochherde entwarf. Wennso ein Muster vom Eisenwerk angenommen wurde, hatte seineFrau schwere Zeiten. Dann brütete Windolf vor sich hinund klagte, daß er seinen Beruf verfehlt und Modelleurhätte tverdcn müssen oder vielleicht gar Maler und Lackierer.Selbst der braune Sammethut, den ihm seine Frau letzteWeihnachten geschenkt, war ihm an solchen Tagen nur einschlvacher Tr>st.Magazinverwalter Claas war der Verwalter, wie er