Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 210.

21]

Dienstag, den 30. Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Mnter Wolken.

Roman von Kurt Aram .

Als sie endlich im sogenannten Wald waren, das heißt bei den paar Fichten und kahlen Buchen, fragte Schäfer: Man fagt oft, auch heute noch seien die Frauen religiös. Sie müssen mir's nicht übel nehmen, ich interessiere mich natürlich nur litterarisch dafür, wie stehen Sie denn dazu?"

" Sie betrachten, scheint's, alles nur litterarisch?" wich Magda aus.

Selbstverständlich. Das ist ja mein Beruf." Beide schwiegen eine Weile, indem sie langsam weiter gingen. Dann sagte Magda:" Ich fümmere mich jetzt gar nicht mehr um religiöse Dinge. Früher, namentlich zur Zeit meiner Konfirmation, war das anders."

" Ja, ja, die Pubertätsjahre," lächelte Schäfer fast ein wenig wehmütig, da waren wir alle noch Menschen, denen nichts Menschliches fremd."

Magda sah ihn an. Als er aber schwieg, fuhr sie fort: ,, Damals machte mir das Christentum wirklich Kopf und Herz Heiß. Dem Geistlichen wurde bei meinen Fragen auch heiß. Aber als ich merkte, daß es ihm garnicht lieb war, daß man es auch im Hause meines Onkels exaltiert und unpassend fand, wenn man sich um derlei mehr fümmerte, als daß man die Kirche hinnahm als etwas, das nun mal mit zu den Repräsentationspflichten, wenn ich so sagen soll, der höheren Stände gehört, da schwand natürlich auch mein Eifer bald."

" Ja, ja, nur kein Echauffement! Nur die braben, aus­getretenen Wege weiter gehen, wenn's auch keinen Sinn mehr hat, wenn auch neue Geleiſe ganz leicht gangbar gemacht

werden könnten..."

" Ich verstehe Sie nicht ganz." Meinen Sie, ich?"

"

# 7

Sie können doch auch gar nichts ernst nehmen!" Doch, gnädige Frau. Mauches sogar lächerlich ernst. Aber ernst und feierlich reden über etwas, das tann ich aller­dings nicht mehr!"

Man wünscht, daß man ab und zu am Sonntagmorgen die Kirche besucht, wie man es auch irgend einem Vorgesezten nicht abschlagen wird, ihm einen Besuch zu machen."

"

Und thut man's, wird man für die kleine Mühe auch noch selig gesprochen."

,, Kurz nach meiner Verheiratung..." Nun stockte sie aber doch. Sollte sie ihn heute schon zu ihrem Vertrauten machen? Das wäre doch ein bißchen gar zu schnell.

,, Bitte, gnädige Frau!"

Nun ja, es ist ja schon lange her, da kann ich's ruhig fagen. Es tamen damals Zeiten, wo ich innerlich sehr un­ruhig und unzufrieden war."

Schäfer sah sie aufmerksam an. Der Otto wird schön mit ihr umgegangen sein, dachte er. Sie that, als merkte sie es nicht.

,, Damals fam's wieder über mich. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Ich brauchte Halt und suchte Trost. Ich besuchte also wieder einmal die Kirche. Ich wählte den Geist­lichen im Städtchen, von dem es hieß, daß er besonders schön predigen könne. Es war auch ganz schön, ästhetisch angesehn, aber weiter auch nichts. Und so angenehm das Aufsehen, das mein Wagen machte. Und daß der Geistliche mich so devot grüßte, das fand ich geradezu ekelhaft.

1900

Praris der Kirche und biblischer Theorie, so daß selbst unser­einer sie sehen muß. So bin ich denn davon abgekommen." " Ich glaube, Sie beobachten ziemlich scharf?"

" In der Not," sagte sie bitter, schwieg aber schnell. Nein, erst mußte sie ihn doch noch genauer kennen, bis sie mehr sagte.

Nach einer Pause meinte Schäfer: Sie haben sich wohl gewundert, daß ich überhaupt danach fragte. Ich habe nämlich gerade Tolstois Auferstehung" gelesen. Da spielt das religiöse Problem wie bei dem ganzen Mann eine große Rolle, daß man mal wieder mit der Nase draufgestoßen

wird.

Magda dachte, immer nur litterarische Gründe bei allem, was er denkt und thut. Sie ärgerte sich sogar ein klein wenig. Er hätte doch spüren müssen, daß sie ihm noch viel mehr zu sagen hatte, daß das nur der erste Anfang war. Aber, gestand sie sich auch gleich, er konnte doch auch nicht gut ohne weiteres schon um mehr bitten, er mußte doch an nehmen, daß fie das zudringlich finden könnte und tattlos. Dem wollte er sich gewiß nicht aussehen. Eigentlich ein hübscher Zug an ihm.

Schäfer war stehen geblieben, legte die Hände an den Mund und fragte: Darf ich?"

Er war wirklich manchmal wie ein kleiner Junge. Ge wiß!" sagte sie.

Er stieß einen langgezogenen, lauten Juchzer aus und dann einen gellenden Seeadlerschrei, daß sie zusammenfuhr ,, Verzeihung, nun hab' ich Sie doch erschreckt. Aber in dies Schweigen mußt' ich mal hineinschreien."

..Es ist so ungewohnt, hier einen lauten Ton zu hören." Schäfer sah sich um. Bisher war er vor lauter Sprechen und Zuhören gar nicht dazu gekommen. d

Die Bäume, Sträucher, Gräser sahen aus wie aus dem Wasser gezogen. Sie trieften mit hängenden Köpfen, als ginge ihnen das Leben aus. Wie Ertrunkene, eben an das Land geworfen, sahen sie aus, die Bäume, Sträucher und Gräser.

In der Luft hing Wasser, in den Wolfen Regen, Tiere waren nicht zu sehn und zu hören. Doch, jetzt piepte ein Spaß gar kläglich aus dem Gebüsch, ohne sich aber heraus­zuwagen. Dort saßen auch ein paar Raben, eng zusammens gedrückt auf einem kahlen Ast, mit gesträubtem, triefendem Gefieder.

Trist, sehr trist," sagte Schäfer.

,, So ist es fast das ganze Jahr mit Ausnahme der paar Sommermonate."

"

Prr, da gehen wir besser wieder nach Hause! Das macht übermäßig melancholisch, zumal es fast dunkel ist." Sie wandten sich wieder heimwärts. Still gingen sie nebeneinander her. Magda in schmerzlich wehmütigen Ge­danken, zumal fie meinte, ihr Begleiter wäre in derselben Verfassung. Das war aber nicht der Fall. Er sah die Natur schon wieder nur auf ihre Verwendbarkeit für seinen Roman hin.

Als sie wieder am Hause Sägers vorbei tamen, trat er schnell in das Zimmer zurück, denn er hatte sie schon eine ganze Weile beobachtet.

Als sie vorbei waren, feufzte er:" Himmlischer Vater, laß sie nicht versucht werden über ihr Vermögen!" Mit der Nacht kam der Regen wieder.

Nach Tisch begab man sich auch heute in Magdas Zimmer.

Schäfer hatte Verlaine ausgepackt und las ein wenig vor. Otto saß etwas abseits und langweilte sich. Morgen gehe ich mal wieder in den Klub, beschloß er, die beiden sind sich ja selbst genug und vermissen mich nicht.

Fast hätte er laut gelacht, als er auf Magda sah, die mit weitoffenen Augen Verlainesche Verse trant.

Es war da noch ein andrer, ein Pietist, wie man hier sagt, der sehr streng und scharf sein sollte. Ich ging auch in feinen Gottesdienst. Aber es war so düster und finster, was er fagte, und kam auch so ungebildet zu Lage, daß ich zu ihm auch fein Vertrauen faffen konnte.... Ich habe dann selbst mal in der Bibel gelesen, ich hatte viel Zeit. Ich gewann Der Federfuchser und sie, die paßten zusammen. Die den Eindruck, daß beide nicht das Rechte thaten, daß beide hätten sich heiraten sollen, das wäre vernünftiger gewesen. die Bibel nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, Vielleicht in zwei Jahren, wenn er sie frei gab? Das was ich aber nicht einmal annehmen will. Aber wenn die Leute das nicht verstehen, wie sollte ich das? Offen gestanden fcheint mir jetzt aber doch auch, als wenn viel Dummheit und auch Heuchelei und Unwahrhaftigkeit mit unterliefe. Es be­stehen doch oft geradezu schreiende Widersprüche zwischen

wäre ein Gedanke! Er blies aufgeregt den Rauch seiner Cigarre um sich. So könnte er sie vielleicht auf höchst an­ständige Weise los werden. Das wäre wirklich nicht so dumm. Er würde sich sogar aufrichtig freuen; denn wenn er an seine Scheidung dachte, wurde ihm doch immer ein wenig unbe