Anterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 211. Mittwoch, den 31. Oktober. 1900 (Nachdruck verboten.) 22] Mnkev TVolKen. Roman von Kurt Aram . Otto sah wieder auf Magda, auf deren Antlitz ein leises Rot lag. Ihre Umgebung und vor allem ihren Mann hatte sie im Augenblick völlig vergessen. Wie sie den Schäfer, den Vorleser, ansah! Die Hände so fromm im Schoß gefaltet! Nein, noch ist das nicht das Rechte, sagte sich Otto, sie schaut noch zu sehr wie ein Kind auf den Herrn Lehrer. Und Schäfer? Der merkte gar nichts, der war ganz und gar bei den albernen Versen. Vielleicht macht er sich nichts aus dem Genre Magdas, so wenig wie ich. Otto musterte seine Frau aufmerksam. Sie hatte auch wirklich nichtsAnregendes", Sinnliches. Ein Jammer 1 Fast ärgerte ihn das wegen des schönen Plans. Es konnte ja aber noch werden. Es würde noch eine Weile regnen, da gab es viel Gelegenheit, sich zu verlieben, wenn man so den ganzen Tag auf einander angewiesen ist. Er wollte schon das Seine thun. Otto rieb sich die Hände, doch ganz leise, um die beiden nicht zu stören. Schäfer hatte sich wirklich sehr in Eifer gelesen. Es ge- schah ihm bei Verlaine allerdings stets, aber er spürte doch auch sehr genau, welche gute, begeisterte ZuHörerin er in Magda hatte, wie ihre Seele sich langsam aus ihrem Ver- steck hervorwagte, die Augen aufschlug und staunend, ver- langend in das neue Land blickte, das sich ihr aufthat in dieser Lyrik. Plötzlich sah Schäfer sie an. Ja. da stand sie, ihre Seele, ganz war sie herausgetreten ans dem Verborgenen und sah aus großen Augen. Magda wurde glühendrot, und husch, nun war sie wieder verschwunden, d�e treue Seele. Schäfer that, als hätte er nichts gemerkt und las weiter. Otto lächelte dünn. Das hatte der Fedcrstichser nicht schlecht gemacht. Aber jetzt war Magda auf der Hut. Schäfer spürte, er hatte sie erschreckt, heute würde die Seele so bald nicht wieder hervorkommen. Er schloß das Buch, der Hauptrciz war vorbei. Magda verabschiedete sich gleich darauf. Sie wollte allein sein und nicht noch gleichgültiges Gerede mit anhören. In ihrem Schlafzimmer stand sie lange am Fenster, an dem der Regen langsam, leise niederrieselte. Sie dachte eigentlich an nichts Bestimmtes, nur die Verse summten ihr unaufhörlich durch Kopf und Herz: Es weint mein banges Herz, Wie dort die Wolken thräneu. WaS für ein Schnsuckilsschmerz Erfüllt mein banges Herz? Langsam, wie im Bann dieser Rythmen, ging sie zu Bett. Plötzlich sagte sie ganz laut: Es weint mein banges Herz, Wie dort die Wolken thränen... und weinte in die Kissen. Sie wußte selbst uicht warum. Doch, ja, der Verlaine , der hatte es ihr angethan. Leise rieselte der Regen. V. Es regnete. Nach Tisch machte sich Doktor Schäfer fertig, um auf Entdeckungsreisen in das Dorf zu gehen. Hast Du auch Insektenpulver bei Dir?" fragte Otto. Nanu? Wozu denn?" So seid Ihr Schriftsteller! Ans Allermötigste denkt Ihr überhaupt nicht. Wegen der Flöhe, lieber Schäfer!" So schlimm wird's schon nicht werden. Du übertreibst." Darüber wollen wir sprechen, wenn Du wiederkommst. Thu mir jedenfalls den Gefallen und zieh Dich erst oben nun, bevor Du hier wieder erscheinst, denn mich liebt das Ungeziefer geradezu schwärmerisch." Schäfer wurde es doch etwas ungemütlich. Daran hatte er in der That nicht gedacht. Aber er wollte sich nicht ab schrecken lassen durch solcheKleinigkeiten". Was thut man nicht alles sür die Kunst. Otto sah mit Vergnügen sein Unbehagen.Bind' Dir 'nen wollenen Lappen vorn auf die Brust. Das hat mir mal mein Formermeister geraten. Das ist wie'ne Falle für das Zeugs. In Wolle ziehn sie sich mit Vorliebe, und wenn sie erst dort sind, können sie uicht so leicht wieder weg von wegen der Wolle, sagt mein Formermeister, der davon uuzeifelhast mehr versteht als wir beide. Nachher wirst man den Lappen ins Feuer und ist die Tierchen los." Meinst Du wirklich?" Kannst es ja heute für den Anfang erst ohne das pro- bieren. Erst niorgen mit dem wollenen Lappen, wenn Du dann überhaupt noch Schneid hast." Du zweifelst wohl?" Nun war Schäfer fest entschlossen. sich nicht abschrecken zu lassen. Ich wart's ab!" Schäfer ging aber doch erst noch einmal auf sein Zimmer und bebandelte sich ausgiebig mit kölnischem Wasser in der stillen Hoffnung, daß diese Tierchen diesen Geruch nicht ver- tragen könnten und seine Person deshalb meiden. Fliegen haben viel feinere Augen als wir Menschen, kalkulierte er, warum sollen Flöhe nicht viel empfindlichere Geruchsnerven haben als wir. Eigentlich eine gewagte Annahme, gestand er sich selbst, wenn man bedenkt, in was sür Gerüchen sich diese Lebewesen aufzuhalten pflegen.Nehmen wir es zu meinen Gunsten aber doch mal an. Was hofft der Mensch nicht alles. wenn er in Not ist." Er konnte schließlich ja auch zu jeder Zeit ausreißen, wenn es gar zu arg wurde. Er schlenderte eine Weile prüfend durch die Gassen, den Ueberzieherkragen hochgeschlagen wegen des Regens. Der Regen genierte ihn aber nicht weiter, da ihm ja wohl Schlimmeres bevorstand. Der boshafte Otto k Hätte er ihn nicht gerade so gut unwissend undtumb" in die Gefahr gehen lassen können? i Er sah sich die einzelnen Häuser sehr aufmerksam an. Einen sehr Vertrauen erweckenden Eindruck, was Reinlichkeit anging, machten sie nicht. WaS mochten in ihnen allein schon für Gerüche Haufen! Für den Anfang wollte er sich jeden- falls ein Haus aussuchen, in dem ein paar Fenster offen standen. Aber er fand keins trotz alles Suchens. Frische Luft war offenbar nicht sehr begehrt. Jetzt bemerkte er einige Weiber hinter den Fensterscheiben, die ihn neugierig musterten. Werd' mich doch vor denen nicht lächerlich machen!" Kurz entschlossen trat er in das erste Haus, das vor ihm lag. Den Ueberzieherkragen ließ er hoch. Vielleicht schützte es auch noch vor etwas andrem als Regen! Der Hausgang, in den er ein- getreten, war völlig finster, da Schäfer als gebildeter Mensch die Hausthür hinter sich sorgfältig wieder geschlossen hatte; und anderswoher bekam der Gang kein Licht. Er stand erst einen Augenblick stumm und steif in dem Gang und kam sich reichlich dumm vor. Dann entschloß er sich aber doch, da niemand kam, tappte zur Hausthür zurück und öffnete sie ein wenig, daß er etwas erkennen könnte. Den Ueberzieherkragen hoch, die Hände fest in den Taschen, räusperte er sich. Nichts rührte sich. Da drüben war ja wohl eine Thür. Vorsichtig tastete er sich dahin und klopfte. Alles blieb still. Er klopfte lauter. Ohne Erfolg. Nun trat er ein. Niemand war im Zimmer. Nur eine Katze lag schlafend hinter dem Ofen. Jetzt reckte sie sich, gähnte und kam langsam aus ihn zu. Er schnüffelte derweil vorsichtig in das Zimmer. Gut war die Luft ja unbedingt nicht. Aber es ließ sich zur Not ertragen, zumal er so stark nach kölnischem Wasser duftete. Die Katze strich ihm schmeichelnd, schnurrendäim die Füße. Das war nett. Schäfer streichelte sie erfreut. Er sah sich um. Ein hölzerner Tisch mit drei Hölzemen Stühlen davor, eine lange, hölzerne Bank an der einen Wand in der Nähe des Ofens und eine große, buntbemalte Wand- uhr, das war alles. Angst vor Dieben hatten die Hausbesitzer nicht. Doch was sollte man hier auch stehlen? Die alte, bunte Wand- uhr, die nicht einmal ging, war wohl der einzige Wert- gegenständ. Was nun? Er suchte ja iwch Menschen? Da drüben befand sich noch eine Thür. Vielleicht gab es hinter ihr Menschen. Er horchte. Alles still. Er klopfte. Es kam keine Antwort. Er räusperte sich. Diesmal gleich