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Es gehörte einem der Männer, der weit fort wohnte und davon hatte, daß dies Tierische, Fleischliche doch nicht alles, mit des Rads Hilfe doch den Versammlungen beiwohnen nicht einmal die Hauptsache an der Liebe.
fonnte. Es war der Mann, der Magda auffiel. Er hatte Ihr war zu Mute, als würde fortgesetzt ihr Verhältnis ein auffallend regelmäßiges Gesicht mit einem graumelierten zu Schäfer in den tiefsten Schmutz getreten. Also so sahen Bart, der fast die ganze Bruft bedeckte. In diesem Gesicht diese Leute! Das war nach ihrer Ansicht die Liebe? Da ruhten zwei dunkle Augen wie stille Seen, über die ab und gab es nichts Feineres, kein Drum und Dran. Da gab es zu bei dem Gesang, wenn deni Mann eine Stelle besonders fein Entschuldigen, kein menschliches Begreifen, da wurde gegut gefiel, ein heller, froher Schein flog. So mögen die Erz- donnert: Du sollst, du sollst nicht! Alles war Hurerei und bäter der Bibel ausgesehen haben, als sie noch nicht ganz alt so simpel zu erklären, entsprungen rein physischen Bedürfnissen, waren, dachte Magda. daß es Magda graute und ekelte, ihr Verhältnis zu Schäfer in Die drei andren Männer sahen kränklich aus, ja häßlich, dieser Beleuchtung zu sehen; denn an sich und Schäfer mußte einer hatte sogar einen Buckel; aber auch ihre Augen waren sie doch immerwährend denken. wie in Friede tief eingetaucht. Auch die Frauen waren Nachdem Wilhelm Säger den alten Adam" genug gehäßlich. Und wenn die häßlich find, übertreffen fie die duckt, machte er eine kleine Pause und horchte in sich hinein, Männer bei weitem, dachte Magda schaudernd. Auch die ob er zum Schluß nicht doch noch ein wenig mildere Seiten aufjungen Frauen auf ihrer Bank waren häßlich. Dafür war die ziehen dürfe, ohne sich zu verfündigen. Da nichts in ihm Marie Jung freilich um so hübscher. Wie lieblich sie aussah, nun sie sich rote Backen angesungen, und wie jetzt über die ganze fräftige Gestalt des Mädchens etwas ausgebreitet lag, das robuste Gesundheit verklärte, idealisierte! Wie eine junge Martyrin aus Neros Zeiten.
Als die Leute den dritten Vers des blutigen Liedes zu fingen begannen, ließ Wilhelm Säger den Kopf auf den Tisch finken und faltete die Hände über ihn. Was bedeutet das wohl? dachte Magda.
dagegen sprach, schlug er schnell das Johannesevangelium auf, wo die Geschichte mit der Ehebrecherin steht, und knüpfte an das Wort: Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie" noch einige mildere Worte von der Gnade, die jeden Sünder, möge er auch noch so tief gefallen sein, wieder annehme, wenn er nur Buße thue.
Wie war er froh, als er schweigen konnte, da ihm der Geist nichts mehr gab". Der helle Schweiß stand auf seiner Stirn, so hatte er sich aufgeregt bei dem, was er zu sagen Wilhelm Säger war immer noch nicht mit sich im Reinen, für seine Pflicht hielt. Er warf einen scheuen Blick auf was für einen Text er heute behandeln sollte, denn das Er- Magda, die ihm so leid that, die er auch für eine Ehebrecherin scheinen der Frau Direktor war etwas so Außerordentliches, im gröbsten Sinne des Worts hielt, der er heute so gern daß es ihm nicht richtig schien, einfach mit den laufenden freundlicher entgegengekommen wäre, wenn es nicht Gott Betrachtungen über den Galaterbrief fortzufahren. Es mußte anders gewollt hätte. Er fühlte sich sehr erleichtert, als er der heute etwas Besonderes sein. Was nur? Frau Direktor nichts anmerken konnte. Blaß war sie immer
Sonntagsplauderei.
Plöglich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, den gewesen; und die kühlen Augen, die sie machte, das war so Text ganz Gott zu überlassen. Da ihm dieser Gedanke so vornehme Art. ( Fortsetzung folgt.) unvermittelt fam, hielt er ihn für einen direkt göttlichen. Er würde also einfach die Bibel aufschlagen, und auf welche Worte da zuerst sein Blick fiel, die würde er vorlesen und dazu sagen, was ihm der Geist gab". Ohne Menschenfurcht Die Welt wird frömmer mit jedem Tag! Der Graf Hochberg, und Menschenrüdsicht, gelobte er sich zugleich, weil er in seiner der Intendant unfrer Hoftheater, tann neben Freiherrn v. Mirbach, Verlegenheit vorhin, als die Frau Direktor in das Zimmer Stöder, Lieber, Paasche und Waldersee als einer der heiligsten getreten, unchristliche Menschenfurcht erblickte. So schlug er Männer unfrer Zeit gelten. Hätten sie vor 1500 Jahren gelebt, so denn, als der Gesang beendet, die Bibel auf, die an einer hätten sie sicherlich ein erhebliches Vergnügen darin gefunden, fich Stelle auseinanderfiel, die Säger schon so oft aufgeschlagen auf irgend eine feurige Art verfrüht um ihr irdisches Dasein zu hatte, bei der Bergpredigt. Er sah auf ein paar Verse und bringen. Da fie aber in einem Zeitalter leben, wo nur noch Chinesen stukte vor ihnen. Dann sagte er sich, das ist die Strafe für weltgefchichtlichen Nemesis zu sein, die von dem derzeitigen folchen Glücks teilhaftig werden, so begnügen fie fich, Träger jener deine Menschenfurcht, daß dir gerade diese Verse für heute be- preußischen Kriegsminister erfunden worden ist: Sie fühnen stimmt find, und er las. die vertausendjährten Greuelthaten, indem sie all die abscheuliche Gottlosigkeit auszurotten bemüht find, die im Leben von Reich, Staat und Kommune, in der Wissenschaft und in der Kunst herrscht.
Er las lauter und eindringlicher als sonst, weil ihm der Text nicht angenehm war: hr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage Euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen".
Die Frommen sahen sich erstaunt an. Daß er gerade diesen Text gewählt?! Nun ja, der Säger ging nicht auf's Hüttenwerk, da konnte er sich das gestatten.
Der Frommen Blicke flogen neugierig zu Magda, was die wohl zu diesem Text sagen würde; denn alle Welt hielt dafür, daß sie ein Verhältnis hätte mit Schäfer, zumal der Herr Direktor sich ja anderweitig schadlos hielt.
Magda traute ihren Ohren nicht, als sie diese Worte hörte. War das Absicht oder Zufall? Am liebsten wäre sie fofort weggegangen, aber es hätte zu unliebsames Aufsehen erregt. Sie sah deshalb gleichgültig vor sich hin und that möglichst teilnahmlos.
War es Absicht von Säger, dann war es einfach gemein, sagte sie sich und gelobte zugleich: Das ist das erste und lezte Mal, das man mich hier sieht.
Die Frommen bekamen noch mehr Grund, sich zu wundern, denn Säger sprach ganz ungewöhnlich hart und scharf über dies Wort. Gerade weil sich eine innere Stimme dagegen sträubte, sprach er so; denn diese Stimme schien ihm die Stimme des alten Adam" zu sein, der ja ausgerottet werden muß nach der Schrift, dem er also nicht nachgeben wollte. O, er wußte nur zu genau, daß er, Wilhelm Säger, von Natur viel zu gutmütig war. Diese Natur sollte heute einmal tüchtig was drauf kriegen.
Magda stand Qualen aus unter Sägers Ausführungen, denen anzumerken war, daß er alle Liebe, die nicht ehelich fanktioniert war, bäurisch urwüchsig, rein tierisch, fleischlich, wie er's nannte, empfand und darstellte, um sie in Grund und Boden hinein zu verdammen. Wie er keine Ahnung
S
Graf Hochberg hat sich das Gebiet der Kunst als Wirkungsfeld gewählt. Zu diesem Behufe spielt er eine hervorragende Rolle in dem Männerbund zur Bekämpfung der Unsittlichkeit. Die unter ihm dienenden Ballettdamen dürfen amtlich niemals lächeln, und außer amtlich dürfen sie nur mit solchen Männern Beziehungen unter halten, deren Sittenftrenge und hohe Christlichkeit vor aller Welt offen liegt. Die Unzucht, die in Wagnerschen Opern nicht selten ges trieben wird, duldet er nur deshalb, um an einem belehrenden Beispiel au zeigen, wie fürchterlich die heidnischen Götter und Helden sich aufführten.
Bum diesjährigen Bußtag gedachte nun Graf Hochberg den Frommen ein besondres Fest der Erbauung zu geben. Ein Konzert menschlicher Zerknirschung sollte im Opernhaus veranstaltet werden, durch das die verstodtesten Gottesleuguer zur orthodoxen Richtung bekehrt werden sollten. In der That eine fluge Rechnung. Niemand, der Ohren hat zu hören, vermag dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms zu widerstehen; von dieser herrlichsten modernen tieffter religiöser Andacht, die in dem Gefühl der menschlichen Schöpfung religiöser Musik strömt eine unviderstehliche Stimmung Vergänglichkeit und der gewaltigen Weltewigkeit wurzelt; die Harfen und Geigen locken, die Posaunen zwingen zur Bekehrung. Eine Arie aus Händels Messias sollte die Bekehrung vollenden, die dann unter den Wirkungen einer Wagnerfchen Barcival- Scene in der Estase hinsterbender Jesuseligkeit entlodern sollte. feines gläubigen Herzens Unschuld. Aber der Graf rechnete nicht mit So dachte Graf Hochberg, der fromme Missionar der Musik, in einer höheren Macht der Frömmigkeit. Der Intendant der tönigs lichen Schauspiele hatte hinter dem göttlichen Spiel den Teufel nicht gewittert und ahnungslos hätte er am Bußtag feine Opernhausgäste höllischer Versuchung ausgeliefert. Die Leitung des königlichen Opern= hauses ist fromm, frömmer aber und zugleich scharfsichtiger in der Scheidung von echter Göttlichkeit und Teufelslarvenkunft ist gegenReichshauptstadt, strich die Hälfte des Bußtags- Programms des Königs wärtig die Polizei. Herr v. Windheim, der Polizeipräsident der lichen Opernhauses und rettete so den Grafen Hochberg davor, eine Anzahl Jahrhunderte in der Hölle fieden zu müffen.
Es hat immer meine Verwunderung erregt, daß seiner Zeit die