Anterhaltungsblatt des Vorwärts
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Dienstag, den 27. November.
( Nachdruck verboten.)
Muter Molken.
1900
Magda wollte zwar erst nicht dahinein, aber die Leute nickten und winkten so, daß Magda glaubte, sie müsse es.
Staum war sie in dem kleinen Raum, drängten sich die Verwandten und Nachbarn wieder dicht an die Thüre, daß ihnen ja nichts entginge.
Die alte, schon sehr gebrechliche Mutter stand am FußEs wurde wieder gesungen. Kaum hatten die Leute an- ende des Betts und schluchzte in ein Taschentuch. Zu gefangen, so gab es draußen einen Höllenlärm. Es wurde Häupten lehnte der junge Mann und fah underwandt auf die gejohlt, gepfiffen und Steine wider die geschlossenen Fenster- Sterbende, die sich nicht rührte. Magda wurde nicht weiter läden geworfen, daß Magda an allen Gliedern zitterte. Aber beachtet von den beiden, die zu sehr mit sich und ihrem die Frommen waren das, seitdem die Marie Jung an den Schmerz beschäftigt waren. Versammlungen teilnahm, gewöhnt. Darin zeigte sich der Haß der Welt, den ihr Herr und Meister vorausgefagt. Sie fangen mur lauter und inbrünstiger.
Jedenfalls eine ganz eigentümliche Welt, in die sie da heute Abend geraten, eine Welt für sich, mußte sich Magda gestehen, und eine Welt, in der sich diese Menschen augenscheinlich wohl fühlten, in der fie glücklich waren.
Magda feufzte. Wer das von seiner Welt auch sagen
fönnte!
Aber die Luft in diefem für die vielen Leute viel zu Kleinen Raum wurde unerträglich, so daß Magda kaum noch zu atmen wagte. Nein, für sie war das nichts, ganz abgesehen von Sägers Rede. Pfui, wie das roch! War das Sumpf und muffig hier! Sie sehnte sich nach dem Ende der Versammlung, um an die frische Luft zu kommen.
Nachdem gebetet worden, wobei die einzelnen dem Wilhelm Säger die Perfonen bei Namen nannten, für die sie gebetet haben wollten, nachdem noch ein Vers gesungen worden, war es so weit.
Magda erhob sich schnell, sagte nur so ins Allgemeine: Guten Abend!" und verließ eilig das Zimmer.
Kaum war fie draußen, sprang einer auf sie zu mit einer Laterne in der Hand und leuchtete in ihr Gesicht. Donner wetter!" rief er erschrocken und lief fort.
Magda mußte lächeln. Sie hatte der nicht hier erwartet. Und im Grund hatte er völlig recht. Sie gehörte nicht zu denen, sie paßte wahrlich nicht in dies Haus.
Aber die Worte der Bergpredigt ließen sie doch nicht so schnell in Ruhe, und die Worte Wilhelm Sägers darüber auch nicht, die ihre Zuneigung zu Schäfer so brutal alles Schönen entkleidet hatten.
Als sie nach Hause kam, suchte sie sogar nach einer Bibel. Es dauerte ziemlich lange, bis sie eine fand.
Sie ging damit auf ihr Zimmer, las die Stelle aus der Bergpredigt nochmals und die andre aus dem JohannesEvangelium.
Sie stand auf und ging sinnend durchs Zimmer. Einige Ausdrücke Sägers fielen ihr sofort wieder ein. Wie häßlich, wie tierisch! O pfui, pfui!!
Sie ging zur Thür, um abzuriegeln. Sie fuhr zurück. Da steckte ja der Schlüffel wieder.
War die Auffassung ihres Manns etwa eine andre als die Wilhelm Sägers? war es nicht ganz diefelbe?
Sie wurde bleich, ein solcher Etel überfam sie. Dann gab sie sich einen energischen Ruck. So häßlich follte das zwischen ihr und Schäfer nie werden, nie und nimmer. Nie! Nie! fagte sie immer wieder. Aber scheiden würde sie sich laffen, das stand auf einmal bei ihr feft. Sun wurde sie ruhiger.
Nun fonnte sie auch bald wieder liebend Schäfers geSenken, ohne vor sich selbst erröten.
IX.
Noch ein Tag, dachte Magda am andren Morgen, dann kommt er wieder. Wie war sie froh darüber!
Da es ihr immer noch so öde und leer im Haufe vorfam, ging sie gleich am Morgen zu der jungen, franken Frau, von der ihr gestern Abend Marie Jung erzählt hatte.
Sie fand das ganze Zimmer voll Menschen, Berwandte und Nachbarn, die sich neugierig, und die meisten zugleich ein wenig mit Gruseln, um die offene Thür drängten, die zu dem fleinen Raum führte, in dem die junge Frau sterbend lag.
Kein Laut in den beiden Zimmern, außer dem Schluchzen der Mutter, das sie nicht recht unterdrücken konnte, und nebenan das gleichmäßige, gleichmütige Tiktak der Wanduhr. Das rechte Symbolum der Zeit, die gleichmäßig, gleichmütig weiter geht, mag sie ihr Weg mun an Sterbenden oder Glückjauchzenden vorbeiführen. Sie sah beides so oft und aus dem einen so oft das andre werden, daß ihr keins von beiden mehr Eindruck machen kann.
Die Frau ist gewiß schon tot, dachte Magda.
Noch eine ganze Weile blieb es still in den beiden Zimmern, während aller Augen gespannt auf dem schmalen Gesicht in dem geblümten Kattun hafteten. Ein ganz klein wenig blinzelten jetzt die Augen in dem schmalen Gesicht. Da trat ein älterer Mann, der derlei schon öfter mitgemacht hatte, von der Thür an das Bett, griff mit dem dicken, von der Arbeit zerrissenen, geschwärzten Daumen der rechten Hand an das rechte Augenlid in dem stillen Gesicht und schob es ein wenig in die Höhe. Er nickte, wie zur Bestätigung dessen, was er sich schon gedacht hatte, und sah erst den jungen Mann, dann die alte Mutter, dann die sich in die Thür Mutter Drängenden an. Da wußten alle, daß die junge Frau tot war, ohne daß einer der Umstehenden etwas von dem Sterben genterft hatte.
Sofort fingen die Weiber an zu weinen. Die Männer blieben stumm und still. Der junge Witwer ebenfalls. Man fah es ihm an, daß er nicht begreifen konnte, daß seine Frau nun wirklich tot war. Er fah fie immer an, als müsse fie doch noch ein Lebenszeichen geben.
Plöglich geriet der junge Mann ins Schwanken. Zwei Männer, die es gleich merkten, griffen zu, führten ihn in das Nebenzimmer und setzten ihn auf den Stuhl unter der Uhr, Sie gleichmäßig, gleichmütig weiter tiftaktiktaktiktaktiktakte. Es schüttelte den Mann, der die Fäuste vor das Gesicht geschlagen. Er zitterte am ganzen Körper und stöhnte.
Die Mutter rief faut jammernd int Nebenzimmer:" Bind' thr e Tuch um de Kopp, bind' ihr e Tuch um de Kopp, sonst macht se' s Maul auf!"
Da fuhr der Witwer in die Höhe und schlich wieder in das Nebenzimmer, wo man inzwischen der Toten ein weißes Tuch um das zarte, bleiche Gesicht gebunden hatte. Aus dem Tuch fiel rechts und links ein dicker Zopf auf die geblümten Kiffen.
Als der Mann das verbundene Geficht seiner Frau fah, fing er leise an zu weinen. Jegt kamen ihm die erleichternden Thränen. Seine Frau hatte viel an Zahnschmerzen gelitten. Es fiel ihm ein, als er das verbundene Gesicht erblickte. Sie wird nie wieder Zahnschmerzen haben. Da fonnte er
Deinen.
Magda ging still hinaus.
Schon das zweite Sterben, das ich erlebe, dachte sie; und auch dies war still und friedlich. Und doch, sie sah immer den dicken, schmuzigen Daumen des älteren Mannes nach dem Augenlid greifen. Sie hörte immer die Worte der Mutter: Binde ihr e Tuch um de Kopp, sonst macht se' s Maut auf! Sie sah auch immer das bleiche, schmale Gesicht mit dem Tuch um den Kopf, als hätte es Zahnschmerzen. Diese grotesten Zufälligkeiten machten ihr dies Sterben fchauerlich.
Nach einer Weile stand fie still.
Sie befand sich vor dem Haus, in dem Schäfer seiner Zeit von der resoluten Frau erst für einen Schreiber und dann Die Leute machten Magda sofort Plak, sie in das fleine für einen frommen Traftätchenverfäufer gehalten worden. Als Zimmer zu lassen, in dem sich von Gefunden uur die Mutter ihr Schäfer das damals erzählt, hatte es Magda sehr amüsiert. und der ebenfalls noch junge Mann der Sterbenden befanden. Sie war daraufhin einmal hingegangen, um diese Frau