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Anterhaltungsblatt des Vorwärts
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Mittwoch, den 28. November.
( Nachdruck verboten.)
Muker Wolken.
1515
1900
Wenn sie dessen sicher zu sein glaubte, überfiel sie eine solche Sehnsucht nach ihm, daß sie meinte, sie könne es bis morgen gar nicht aushalten.
Ruhelos wanderte sie durch das Haus. In ihr Boudoir fonnte sie gar nicht hineinsehen, wo noch alles vom GeRoman von Kurt Aram. burtstag her unverändert stand. Als sie vorhin die offene Undenkbar, meinte Magda für sich. Das Kind sah ja Schachtel erblickt, die noch halb voll war, hatte sie wieder gerade aus wie immer. Nur blaß war es... Die Fäustchen einmal nicht mehr an sich halten können, sondern geweint. und das Gesicht so rund, so kinder- und lebensrund. Im Das durfte nicht sein. Otto hätte sie dabei überraschen Tod war das doch gewiß anders. Sie berührte die Wange können. Wenn er auch wohl wußte, wie es um sie stand, des kleinen Jungen. Sie fühlte sich kalt an. Das war aber so gönnte sie ihm doch nicht, daß er merken sollte, wie nichts Besonderes. Sie ergriff eins der Fäustchen. Wie schwer fürchterlich sie immer noch, immer mehr unter der Abwesenes sich bewegen ließ! Und eiskalt. Sollte es wirklich wahr heit Schäfers litt. sein? Aber das Kind jah ja ganz wie lebend aus, nicht die geringste Veränderung. Nur die Blässe.
" It's wirklich tot?" fragte Magda nochmals. „ Die Mutter hat's gesagt."
Furchtbar, dachte Magda ganz verwirrt und fah wieder auf das runde Kindergesicht. Was ist da Leben? Was ist dann Tod?
Jezt hörte sie auch hier das Tiktak der Uhr, die sich in nichts von der andren, von der sie eben fam, unterschied.
Kaum war sie von der Wiege fortgetreten, fing das Kleine Schwesterchen wieder an, die Wiege hin und her zu bewegen.
Da ging Magda fort, ohne noch ein Wort zu sagen. Es war zu grausig, wie das Dreijährige noch immer den kleinen, toten Bruder hin und her wiegte. Wie auch hier die Uhr so gleichmäßig, gleichmütig tiftaktiktaktiktakte.
Als sich Otto mit Magda zu Tisch sezte, horchte er wieder holt auf. Was war das nur? Es war so viel stiller im Zimmer als sonst. Fehlte ihm Schäfer? Das könnte wohl sein, dachte er und aß weiter.
Doch nein, es mußte noch etwas andres sein. Er blickte auf, um nach der Uhr zu sehen. Da wußte er, warum es so ungewöhnlich still war. Die Uhr stand still. Er hatte sie doch erst gestern aufgezogen? Otto stand auf, nach ihr zu sehen. Das Gehäuse war verschlossen. Der Schlüssel lag nicht an seinem gewöhnlichen Plaz.
"
Was heißt dem das?" Er sah auf Magda, und äußerlich teilnahmslos bei ihrem Essen saß. denn der Uhrschlüssel?"
" Ich weiß es nicht."
die still Wo ist
Was ist denn das für eine Wirtschaft?! Wer hat sich um die Uhr zu kümmern? Wo ist der Schlüssel?!" Magda schwieg und lächelte innerlich. Sie hatte den Pendel angehalten und den Schlüssel an sich genommen, weil sie heute das Tittat nicht hören konnte.
Je mehr Otto tobte, um so mehr lächelte sie innerlich über ihn. Wahrlich, sie fürchtete sich gar nicht mehr, konnte sie wieder mit Freuden feststellen. Wie albern er sich benahm. Wie komisch er war in seinem Zorn. Sie ließ ihn ruhig gewähren, ohne sich im geringsten aufzuregen. Tob' du nur, dachte sie. Du wirst noch ganz anders toben, wenn ich Scheidung beantrage. Wenn nur erst Schäfer wieder da ist, wird das bald geschehen.
So lange Otto im Zimmer blieb, war sie immerlich ruhig. Sowie er aber fortgegangen, überfiel sie plötzlich die Angst, Schäfer könne doch nicht wiederkommen, wenn sie sich auch zu beruhigen suchte: Er liebt dich ja, er kann deshalb nicht fortbleiben.
Wenn die Angst ihr zuredete, wenn er nicht wiederkäme, sich dann das Leben zu nehmen, so sah sie immer die tote, junge Frau vor sich mit dem Tuch um den Kopf, und das schreckte sie. Sie versuchte dann wohl, an den ruhigen, schönen Gesichtsausdruck des toten Asthmatikers zu denken, und an das fleine Kind, das so friedlich in seiner Wiege lag; aber es half nichts, es graufte sie min doch vor dem Sterben. Auch das Schaukeln mit der Wiege hatte für sie so etwas Unheimliches. No
Wäre ich doch heute morgen nicht ausgegangen! Hätt' ich doch nur jenen Alten sterben sehen! Danu könnte ich leicht sterben.
Sie täuschte sich selbst damit. Sie wollte nicht sterben, wo die erste Liebe über sie gekommen. Gerade jetzt wollte sie leben. Schäfer würde, mußte wiederkommen.
Aus dem Haus zu gehen wagte sie auch nicht nach den schlechten Erfahrungen, die sie eben erst damit gemacht hatte. War das ein schwerer, endloser Tag heute! Ewig dauerte es, bis es Abend wurde!
Unheimlich brauste und brüllte dann draußen der Sturmwind, der ganz überraschend gekommen. Die ganze Nacht heulte er und riß an den Läden.
Am andern Tag telegraphierte Schäfer, daß er sich mit dem letzten Zug wieder einfinden würde. Magda hätte laut jubeln mögen vor Freude.
„ Er hat ja seine Studien schnell beendet," sagte Otto sarkastisch und mit einer sehr zweideutigen Miene. Er hatte über diese Studien jegt so seine eignen Gedanken. Immer noch stürmte es draußen.
Je näher der Abend kam, um so mehr trat bei Magda an die Stelle der Freude, Schäfer wieder zu haben, die Angst, er könne so wieder kommen, wie er fortgegangen, mit so wilden, gierigen Augen.
O, nur das nicht! Mit Bittern dachte sie an Wilhelm Säger und Otto, der den Schlafstubenschlüssel wieder an sich genommen. Sie war es sich und er ihr schuldig, daß er es jetzt unterließ.
Magda war auf das freudigste überrascht, daß Schäfer wirklich ganz anders wiederkam, als er fortgegangen. Er hatte wieder seine alte Art und die früheren Augen. Wie war sie ihm dankbar dafür. Er hatte sich gewiß auch inzwischen überlegt, daß sie das ihrer Liebe schuldig wären, damit sie nicht in den Rot gezerrt würde.
Als Schäfer freilich den ganzen Abend durchaus harmlos blieb, ohne sich mehr um Magda zu kümmern als in den allerersten Tagen seines Hierseins, erschrak Magda, weil sie sich bei dem Wunsch ertappte: wenn er doch nicht nur so wäre, mur so vernünftig; wenn er doch ein bißchen mehr zeigte, wie lieb er mich hat; wenn doch lieber auf einen Augenblick seine Augen wieder einmal etwas Wildes bekämen! Aber es war dumm, es war sogar schlecht, solche Gedanken zu haben. Sie sollte ihm lieber auf den Knien danken für sein zurückhaltendes Betragen. eura strong
Bald hatte sie sich so weit, daß sie innerlich darüber jubelte: Wie zart, wie rücksichtsvoll ist er doch! Ganz anders wie andre Männer! Wie herrlich von ihnt! O, sie hätte seine Hände dankbar füssen mögen für so viel Rücksichtnahme und Zartgefühl.
Schäfer war wirklich mit dem Vorsatz abgereist, in der Hauptstadt des Ländchens vor allem auf die Bibliothek zu gehen. Er war das schon seinen Worten Otto gegenüber schuldig. Er hatte auch noch in der Eisenbahn die ersten Stunden diesen Vorsatz.
Je näher er aber der Stadt kam, um so mehr trat das in den Hintergrund. Als er dann ausstieg, als er alle die lustigen Menschen sah, denen man es anniertte, daß sie zumeist auf der Jagd nach Vergnügen waren, als alle die befannten Parfüms wieder in seine Nase stiegen, während er sich durch die Massen drängte; als draußen die Pferdebahnen Klingelten, die Kutscher riefen, die Wagen rasselten, die elek.. trischen Lichter alles taghell erleuchteten, die Plakate in grellen Farben ihre Sehenswürdigkeiten und Unterhaltungen anpriesen, da dachte er gar nicht mehr an Bibliotheken und so trockene Dinge.
Er reckte sich, nahm sein elegantes Stöckchen hoch und ging auf Abenteuer. Wie sauber hier alles war! Wie sich ihm auf Schritt und Tritt hunderte von Vergnügungen an. boten! Er pfiff wohlgemut vor sich hin, während er immers