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schließlich. man lebt doch nur einmal, sterben müssen wir deckten Rockes, die hilbschen Blümchen des hellen Brusttuchs alle, jeder ist sich selbst der Nächste, zumal nichts mehr mit derselben Treue und Detaillierung wie die Runzeln in dem an der Sache zu ändern ist. Carpe diem! Das einzige, Gesichte der alten Bäuerin, wie das schöne Schnitzwerk des großen was er von Horaz behalten hatte, da es ihm immer ge- Maler die Darstellung, wie in den Gebetbüchern jedes Blatt und Chorstuhls. Mit fast ehrfürchtiger Bewunderung studierten die fallen.
Er löschte das Licht aus und legte sich ins Bett. Leider schlief er immer noch nicht wieder so gut wie früher. Zuweilen fuhr er immer noch plötzlich in die Höhe und lauschte nach oben, weil es ihm war, als hörte er stöhnen und schreien in Magdas Zimmer.
Zuweilen mußte er dann sogar wieder Licht machen, und es dauerte einige Zeit, bis er wieder einschlafen konnte. Aber es ging doch schon viel besser mit dem Schlafen als in den ersten Tagen nach der Beerdigung. Es würde demnach wohl bald auch in der Beziehung wieder ganz gut gehen.
wieder.
Diese Nacht ging es sogar sehr gut, zum erstenmale Auf einmal fuhr er aber doch jäh in die Höhe. Hatte cs nicht eben an der Hausthür geschellt? Er lauschte. Dummtopf, du hast schon wieder geträumt! Aber nein, es schellte wirklich. Er sprang auf. Draußen wurde es schon hell. Er hatte also doch gut geschlafen, stellte er mit großer Genugthuung sofort fest. Es schellte zum drittenmal:
Otto öffnete das Fenster und rief hinaus: Was ist denn los?"
„ Ein Eiltelegramım," rief der Postbote von unten. " Woher denn?".
"
Otto dachte sofort an Schäfer und fragte:„ Von wem?" Vom Herrn Bruder, Herr Direktor."
Otto warf hastig einen Schlafrock um und eilte zur Haus thür. Was will der Schafskopf, daß er mich im Schlaf stört? Und eine Unverschämtheit sondergleichen ist's auch, daß der Postmensch so genau den Inhalt des Telegramms fennt. Ich werde mich beim Postdirektor beschweren. ng
Hastig ging er mit dem Telegramm wieder auf sein Bimmer und trat ans Fenster. Er konnte es entziffern, so hell war es schon.
Hurra! In einem halben Jahr komme ich Dich ablösen. Robert." bih bi biu snis, thod Bot Das war ja großartig, das hätte er nie zu hoffen gewagt! Nur ein halbes Jahr noch hier? Otto sprang hoch auf vor Vergnügen.
" Darauf muß ich eins trinken!" sagte er, ging in den Keller und holte eine halbe Flasche Pommery. Er legte sich wieder ins Bett, schenkte den Pommery in das Wasserglas und trank sich zu:" Prost, alter Junge! Bald hat alles Elend ein Ende."
Er legte sich behaglich auf die Seite.
Noch einmal richtete er sich ein wenig auf. spit Erst ganz von weitem, dann immer näher, Iauter, brausend, donnernd rollte, fauchte es. Dann wieder leiser, leise verhallte es. Es war der Schnellzug nach Berlin . Wie raste er ins Leben! In einem halben Jahr würde er mit rafen. Wie er sich freute. Wahnsinnig freute er sich!
Mit langen, langsamen Schritten tappten unter seinem Fenster die Arbeiter nach dem Eisenwerk. Auf der kleinen Dorstapelle schlug es sechs. Auf dem Eisenwerk heulte die Dampfpfeife, und bald darauf wurden die Eisenthore donnernd zugeschlagen.
Otto schlief. Ueber sein gesundes, gerötetes Gesicht ging zuweilen ein heiteres Lächeln. Er träumte von Berlin . Aus dem grauen Himmel rieselten leise die ersten, zarten, weißen Schneeflocken.
auf den Seiten fast jeder Buchstabe gegeben war. Und man er zählte sich dabei staunend, alles das hätte der Maler ohne jede Borzeichnung gemacht; bei den Augen der jungen Bäuerin habe er begonnen und dann Stück im Stück fertig gemalt. Aber von dieser Entstehungsweise war nichts zu spüren, das Bild wirkte einheitlich und geschlossen, und es lag eine so weihevolle Andacht über demi Ganzen, es wirkte so echt, so terndeutsch, daß es auch die Gemüter ergriff. Man mußte schon auf die alten deutschen Maler zurüd gehen, um ein solches Wunder zu begreifen; die hatten ihre Tafeln mit gleicher Liebe zum Einzelnen gepinselt und dabei doch etwas von ihrem Herzen mit in das Bild hineingegeben.
Das Bild Wilhelm Leibls machte Epoche, es wirkte sehr stark auf die jungen Maler, die die Technik mit größtem Fleiße studierten. Ueberall, wohin es tam, fand es die gleiche Bewunderung, auch in Berlin , wo es in der Großen Kunstausstellung. 1895 zu sehen war. Im Schaffen Leibls bedeutet jedoch die Richtung, deren charakteristisches Beispiel es war, mur eine Phase, wenn auch die, durch die er am meisten bekannt geworden ist. Er ist von einer andrei Art zu malen ausgegangen und er hat in der letzten Zeit wieder andre Wege gesucht.
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Sein erstes Schaffen steht unter dem Zeichen der alten Niederländer. Leibl war außerordentlich frühreif. Er war am 23. Oftober 1844 in Köln geboren und stammte aus einer altbayrischen Familie; sein Vater war Domkapellmeister. Zuernst lernte er das Schlosserhandwerk, dann fam er 1864 nach München und wurde Maler. Als Schüler der dortigen Akademie arbeitete er zuerst furze Zeit unter Piloty, dann unter Ramberg . Seine ersten Bersuche, so ein Frauenporträt und Im Atelier" zwei seiner Freunde, die ein Kunstblatt betrachten von 1869, zeigen ihn ganz im Banne Rembrandts . Schon in diesen fielen die bedeutenden malerischen Qualitäten, eine fein durchgeführte Harmonie in weichem, goldigem Gesamtton und eine schöne Behandlung des Helldunkel, auf. Dann geriet er unter den Bann Courbets, der 1869 mit einer großen Zahl seiner Arbeiten nach München fam. Seine Kunst wirkte auf Leibl wie eine Offenbarung; er folgte dem Meister nach Paris und studierte dort unter seinen Augen etwa dreiviertel Jahr lang, bis der Ausbruch des Kriegs ihn zur Rückkehr zwang. Er siedelte sich bald darauf in Bayern an und lebte an verschiedenen kleinen Orten, seit dem Jahre 1884 dauernd in völliger Zurüdgezogenheit in Aibling .
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Die breite großzügige Art des großen Franzosen hatte auf den Er hatte noch in Paris eine jungen Deutschen nachhaltig gewirkt. Cocotte" gemalt, die ihn in der Auffassung wie in der malerischen Behandlung durchaus als Schüler Courbets zeigt. Aus dieser Epoche hatte die vorjährige Ausstellung der Berliner Secession einige wertvolle Bilder. Da waren die Porträts des Malers Sperl und eines frans zösischen Revolutionshelden, die ganz in einem einheitlichen grünlichbraunen oder rötlichem Ton weich und breit hingestrichen warent, und vor allem das Bild einer„ Pariserin", in dem aus einem braungrünlichen Gesamtton mur einzelne hellere Flecke, das hagere Gesicht, die feinen Hände und das Tischchen auftauchen.
Erst als Leibl sich unter den bayrischen Bauern niedergelassen hatte, mit ihnen lebte und sie schilderte, entwickelte er seine spitpinselige Art, die oben dargestellt wurde. Man muß wohl an nehmen, daß hierbei die alten deutschen Meister, in deren Geist die Bilder geschaffen zu sein scheinen, auch nicht ohne Einflußz geblieben sind. An keinen Geringeren als den jüngeren Holbein und an seine Bildnisie, wie etwa das des Kaufmanns Georg Gispe, das unser Altes Museum bewahrt, denkt man, um für dieses Maß von Sachlichkeit, von Fleiß, von hingebender Liebe zu dem Wert eine Parallele zu finden. Mit dieser Treue, der fein Bug der Natur zu gering ist, schilderte er seine Banern, ohne jede anekdotische Zuthat, wie sie gehen und stehen oder zusammenfißen. Noch ist das Bild der" Dorfpolitiker", das Ende der siebziger Jahre entstanden ist und im vorigen Jahre auch in der Secession ausgestellt war, in frischer Erinnerung: wie die paar Bauern in der Schänke zusammenfigen, wie einer aus der Zeitung vorliest, während ein zweiter mit hineinfieht und zwei andre und der Wirt aufmerksam zuhören. Da ist teiner geschmeichelt oder zurechtgemacht, sie sehen fast stumpf und häßlich aus und es giebt nichts, auch nicht den geringsten geistreichen" Bug, der das Interesse von der Künstlerischen Darstellung selbst ablenten fönnte. In dieser Art hat er die verschiedensten Motive aus dem Bauernleben behandelt. Er ist der größte deutsche Bauermaler unsrer Beit gewesen.
Jm Jahre 1888 gab es in München ein großes fünstleriches Ereignis. In einem fleinen Atelier in der Augustenstraße drängten fich die Maler, in der Mehrzahl junge, aber auch alte, und staunten Unfre Zeit ist dieser spikpinseligen Detailarbeit im allgemeinen über ein Wunderwerk, daß sich ihren Augen darbot. In der Kirche" durchaus nicht günstig gesinnt. Wir haben eine größere Freude an hieß das nicht zu große Bild. Da faßen wie leibhaftig vor ihnen dem großen freien Binselstrich, der das Wesentliche trifft. Aber vor drei Bäuerinnen im Kirchstuhl. Vorn, aufrecht und mehr in Simmen dieser erstaunlichen Technik verstummt jeder Widerspruch. Leibl war berloren, in dem weit ab auf dem Schoße gehaltenen Gebetbuche nicht fleinlich; wie er einen Kopf durchmodellierte, wie er das unblätternd, das frische junge Mädchen, halb niend und ganz zu endlich komplizierte Spiel des Lichts auf den kleinsten Flächen meistert fammengefrämmt und mit größtem Eifer das dicht an die Augen und wie über dem Einzelnen der Eindruck des Ganzen nicht verloren gezogene große Buch lesend die alte Bäuerin, und mit gefalteten geht, das zwingt zur Bewunderung. Leibl war der geborne Maler; Händen betend, aufgerichtet und durch das Gebet erhoben, er hatte, wie ein Franzose es ausgedrückt hat, eine jener Organisationen, die dritte. Und wie das gemalt war! Da war alles mit die für das Malen bestimmt sind. Auf seiner Netzhaut spiegelten sich einer unerhörten Schärfe auf die Leinwand gebracht, die die Dinge mit mikroskopischer Schärfe, und seine Hand war großen Karrees des halb bon der weißen Schürze bel absolut sicher. Doppelt merkwürdig, daß er über seiner Einzelarbeit