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Leffings teilweise Borbereitung von Wagners Gesamtkunstwert ist wenigstens in Rennertreisen längst beachtet worden,
Was nun die andere Seite der Reihe, die Nachfolger und Mitstrebenden Wagners betrifft, so tritt aus dem darüber allgemein Bekannten wenig hervor, was direkt als eine Fortsetzung von Wagners Lebenswert gelten könnte. Riemann hat in seiner neuen „ Geschichte der Mufit seit Beethoven " auch diese Erscheinungen zu fammengestellt( bes. S. 441 f., 648 ff. und 760), wobei vielleicht auch Adalbert von Goldschmidt anzuschließen wäre. Was im Sinne jener Fortsetzung bisher vorliegt, ist freilich ist freilich vorwiegend Parteitampf. Jedenfalls besigen wir einen Komponisten, der als ausgesprochener Anhänger des Meisters bisher auch mit einent großen fünstlerischen Können aufgetreten ist: Hans Pfigner. Abgesehen von seinen Liedern und andrem Kleineren sind uns in Berlin aus seiner jüngst vollendeten„ Rose vom Liebesgarten" Bruchstücke bekannt geworden, die in ihrer Isoliertheit mit mancher Ungunft zu tämpfen hatten. Seine ältere Oper ist bereits in mehreren auswärtigen Städten( Mainz , Prag usw.) mit Erfolg gegeben und nun endlich auch von unfrem öniglichen Opernhaus übernommen worden; hoffentlich ist daraus nicht die naheliegende Vermutung abzuleiten, daß das Stück mun schon am Ende seines ersten Gangs durch die Oeffentlichkeit angelangt sei.
„ Der arme Heinrich . Ein Musikdrama in zwei Atten. Dichtung von James Grun . Musik von Hans Pfigner", wurde am Mittwoch zum erstenmal in Berlin gegeben. Das Drama felber ist der bekannten mittelalterlichen Legende frei nachgebildet. Der fieche Ritter Heinrich soll durch die Opferung emer Jungfrau gefunden; Agnes, die Tochter seines Mannen Dietrich, erbietet sich dazu; im entscheidenden Augenblick geschieht das Wunder, daß Heinrich allein schon durch die Willigkeit des Mädchens heil wird. Der dramatische Aufbau, seine seelische Begründung und zum Teil auch die Zeichnung der Personen sind meines Erachtens vorzüglich gelungen; das symbolisch- romantische Element wird gut glaubhaft; die epischen und lyrischen und theatralischen Breiten des Stücks find, getreu dem Wagnerfchen Vorbild, zwar mit viel Aufgebot von dichterischer Kraft, doch erst recht mit viel Anspruch an die Geduld und Hineinlebung des Lesers oder Hörers durchgeführt; die Sprache ist die so gut wie ganz uneigene Wiedergabe eben jenes Vorbilds, mit all dem Schreckhaften, das wir an ihm kennen. Konstruiere und verdaue mir doch einer den folgenden Satz, der übrigens nur die zweite Hälfte einer Sagperiode bildet:
Das Unschuld sich als Liebesopfer bent,
Und Sünders Buße auf sich selber lädt,
- Deß' Schuld so tilgt, und so wirkt eignes Heil, Wenn eine Jungfrau tugendrein
Hier opfert an des Herren Schrein
Mit freud'gem Mut
Ihr junges Blut,
Dem Büßer Ruh' zu geben,
Blüht auf er wieder, stark und rein;
So will es Gott ! So muß es sein!_"
Entweder bleibe derlei vor einer geladenen Gesellschaft von Wagnerianern, oder man erlaube uns andren ein Stoßgebet eliva von folgender Art:
Des Heiles Not, Der. Sünde Tod: Aus Satverdrehung Und wirrem Gebraus, Mit fnittligem Verse Stabreimender Flut,
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Des flüchtige Ferse Bent brünstige Glut: Wer die mir weist, Erlösung aus Schuld: Mit seguender Hand
Möcht' ich ihn weihen
In Frühlingsnacht
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Wenn Unschuld fich opfert
Dem Sprachgefühl Ruh' zu geben, Blüht auf es wieder
In prangender Bracht!
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Die verhältnismäßig furzen Verse sind, wie schon bei Wagner, In der Hauptfache darauf angelegt, fowohl aus der Sprache als auch aus der Musik die einzelnen Phrafengebilde herauszuarbeiten. Das bedingt nun zwar nicht durchaus, begünstigt aber sowohl in Wagners späteren Werfen wie besonders auch hier eine gewisse vorherrschende Kurzatmigkeit der melodischen Formen, und diese wieder hilft mit an jener meist unruhigen, drückenden Stimmung, die nun einmal für die Höheleiſtungen des Meisters wie für die Leistung feines Nacheiferers so charakteristisch ist. Zu dieser Unruhe tritt bei Pfizner noch mehr als bei Wagner eine Kompliziertheit, mit der wir von den Jdealen einer schlichten Einfachheit weit entfernt find. Welche Fülle von tompositorischer Kunst in diesem Orchester, welche Verwideltheit der Begleitung selbst zu so elementaren Tegtstellen, wie etwa zu folgender:
O Simmel, segne die Treu,
Die findlich rein im jungen Herzen glüht, Und gieb, daß täglich frisch aufs Neu,
In Kraft und Herrlichkeit sie auferblüht!"
Dann, welche schleppende, hemmende Breite z. B. zu dieser Stelle:
,, Kein Pilger je, denn ich, mehr Frend empfand," usw! Welche Sehnsucht wird nicht dem Hörer erweckt, daß er sich mal freier dem Aufnehmen des Gesangs hingeben könne, bis erst spät eine so tonzentrierte Gesangsstelle tomint wie die des dritten Akts:
" In Deiner Jugend zarter Blüte," usw.
Gefühlt und gemacht ist die Komposition wahrscheinlich mit dem findlichst naiven Glauben an schlichte Einfachheit und effektfreie Dramatik; es fragt sich nur, ob sie auch schließlich auf den Hörer so wirkt, wie sie gemeint ist, wenn sozusagen schon jedes Komma des Textes im Orchester mit Englisch Horn , Baßklarinette, Kontrafagott, Baßtuba , zwei Harfen usw. interpretiert wird. Dazu kommt noch, daß Pfigner, wie schon seine Lieder zeigen- gelinde gesagt- mehr zu den Juftrumentalkomponisten als zu den Bokalkomponisten gehört und die Gesangsstimmen wieder gelinde gesagt noch ungünstiger behandelt, als es Wagner thut. Auf diesen Wegen stehen wir, glaub' ich, nicht vor einer weiten Perspektive, sondern am Ende einer Wanderung, die durchs Felsgestrüpp nicht mehr weiter geht. Siegfried Wagner , der an musikalischer Straft weitaus nicht mit Pfigner zu vergleichen ist, der aber eine eigne Sprache zu sprechen beginnt, scheint ums viel eher eine Aussicht auf Weiterkommen zu bieten.
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Innerhalb des so geschilderten Rahmens, innerhalb eines ganz bestimmten historischen Stils, der bereits ebenso fein Epigonentum hat, wie es andre historische Stile haben, liegt nun in Pfigners Komposition ein Kunstwert von der meisterhaften Größe vor, die allein schon durch die strenge Zusammenfassung aller Mittel zum Gesamteindrud gegeben ist. Auch innerhalb dieses Gesamteindruds hinwieder sind der entzückenden Stellen viele. Der ganzen Schönheit des Werks gerecht zu werden, ist bei einer Aufführung unmöglich. Das ist fein Genuß, feine Möglichkeit des vollen Mitlebens: das ist ein Appell an allmähliches Studium. Schon das Herausfinden der Leitmotive" aus der Fülle des Gehörten ist eine schwere Arbeitsleistung, wie sie es schon bei Wagner war, dessen Motive doch im ganzen plastischer hervortreten als die Pfigners.
Bu all dem kommt nun der Umstand, daß selbst in dem so günstig eingerichteten Bayreuther Haus das Verstehen des Gesungenen eine wohl ewig ungelöste Schwierigkeit des musikalischen Dramas bildet; in einem gewöhnlichen Opernhaus, vor dem frei hervor brausenden Orchester, muß man entweder im Dunkel den Text mits lesen, was aber erst recht nicht sein soll und schließlich unmöglich wird, oder man muß fich auf eine allgemeine Ahnung beschränken. Welche Quälerei, aufgeregten Gesang und Gestenreichtum vor sich zu haben und bei so und so viel nicht zu wissen, worum es sich dreht. Schließlich eine Regie, die den subtilen pantomimischen und scenischen Weisungen des Textbuchs mit der an unsrer Oper nun einmal üblichen Läffigkeit entspricht es bedurfte aller Stunst unsrer ausgezeichneten einzelnen Kräfte, um dem Publikum ein volleres Bild von der Sache zu zeigen. Man weiß kaum, wem man da den Vorzug geben soll: jedenfalls hat Stapellmeister Bruno Walter bas Geinige in bestem Maß gethair. Herr Kraus und Frau Grad standen in Gesang und Spiel obenan; doch auch Herr Hoffmann und Frl. Reinl lebten ihre Rollen, und Herr Knüpfer war nicht schlecht. Der Dekorationsmaler machte den Schnißer des Textbuchs, für's Jahr 1100 in Deutschland und gar in Italien gothische Bauformen zu verlangen, durch eine im ganzen romanische Scenenmalerei wieder gut, die freilich besser nicht auf Einzelheiten zu prüfen war.
Am äußeren Erfolg fehlte nichts; ich zählte im ganzen ein 15 maliges, mir zum Teil auf Freundesmühen zurückzuführendes Erscheinen des Komponisten. -
Kleines Feuilleton.
SZ.
ck. Wie die Menschen vor 6000 Jahren lebten. Wie aus New York berichtet wird, ist Professor Hilprecht von der Universität Bennsylvania nach Amerika zurückgekehrt, nachdem er in Mesopotamien die ältesten Spuren menschlicher Kultur in mehreren vergrabenen, übereinander ruhenden Städten ausgegraben hat. Unter einer Reihe von Schichten stieß er auf den Tempel Sargons I.( 3800 v. Chr.) und schließlich auf die Ruinen des alten Calush, das in der Genesis erwähnt wird. In dem Schutt lagen Gegenstände aus der Zeit von Lugalzaggifi, der etwa 4500 v. Chr. lebte. Auf dem Altar lag noch die Aiche des letzten Opfers mehrere Boll did, dann fand man Opfer früge und einen Schlußsteinbogen. Beim weiteren Graben stieß man auf Anzeichen von Häusern und auf einen großen, präsargonischen Balaft, der wenigstens zwei Stockwerte und eine 600 Fuß lange Front hatte. Besonders bemerkenswert ist aber die Entdeckung der alten Tempelbibliothek von faft 18 000 Täfelchen, auf denen das damalige Leben geschildert ist. Es ist dies die älteste Biblios thet der Welt, die von alten Gelehrten lange vor der christ lichen Zeitrechnung zusammengebracht wurde. Die Täfelchen lagen auf Fächern, die sich an den Wänden eines Zimmers entlang ziehen,