Nnterhallungsblait des Horwärts Nr. 1. Dienstag, den Januar 1901 iNachdrurl verboten.) Der Dttpkl vonr HollerbriLu. 1Z Roman von R. von Seydlitz. L Es hatte wieder einmal einem geträumt, daß das große Glück nur in der großen Stadt zu finden sei; und da war er denn ausmarschiert, es zu suchen. Jung, frisch und gut, gesund und zahlungsfähig war er, dazu leicht im Kopf und schwer in Gliedern, ein kernbraves Stück Jungblut ans dem fröhlichen Franken. Südwärts war er der Heimat entwichen, über die Donau und durchs Jngolstädtcr Land; Eichstädt und Pfaffen- hosen lagen schon hinter ihm, und nun sollte er harte sein großes Ziel erreichen. Denn wenn einer, der unterm weißblauen Banner ge- boren ist. von einer großen Stadt träumt, so ist es meist eben doch München , was ihm vorschwebt. Ein echter Franke hat vor Bamberg Respekt, er nennt Würzburg mit Achtung, er kennt Erlangen und vielleicht Bayreuth als bedeutende Mittelpunkte des bayrischen Globus; vor allen andren weiß er von Nürnbergs Herrlichkeiten zu singen,— Lebkuchen, Folterkammern, Jahrmärkten und Bratwürsten,— aber— „mein"— München ist halt doch das große, nlystisch-unheim- licbe Dorado voll unenueßlicher Schätze, das unbeschreiblich große, volkreiche, das ohne Vergleich„große",— der bayrischen Städte allergewappeltste!— Mit einem Wort, die weiß-blaue Centralsonne, um die alles gravitiert. Nun weiß jeder Astrophysiker, daß Centralsonnen mit ihren Trabanten ein doppeltes Verbältnis einzugehen Pflegen: die unikreisenden Sterne fühlen sich sowohl abgestoßen von ibr, als angezogen; Tangential- und Ccutripctalkr'aft heißen es die Gelehrten. Der„gescherte" Bauer heißt es zwar nicht mit besonderem Wort, aber er fühlts: denn eine unheimliche Angst vor dem verdächtigen Konglomerat von Verwirrung und Verführung,„München " genannt, mischt sich in seiner Seele geheimsten Tiefen mit der namentlich bei halben Billetpreisen zur Zeit des Oktoberfestes unstillbaren Sehnsucht, „d'Münchnerftadt" einmal gründlich kennen zu lernen. Dies echtbayrische Nationalgcftihl, und noch manches andre, hatten unfern jungen Burschen, wie gesagt, verführt, Heim und Eltern zu verlassen und gen München zu streben. Und der Frühjahrshimmel segnete sein Beginnen. Denn kaum einmal war ibm unterwegs die Jacke vollgeregnet, trotzdem der unwirsche April regierte. Es blaute und grünte, leuchtete, sang und blühre um ihn herum, Tag für Tag durch die ganze Reise. Freilich— er hätte sie für einige Mark billiger haben können und schneller, die Fahrt aus der Heimat,— die Bahn hätte ihn in einem halben Tag nach München gebracht. Und Geld hatte er ja. Aber das versteht eben unsereiner nicht, der auf Kurierzügen durch Europa fliegt: das geht eben nicht für ein einfaches Landkind, sich da mir nichts dir nichts der Bahn anvertrauen, um frech und unangemeldet und unvor- bereitet Hunderte von Kilometern per Dampf durchmessen I So ein ernster Schritt will überlegt, will ernsthaft und lang- fam gemacht sein, will Mühe und Schweiß kosten, will lange dauern und mit Schwierigkeiten und Umständen, Nacht- quartieren und Ernrüdung verknüpft sein. Und so war denn der Kastl auch von Allersdorf, Bezirksamt Spalt , zu Fuß nach München gepilgert und hatte sein letztes Fahrtlager in Dachau genommen. Und von den grünen Höhen Dachaus war er heut bei allererster Frühe in die Ebene hinabgestiegen, in deren Ferne ihn die großen fetten behaglichen Frauentürme freundlich begrüßten. „Also das ist's. Das ist München !— Und in ein paar Stunden haben wir's I" So murmelte er zufrieden, als er sich dem Schatten der alten Allee anvertraute, die zur Haupt- stadt führt. Und bald, nachdem die erste Morgenmüdigkeit über- wurden war, wie er seinen frischen, schweren, lang- ausschwingenden Reiseschritt wiederfand, gefiel er sich in neckischen Bettachwngcn:„Heut, am 27. April 187. mittags, betrat der ehrengeachtetc Kastulus Hegebart. Gütlerssohn aus Allersdorf in Franken, die Stadt München , um da-- selbst..." Ja, was denn eigenllich? Am liebsten hätte er still— noch stiller, als man zu sich selbst spricht— hinzugesetzt:„um dort auf jeden Fall, wie auch immer,— es zu einem großen Glück zu bringen,— ein Mordskerl zu werden, aus den die Leute schauen, auf den womöglich nicht nur die Allersdorfer. sondern sogar die Münchener stolz sein sollen". Aber er errötete und schlug auf die Gräser am Weg mit dem Stecken. Denn das verflixte an der Geschichte ist eben, daß man nicht weiß, wie es anfangen. Man kommt sich vor, wie einer, der zum Rothschild ins Comptoir hineinstrolcht und ohne weiteres sagt: Bitte um eine Million I Man fühlt's schon voraus, wie sie einen auslachen werden; und da wird einem wirr und verlegen schon im Vorgefühl. Das ärgste dabei ist. daß alles rundum dagegen so fest und sicher in seinem Antt und Beruf erscheint, als wäre am Ende gar kein Platz mehr für einen, der neu herzukommt. Da fahren Eiümbahnzuge glatt und sicher um die Waldecken von Nymphenburg , da ackern die Bauern, da stapft der Landbrief- träger, da wirbeln sogar die Lerchen hoch oben so andauernd und ungestört, als hätte jede sich ein Viertel Himmel per Sommer fest und pränumerando gemietet.... Das macht irre. Da wird's einem schwül. Man kommt sich so kindisch vor mit seinen Ansprüchen und Hoff- nungen.-- Ah was I Dummes Zeug! Jetzt vor dem Ende der Wanderung, angesichts des Ziels. auf einmal ein Schul- bubengefühl bekommen! So viel Lebenserfahrung hatte der Ztastl auch schon, daß er wußte, wie schnell so ein letztes, stärkstes Bangen verfliegt. wenn man einmal die Thüre nicht nur in der Hand hält, sondern wirklich aufmacht. Das „Wie" braucht einen da bald nicht mehr zu kümmern, es findet sich von selbst. Etwas ganz andres macht ihm mehr Sorge; ob sich auch gleich jemand finden wird, der ihn zum Oheim führt. Denn der Oheim-<den Namen wußte er—. Herr Ringelmann hieß er,— wohnte seit vielen, vielen Jahren in München . Aber wo? Und was der Ohm ivar,— das hatte die vereinte Weisheit der Allersdorfer Fainilienkongresse nicht gewußt. Der Ohm Ringelmann stand in Allersdorf im Genuh, ein sehr vornehmer, seiner Herr geworden zu fein, der nie seiner dörflichen Verwandten gedachte; aber er mußte wohl ein glücklich situierter Herr sein, und der junge Neffe durfte immerhin hoffen, bei ihm vorsprechen zu können und nicht abgewiesen zu werden.„Zumal da," wie.Kastl sehr richtig dachte,„ich Geld habe und nur Rat brauche. Und den wird er wohl wissen." Er war schon tüchtig gegangen, die Sonne stand hoch, da hielt er an. Denn hier, an einer schatttgen Biegung der Chaussee, bemerkte er zu seiner Verwunderung, daß das vorher so kleine rauchumwölbte Stadtnest sich unheimlich ausdehnte, je näher er kam. Links und rechts rauchten die schlanken Kamine der Fabriken, überallher zogen Straßen zur Stadt hin, überall rannten die Bahnzüge nach der Stadt zu und vor ihm her. Es war, als wenn die Stadt ihn mit Fangarmen umklammerte, ihn cinschluckte. Er nahm die Kappe ab und wischte sich den Schweiß. Aus seinen großen Wasser- hellen feuchten Augen blickte er in Bewunderung auf das fremde Bild. Links in einer tiefen Lache quargelten die Frösche, oben trillerte das unsichtbare Volk der Lerchen, weithin gellten Pfiffe und Tronlpetensignale, und unter all dem rauschte ein dumpfer, dauernder Ton, der wie ein Atemholen der gewaltigen Stadt herklang. Jni tiefen Grün einzelner Waldstücke blinkten sonnglänzende Schieferdächer, darüber ragten Türme, Kuppeln und Schlote allenthalben aus der hellgrünen Ebene hervor. Aber von allem das seltsamste war, was hoch darüber weithin gestreckt emporstarrte: der endlos»veite in blauem Duft verlorne Zackenkranz riesiger vereister Berge, die, wie aus Speck geschnitten, bis hier hinaus glänzten und spiegelten. Darüber wieder ein lusttgcs Gewimmel silberumkränzter Wolken unter der Sonne. — Das alles sah herrlich aus; und so neu und frisch; so fröhliche Farben hatte er noch nicht gesehen; und so zog halb
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18 (1.1.1901) 1
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