Kleines Feuilleton.

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dg. Kinderstimmen. Es giebt keine Kinder mehr. Die lugen Leute behaupten es alle Tage und die klugen Leute haben recht. Einmal, weil fluge Leute immer recht haben, und dann weil alle Welt ihnen beistimmt.

Also: es giebt keine Kinder mehr.

Es giebt wirklich keine. Draußen auf den Dörfern, ja, da biel­leicht noch, oder auch in der guten Gesellschaft, da natürlich ganz bestimmt aber die Großstadtfinder? die Proletarierkinder? Bfui, das ist eine böse Sorte.

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Die Kinder aus der guten Gesellschaft, ja, das sind noch Kinder. Reizend sind sie in ihrer harmlosen Unschuld. Sie spielen mit ihren Puppen Mutter und Kind", fie tochen" mit Rosinen und Mandeln. Eie bauen Schachteln auf" und amüsieren sich köstlich mit Schaukel­pferd und Bleisoldaten.

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Rafe schnuppert begehrlich nach dem Bratenduft, der aus der Thür herausströmt. Mit fundigen Augen tagiert sie die Damen, die vorüber­schreiten, ihre seidnen Unterröde, ihre eleganten Abendmäntel.

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Wenn wir drin mitessen könnten!" sagt der Junge. Feine Sachen essen die!"

Ja Braten und Fische."

" Hast Du schon mal Braten gegessen?"

Das Mädchen lacht:" Nee nie!"

" Ich möchte mal Braten essen! Benn Water mal mehr Geld verdient, muß Mutter Braten machen, danu jeh ich auch nich mehr handeln."

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Da wirfte woll lange warten können!" Das Mädchen lacht noch lauter. Aber ich wenn ich jroß bin, denn wer ich' ne feine Dame". Du?" Der Junge fiebt sie ungläubig an.

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Sie schüttelt die braunen Böpfe und hält dem jungen Studenten Und so artig und fittsam wie sie sind! Sie werden niemals mit fofettem Augenblinzeln ihre Wachsstreichhölzer entgegen. Er ein schledtes, pemeines Wort aussprechen. Ihre Vorstellungswelt geht vorüber. ist lindlich und rein. Sie glauben all den lieben Gott Schafskopp, denn nich!" Ein wütender Blick fliegt ihm 115 die lieben Engelchen, ດາ Feen und Elfen, Wenn Rigen nach. Dann wendet sie sich wieder zu ihrem Gefährten: und Wichtelmännchen, fie Leben und weben im Bann ich groß bin, trage ich seidene Kleider und effe Braten, und' ne freis ihrer Märchen und Geschichtenbücher, Aschenbrödel und alte Frau hat's mir versprochen, neulich als ich vom Echauspiel­Dornröschen, Rotkäppchen und Schneewittchen   schreiten durch ihre haus sland. Und ich wär' hübsch, hat se gesagt, und ich soll man Träume. Die Proletarierkinder spielen überhaupt nicht. Sie liegen zu ihr kommen, wenn ich vierzehn bin, und se wollt mir alles so bloß auf der Gasse und balgen sich herum. Was Spielzeug ist, schön geben, wie ich's mir gar nicht denken kann. Tenn darf aber wiffen fie faum, sie haben niemals etwas davon besessen, aller- Mutter nicht mehr nähen de Nacht durch, denn ziehen wir raus höchstens damals, als sie noch ganz flein waren und auf der Armen- aus'm Keller und Vater friegt' n Stein auf sein Grab. Ja, wenn befcherung ein Dreierpferdchen und eine billige Puppe bekamen. ich groß bin!" Ihre Augen blizen.­

Sie glauben auch nicht an Fcen und Elfen, fie lachen sogar, wenn man ihnen von den lieben Engelchen spricht, ja, sie sind in jeder Beziehung- Rotte.

Sie wissen alles, und kennen alles, und am besten das, was Kinder nicht kennen sollen.

Sie sind genau so flug, wie die großen Leute, noch viel flüger foga manchmal. Mit ihren Hellen neugierigen Augen sehen sie immer gerode dahin, wo der Emry des Lebens am dunkelsten auf der Oberfläche treibt.

Winterabend Die Luft ist still aber voll von flingendem Frost. Keine Wolke am Himmel. Edarf und hell funkeln die Sterne, wie eine große runde elektrische Lampe hängt der Mond an dem dunklen Luftmeer.

und tief unten die große Stadt.

In ihren Straßen Licht und Leben. Breit, voll, in mächtigen Recorden flutet es dahin, eine jubelnde ymne, tie Symme lachender, lockender Lust. Wenn nur die Etin men darin nicht wären, die Kinderstimmen.

Sie tlingen immer wieder vor, man mag fich wenden, wohin man will. Sie übertönen den Lärm der Equipogen, die ihre In­foffen zu frohen Festen tragen, sie drängen sich in die schmeichelnden Geigentöne, die aus hellen Tanzfälen hinaustlingen in die Winter nacht. Sie bilden einen ganzen Chor, vereinen sich zu einer un­aufhörlichen, eintönig traurigen Melodie. Und die Melodie bleibt immer dieselbe:

' n Froschen de Schachtel Wachsstreichhölzer!"

Litterarisches.

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Sophus Schandorph  . Im Alter von 63 Jahren ist ein dänischer Dichter gestorben, der auch unfern Lesern kein Unbekannter in der Weihnachtsnummer ist. Erst vor wenigen Tagen Weihnachten im hühner­brachten wir eine Erzählung Schans stall", die für seine ganze Art charakteristisch war. dorph war unter den modernen Dänen der entschloffe..ste Nieder­länder. Das will etwas sagen in einem Land, in dem die ersten Talente alle Niederländer sind, weil sie in ihrer Bauerne heimat etwas andres nicht gar fein fönnen. Celbsts verständlich spielen neueren Moden der Litteratur auch nach Dänemark   hinüber. Ein Element der dänischen Art kommt ihnen sogar entgegen der Sinn für das Feine und Stimmungs­volle, der in J. P. Jakobsen seinen Klassischen und bleibenden Aus­druckt gefunden hat. Im übrigen aber besigt Dänemark   ein Gegengift gegen die neuromantischen Regungen: seine Bauern, die schließlich doch das Land tragen und beherrschen. Die Modelitteratur bleibt zu einer ziemlich leeren Mode- Existenz verurteilt; sie bleibt auf die Stadt beschränkt. Und wieviel Städte hat Dänemart? In dem Sinn, der hier einzig in Frage kommt, eigentlich nur Kopenhagen  . Die Symbolisten usw. find Großstadtgewächse, die nicht gedeihen, wo der Wind der Nordsee   über Jütland   streift.

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Zehn Pfennig drei Ansichtspostkarten zum Aussuchen, zehn der niederländischen Meister, eine breite, faftige, unerschrockene Pfennig!"

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' n Eechser& Veilchensträußchen!"

' n Froschen de Echachtel Wachsstreichhölzer."

Kleine dürftige Gestalten schieben sich vor die hellen Schau­fenster, ducken sich frierend in geschützte Winkel, drängen fich flehend an die eleganten pelzvermunniten Damen und Herren.

Schandorph also war Niederländer, seine Kunst war die Kunst Charaktertumst. Er liebte nicht die stilisierten Linien und die arrangierten Farben; er liebte das Leben in all seiner furiofen Wunderlichkeit, feiner breiten Bracht, feinen Kompromissen, feinen Tiefen, feinem Elend und seinem Schmutzz. Ich bitte zu beachten: auch den Schmuz. Wir überlassen es andern, seine Schilderungen des Schmuges mit berklärenden" Momenten vor dem wohlgebornen Bublifum zu ent schuldigen. Wir wissen, daß eine derbe Bauerumagd, deren Neize mehreren Dörfern bekannt ist, ihre eigne Schönheit hat, und wissen, daß nientand im Sinne der Niederländer ein Künstler wird, der au dieser Schönheit nicht seine helle, derbe, lachende Freude baben kann. Jm Widerwärt'gen breite, tücht'ge 8üge", fagt Fauft, wie er im zweiten Teil des Gedichts vor der Sphing ' s fooft ja doch keener mehr wat. Se bleiben ja nich mal steht und wer diese breiten, tücht'gen Büge" im Widerwärtigen nicht stehen bei die Kälte."

Unter dem dunkeln Hausflur stehen zwei Knaben in Röckchen. Sie reiben die Hände ihre Tragefästen find noch voll. Halberstarrt liegen die Veilchensträuße des Kleinsten einander.

Rommifte nach Haus?" fragt der Große. Nee, id fann nich."

Id kann aber doch nich."

Hat Dein Vater in Arbeet?"

dünnen beinahe neben­

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fieht, wer im Laster nicht die Kraft des Lasters empfindet der tann   sich getrost aufhängen oder um eine Professur einkommen; ein Künstler wird er nie. Wir freuen uns, daß Schandorph so derb sein

" Nee, immer noch nich. Is denn Deine Mutter raus aus't fonnte, wie er mitunter derb war. Wir lassen den Greinern ihr Krankenhaus?" Ree, ooch nich."

Ach!" Sie feufzen beide. Is et falt."

" Wir soch nich, aber Vater sagt, wenn ich heute' ne Mark ein­nehme, denn jeht er morgen früh und will Kooks holen." Pause. Der Große zählt feine Schäße: Und drei Froschen hab it man erft."

Gegrein und sagen mit ihm: lieber roh mit Bola, als höflich etwa wir übertragen jest mit Ludwig Fulda  .

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Schandorph hatte Humor. Wer dem Leben so gegenüber steht, " Zu Haufe is' t jrade so falt", sagte der Kleine mit einem verwer alles tennt und nichts verschweigt, der muß zum Humor lorenen Blick. Wir haben schon vorchte janze Woche nich mehr tommen, weil er anders mit dem Kram nicht fertig wird. Sein jeheizt." Humor konnte chnisch werden ein erbärmlicher Humorist, der niemals chnisch war! Es giebt Freunde Heines, die sich um eines Denkmal bemühen, indem sie von Heines chnischer Größe ängstlich Abstand nehmen. Wir haben ihnen gegenüber immer bedauert, daß uns der Cynismus fehlt, um den Wig zu machen, ben Heine beim Anblid diefer erbaulichen Denkmalsaffaire sicher gemacht hätte. Wer den Cynismus nicht will, soll ins Kloster gehen! Den Anspruch auf Humor muß er in der Welt zurüdlaffen.

" Jak zwei und' n halben."

" Und verfoofen thun wir doch nicht mehr. Komm' nach Hause." Der Kleine bleibt fest: Nee Du, weeßte was? Komm' mit, wir gehn nach Müllers Ballsäle, da wer'n wir doch noch wat los." Empörend! Hast Du gehört? Die alte Dame, an die der Meine im Vorwärtsstürzen anrennt, stößt ihren Man in die Seite. Der seufzt behäbig: Es giebt feine Kinder mehr!"

"

Vor dem großen Restaurant sind sie stehen geblieben. Der Junge ist so an zwölf, das Mädchen dreizehn Jahre alt. Ihre feine

Politisch war Schandorph   ein entschiedener Anhänger der Linken. Anfangs zum Theologen bestimmt, verließ er die Theologie, die ihm nichts als einen glühenden Pfaffenhaß zurüdließ. Als einmal die innere Mission  " in Dänemark   für seine fündige Seele zu beten fich entschloß, quittierte er über dieses wohlgemeinte Beginnen durch