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frorenen Flußläufen die Erhöhung der Getreidezölle als notwendig Ja, es muß gehen!" Die Schneiderin lächelte etivas, dann hielt beweisen. Desc Sana fie die Taille in die Höhe:" Finden Sie denn, daß die Spitzen jetzt fizen?" Es lag ihr eigentlich gar nichts an dem Urteil des Mädchens, aber sie wollte fie festhalten, wenigsten auf Minuten festhalten, auf Minuten sich freuen am Ton einer Menschenstimme. Ganz famos fizen fie." Marie trat näher. Ach Gott, ne, und wissen Sie, die saßen auch vorhin schon, aber unser Fräulein! Na, sie ist mum die Einzige!" begütigte die kleine Schneiderin. Sie hatte allen Groll vergessen, sie fühlte sich so wohl, so gar nicht mehr verlaffen und allein.

Freilich, bereits hat Scherls Lucanus, der ihn in seinen Jünglingsjahren zu rafieren pflegte und der jetzt die Stimme des Bolles zu verwalten und darzustellen hat, wiederholt über Kopf­schmerzen geklagt. Der Unglückliche, der bisher ein unbestechliches ficheres Urteil sein eigen nannte, weiß jetzt mitunter nicht mehr, was er denken soll. Und daß selbst die Druckmaschine fich hartnädig weigert, den Brei der in freier Willkür würzenden Köche zu ver bielfältigen, ist August Scherl als schlimmes Vorzeichen erschienen. Schon fezt er gweifel in die Rentabilität des Genies. der Tag Joc.

August, fehre zurück zum heiligen Stumpffinn des Geistes verzinst sich nicht.-

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Das Mädchen zuckte die Achseln: Na ja, die Einzige! Nehmen Sie sich's nur auch nicht zu Herzen, Fräulein Schäfer, ist ja doch man' n dummes Ding, Gott und es ist ja richtig, wenn sie was von einem will, fann sie ja auch ganz nett sein. Aber ruppig war's doch von ihr, das sagt die Köchin auch, und ach da ruft die Kleines Feuilleton. hgli gnädige Frau." Sie eilte nach der Thür, aber, eben als fie öffnen stehen und machte ein sehr entrüstetes Geficht: So, hier find Sie? wollte, fam die Geheimrätin schon herein. Sie blieb auf der Schwelle Da kann man sich freilich die Kehle wundschreien. Wollen Sie nicht an Ihre Arbeit geben? Es muß abgeräumt werden. Halten Sie mir überhaupt die Schneiderin nicht von der Arbeit ab. Ich bezahle ihr die Zeit nicht zum Schwazen; ich bezahle Sie, damit fie für mich arbeitet, hören Sie... damit sie für mich arbeitet."

doe. Verkaufte Zeit. Das Zimmer war beinahe schon ganz dunkel, und noch immer brachte das Mädchen die Lampe nicht. Sie stand auf und steckte die Gardinen mit einer Nadel zurück, so ging es allenfalls noch ein paar Augenblicke, wenigstens konnte man sehen, wo die Naht entlang gehen mußte. Seufzend nahm fie die rosa Atlastaille wieder auf und hielt sie prüfend vor sich hin. Die weißen Spigen machten sich gut, be­sonders vorn am Halsausschnitt. Bart und duftig legte sich ihr

Mufik.

feines Gespinst über den weichen Seidenstoff, die alten fielen Es giebt auch für müde Musikreferenten noch freudige Ueber­graciös und leicht. Nun sollte das Fräulein aber kein Wort mehr fagen!

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raschungen. Der bereits mehrfach erwähute Ausschuß aur Das Fräulein! Sie preßte die welten Lippen aufeinander. Veranstaltung von Voltsaufführungen" hatte für Ein jähes Rot stieg in ihre schmalen Baden, ja, das Fräulein, am vergangenen Freitag zu seinem 29. Konzert in der Philharmonie ein liebsten hätte sie ihr die Taille vorhin vor die Füße geworfen. So vorwiegend aus Arbeiterkreisen bestehendes Publikum auf privatem eine Scene zu machen und warum? Bloß weil die Spigen nicht Wege zusammengebracht. Das Programm war so gestaltet, daß die ver­faltig genug fißen sollten. Ganz richtig hatten sie gefeffen, aber wöhntesten Musiker und Musikfreunde ihre Freude daran haben konnten, ganz richtig; fonnte sie dafür, daß das Fräulein so eine magere teils wegen der Unbekanntheit und Interessantheit vieler Nummern, Hopfenstange war? Sie lächelte, fast wollte es sie überkommen wie teils wegen der Tüchtigkeit der meisten Mitwirkenden. Ob min ein Seiterkeit, aber der Unmut behielt doch die Oberhand. Daß man solches Kennerprogramm", ob ferner eine Zusammenstellung, in sich so etwas bieten lassen mußte, ah! So etwas! Sich be- der doch manches von einander recht sehr Verschiedene enthalten war, handeln laffen wie irgend ein hergelaufenes dummes Ding, das und ob schließlich die Darbietung musikalischer Feinheiten ohne nichts gelernt hat und nichts versteht. Daß man dazu stille sein vollständige Erläuterung das richtige für eine der Tonkunft mußte, schweigen," ja" sagen, und bloß, weil man das Geld nicht noch ganz naiv gegenüberstehende Zuhörerschaft ist, läßt fich entbehren fonnte, die elenden zwei Mark für den Tag! bezweifeln; wir haben uns darüber bereits oft genug aus­gesprochen. Im übrigen galt hier der ehrwürdige und an sich immer wieder bewährte Saß von dem Besten, das für das Volt" gerade gut genug fei.

Sie ließ die Arbeit sinken und sah vor sich hin. Wie still es im Zimmer war! Nicht einmal eine Uhr ging, und unten lag der Hof öde und leer, kaum daß am Tage drei Menschen hinüber gingen. Schrecklich, diese Stille und Einsamkeit! Und da saß man mun den Tag über drin, nähte und stichelte und stichelte und nähte, und höchstens, wenn das Mädchen das Essen brachte oder wenn An­probe war, sah man einen Menschen und sprach ein Wort. Schrecklich!

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Nicht nur die charakteristischesten Leistungen des Abends, sondern anscheinend auch die Hauptverdienste in der Leitung des Ganzen gingen auf Herrn Musikdirektor Carl Menge we in zurüd. Seine Berliner Konzertvereinigung Ma drigal", die wir früher einmal nach Werdienst gekennzeichnet Sie hatte das noch nie empfunden, aber jept empfand sie es. haben, brachte ältere und neuere Volkslieder und volksliedartige Schwer und drückend legte sich die Einsamkeit auf ihre Brust. Wenn Stücke zn Gehör, mehrftimmige Gesänge, von denen die des 16. Jahr jemand käme, wenn sie nur ein Worte hörte, eine Menschenstimmie, hunderts den Namen Madrigal " tragen, eigenartig anmutend durch einen menschlichen Laut! Sie borchte auf. Irgend woher flang ver- ihren Reichtum des Wechsels der Zusammentlänge. Unter den gegen Torenes Klaviergeklimper und dann so etwas wie ein Lachen, aber wärtigen Seitenstücken dazu ragte ein( von Arno Holz gedichtetes) ganz dumpf und schwer. Ah, das war im Salon! Abendlied" hervor, das Mengewein selber komponiert hat; es ge Ja, da jaßen sie jetzt allees var ja Besuch gekommen hört der Gattung von Liedern all, die weniger durch als die Frau Rätin hatte ja auch schon am Vormittag ihren Gesamtgeist ganz recht durch ihre Anschmiegung an davon gesprochen. Der Herr Assessor war da, und der Herr Assessor Text im einzelnen wirken. Fräulein Alma Joh. Schmidt, war der Zukünftige des Fräuleins, ja, da konnte die lachen! ein halber Alt", fang erst eine Arie aus Mozarts Titus"( eine Sie seufzte. Die Scene von vorhin fiel ihr wieder ein. Nein, doch wohl unglückliche Wahl!) und brachte dann ihr bemerkenswertes es war eigentlich nicht zum Aushalten! Und im Grunde ge- Können namentlich in dem Ausdruck zur Geltung, mit dem sie Lieder nommen, was war sie denn eigentlich, das Fräulein? Eine wie Schumanns Spielmann" sang. Eine beffere Atemtechnik würde grüne Jöhre, aber eine ganz grüne mit ihren siebzehn Jahren, und ihre schöne Gesangskunst jedenfalls noch erhöhen. Den Kern der von der sollte man sich Grobheiten sagen laffen? Eigentlich leberraschungen bildete die Mitwirkung Meister Joachims. Er unerhört! Ihre alten, arbeitsharten Hände krampften sich zu spielte Beethovens berühmteste Violinsonate, die Rud. Krenzer sammen, und zugleich fam es von neuem herangetrochen, mit all gewidmete, und das ewig wiederkehrende Violinkonzert von Mendels­feinen Schauern, das häßliche Gespenst der Einsamkeit. sohn. Ueber Joachims Spielweise und persönliche Bedeutung kann man sich nun doch bald einigen. Ein stark tonservativer Mann, von manchen vielleicht sogar für etwas wie den bösen Dämon des Berliner Musitlebens gehalten; ein Geiger, übertrefflich in der Schönheit des Tons und in der nicht eben von hinreißendem Fener erfüllten Wärme des Vortrags, unübertrefflich in der Gestaltung des Einzelnen durch die ganz wundersame Bewegtheit in Zeitmaß und Stärke, mit der er die Töne zu- man möchte sagen: lebendigen Gebilden zusammen faßt! Seine Klavierpartnerin, eine aristokratische Dame, spielte mit einer Geläufigkeit und vornehmen Nuhe, die sie jedenfalls über Dilettantenrang hinaushebt, zeigte aber eine akademische Stühle, die fast wie eine nachbildende Charakterisierung Joachims anzuhören war. Eigentümlich berührte die Beifallsart des dankbaren Bublifums. Sie stand auf und ging nach der Thür, aber ehe sie da war, Daß die Beifallsäußerungen ein oder das andre Mal vorlaut in die wurde die schon von außen aufgerissen und ein heller Lichtschimmer Musit hineinstürmten, kommt überall vor, wäre jedoch hier leicht fiel in den dunklen Raum. Marie brachte die Lampe . Marie lachte: durch eine diesbezügliche Weisung auf dem Programm zu ver­ Ja , Sie dachten wohl schon, ich hätte Sie vergessen, Fräulein hindern. Im übrigen aber merkte man dem Beifall an, Schäfer? Ich konnte aber wirklich nicht eher, ich mußte vorn servieren." daß er wahrhaftig" war, und er artete nicht zu dem Ach es thut ja nichts." Die Schneiderin hatte schon den Stuhl gymnastischen Personenfultus aus, der sonst in den Konzerten üblich an den Tisch gerüdt, nun brachte fie, sorgfältig am Anhängsel an- ist. Juteressant wäre es, zu wissen, ob sich in einer solchen Zu­fassend, auch noch die Taille nach, breitete ein weißes Tuch über die hörerschaft nicht doch das Gefühl regt, daß zu einem wirklichen Knie, legte die Arbeit darauf und begann zu nähen. Das Mädchen Näherbringen fünstlerischer Kompositionen noch das meiste fehlt, so fah mit bewunderndem Blick auf die Taille: Wie sauber Sie lange sie nicht auch genügend erläutert werden, und so lange nicht das wieder alles gemacht haben, Fräulein Schäfer, alle Nähte ver- auch etwas gethan wird zu einer allgemeinen musikalischen Bildung stochen, daß Sie das noch so können mit Ihren Augen!" der Bildungsbedürftigen.

Ja, die saßen da vorn im Salon und lachten und amüsierten fich, und fie faß hier im Hinterzimmer. Aber all das dauerte nur einen Augenblick, wenige Minuten, dann nahm sie die Arbeit von neuem auf und zog die Nadel durch die schwere Seide.

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Sie machte indessen nur ein paar Stiche, es war inzwischen ganz dunkel geworden; sie konnte beim besten Willen nichts mehr sehen. Müde fielen ihre Hände wieder in den Schoß. Man hatte fie vergessen, wie es schien. Ja, da war es wohl am allergeschentesten, fie ging nach der Küche und holte sich selber Licht, sonst konnte sie womöglich bis neun Uhr abends sitzen, und die Frau Rätin machte noch Krach obenein.