Anterhaltungsblatt des Horwäris Str. 44 Sonntag, den 3� März 1901 (Nachdruck verboten) a] bunte Neihe. Berliner Noman. Von Fritz Mauthner . Inzwischen hatte der Lehrer die kalte Suppe ausgeteilt und erinnerte sich wieder einmal zu spät, daß Siegfried in seiner tadelnswerten Gier das Tischgebet vergessen hatte. Bohrmann war ein bißchen freidenkend, aber nicht zu sehr, und nur mit schlechtem Gewissen. Er legte seinen Löffel wieder hin und sagte streng: „Siegfried!" „Was soll ich?" stöhnte der Junge undeutlich, während er, sich überstürzend, einige Löffel nahm. „Vater," lenkte Leuchen ein,„Friede hat das Tischgebet vorhin gesagt, wie wir ivarten mußten und eine Schrippe bekamen. Wirklich und wahrhaftig l Wir haben es sogar beide aufgesagt. Und Mama auch. Und darum haben wir jetzt gleich angefaugen." Siegfried löffelte weiter, ober dabei fand er noch die Möglichkeit, zu weinen und laugsam hervorzustoßen: „Nein, Papa, ich habe das Tischgebet.. „Friede l" rief Lenchen drohend, und es blitzte abscheulich boshaft in dem hübschen, blassen Gesichte auf. „Es ist gut," sagte Bohrmann,„aber Du weißt, Lenchen, Du sollst nicht Friede zu ihn: sagen. Er heißt Siegfried, und zwar zu Ehren des deutschen Nationalhelden,»velcher als ein Somiensohn Riesen und Drachen überwand, unverwundbar war und von dem Schwarzelfen umgebracht wurde." „Vater," fragte Lenchen,„wenn er unverwundbar war, wie haben sie ihn umbringen können?" Bohrmann hörte wieder nicht zu. Er bewegte den Suppen- löffel im Takte auf und nieder und murmelte wie in poetischer Verzückung: „Sonnensöhne, Wciberschöne, Schwertgezücke, Weiber- tücke." Unwillkürlich fuhr er mit der linken Hand über den blonden Rusch(!lkops Siegfrieds und blickte ihn froh an, als wollte er sagen: So einen Vater hast Du. Und was wird erst ans Dir werden mrtcr seiner Leitung! Die Frau war barfuß hinausgeschlurft und hatte jetzt, als sie mit einer dampfenden Schussel hereinkam, alte Filz- Pantoffel an. „Das kommt von Deiner Unordnung," und sie setzte das Gericht hart auf den Tisch, als ob ihr die Last zu schwer ge- »vesen wäre.„Richtig haben sie ein bißchen angesetzt. Kaum zu spüren, aber bei Dir wird sich natürlich wieder das Dach heben." Sie schob die leeren Suppenteller einfach beiseite und legte vor. „Nicht zu viel, bitte, Mama ," rief Lenchen.„Du weißt, von Schweinebauch kann ich nie viel essen." „Bon gar nichts kannst Du was essen. Da, hier hast Du ein mageres Stück. Das Fette lege ich Frieden zu, oder hast Du auch zu mäkeln?" Der Junge stürzte über das Essen her und kreischte: „Zu heiß! Und ich habe solchen Hunger." „Ein gesitteter Manu, lieber Siegfried, muß sich in früher Jugend beherrschen lernen, denn die Gier ist die Erzfeindin aller Tugenden. Gierige Menschen sind selten tugendhaft. Man könnte auch sagen: Wer gierig ißt, der ist der Tugend bar. Verstehst Tw das, mein Siegfried?" „Ja, Papa. Aber Schweinebauch cffc ich so furchtbar gern, und er ist zu heiß!" Der Lehrer war wieder lvie geistesabwesend und aß, was die Frau ihm auf den Teller gelegt hatte.' Sie selbst hatte vor einer Stunde für sich und Lenchen einen süßen Eierkuchen gebacken und aß jetzt nur etwas Brot und Fett. „Nie ist etwas gut genug für sie, und Du bist der Schlimmste." „Wo denn? Was denn?" fragte Bohrmann. „Wo warst Du denn schcm wieder?" fuhr sie ihn an. „Von wo kommst Du herunter? Vom Kronleuchter? Wo kommst Du her? AuS dem Mustopf wie's mir scheint."s „Das wäre Wohl möglich," sagte Vohrmann mit einem guten Lächeln,„da für Euch ein Glas mit Eingemachtem oder ein Mustöpfchen, üne Du es nennst, eine hohe Wonne ist und ich eben aus dem Himmel meiner Träume in diese Welt unter Euch trete: so könnte man volkstümlich sagen.... Wie denn? Was denn? Nein bitte, Hilde, heute nicht I Es ist heute der Geburtstag meines Erstlings- Werks. Mein hohes Lied ist heute geboren worden." „So bist Du endlich fertig? Gott sei Dank.* „Ich hatte noch die letzten Worte niederzuschreiben. Weißt Du, liebe Hilde, wißt Ihr, liebe Kinder, die letzten Worte meines Erstlingswerks, worauf dann der Vorhang fällt und die Menschen im Theater ausspringen und mit ihren Händen zusammenschlagen.... O Gott, o Gott I" Der Lehrer>var selber aufgesprungen und stellte sich ans offene Fenster. „Irgend ein Geräusch hat mich unterbrochen, ein Ruf von der Straße. So habe ich die letzten Worte für den Nach- mittag gelassen. Die letzten Worte brauchen immer eine be- sondere Stimmung. Sogar Frau Lose hat mir gesagt, es käme aufs Schlußwort au." „Die!" „Ja, Mascha Lose. Und so kann ich wohl sagen, meine Kinder, daß Euer schlichter Vater ein Werk vollendet hat, na, noch nicht vollendet, um nicht zu lügen, das dauerhafter sein wird, als Erz und Verträge. Ihr alle habt mitgeholfen, ihr beide durch Euren Gehorsam rmd Eure Güte; auch Du, Hilde, durch tägliche kleine Opfer. Alle habt Ihr geholfen, dafür wird Euch das Werk auch Ehre machen. Wartet nur, wartet nur! Wenn Du in die Schnle kommen wirst, Siegfried, und einer meiner Kollegen wird Dich fragen, wie Du heißest, und Du wirst sagen, Siegfried Bohrmann, und der Lehrer wird fragen, welches Bohrmann Söhnchen Du seiest, ob gar des Dichters Bohrmauu? dann wirst Du sagen können, ja wohl, Johannes Bohrmauu, der Dichter Bohrmann ist mein Vater. Wartet nur, wartet nur!" „Wenn Du fertig bist, Papa," sagte Siegfried,„dann kriegt Mama ein Plüschsofa und Lenchen einen alten Handschuh- kästen mit nackten Bengeln. Kriege ich auch was, wenn Du fertig bist? Ich will ein Schaukelpferd, Papa, wenn Du wirk- lich fertig bist!" „Was ist das mit dem Plüschfofa?" fragte Bohrmann zerstreut. „Na ja," sagte die Frau,„ich habe den Kindern erzählt, jetzt würde alles anders werden im Hause. Ich werde den Kindern doch noch erzählen dürfen, daß Du ein großer Mann bist und uns alle glücklich machen wirst und daß ich«in Plüschsofa bekomme. Das wäre noch besser. Hoch- achtnng sollen sie vor Dir haben und Dir nicht auf dem Kopf herumtanzen." „Ja wohl, liebe 5tinder, da hat Eure Mutter recht. Der Dichter steht ans dem Gipfel der Menschheit und braucht sein Haupt vor keinem Fürsten zu beugen, wenn der nicht gerade ein Mäcen ist. Mit Königen und Kaisern speist der Dichter zu Tische und Kömginnen reichen ihm zum Lohne für eine Vorlesung die Rose von ihrer Brust." „Wirst Du auch beim Kaiser cffcn?" fragte Siegfried. „Schweinebauch? Bekommen Prinzen so oft sie wollen?" „Gieb ihm noch ein Stückchen, Hilde, es ist heute ein so seltener Tag. Und ich kann und darf nicht mehr essen. Die Schwingen des Genius dürfen nicht träge werden durch allzu üppiges Leben." „Natürlich wieder für Siegsried! Ob ich mich satt gegessen habe, daran denkst Du natürlich nicht!" „Aber Hilde!" „Mama meint doch nur, daß Friede schon pumpsatt ist, daß Siegfried schon genug hat, will ich sagen. Iß doch noch, Vater. Du wirst sehen. Du wirst dann schneller fertig." Bohrmann küßte Lenchen ans das rötlich blonde Haar, zwang sich zerstreut zu ewigen Bissen und ging dann plötzlich in sein Schlafzimmer zurück. Die andren beendeten das Mittagessen. Frau Bohrmann führte noch langsam ein Stück Schrippe zum Munde und knabberte träumerisch daran. Lenchen ordnete die Bohnen zu einem Stern, und Siegfried bekam noch einen Löffel voll. Als niemand mehr aß, fing Lenchen zu schmeicheln an. „Liebste, beste Mama, weil doch Vater fertig ist und so vergnügt darüber und zur Feier des Tags... darf ich Kirschkuchen holen?"
Ausgabe
18 (3.3.1901) 44
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