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nur für die furzen Sekunden des bannenden Märzenzaubers einen Gottesfrieden läßt: Ich habe. ich bin. mir ist... Ich bitte nur startnervige Personen, wie etwa die Gardinenpredigt weiblein, weiter zu lesen, und ich erkläre ausdrücklich, daß ich für teinen durch unvorsichtiges und unbefugtes Weiterlesen etwa entstehenden Schaden aufkommen und mich auch nicht bereit erkläre, ohnmächtig werdende, wenn auch noch so berückend schöne Leserinnen in meinen Armen aufzufangen. Nur die Nervenathleten haben das Recht, das Schaurige zu vernehmen, und auch sie müssen sich auf alles gefaßt machen. Ich habe... ich bin... mir ist. Haltet Euch fest... Mir fehlt ein Sinn!!! Mir- fehltSinn!!!!
ein
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niemals Riester und Schnupftabat gehabt habe, und ich werde als ohnehin schon verdächtiger Mensch einen Meineid geleistet haben und ich werde ins Zuchthaus wandern. Wenn ich aber wieder herauskomme, werde ich einen Mord begehen, dann werden andre Zeugen Meineide leisten. Und im Triumphgefühl der so gelungenen Rache werde ich auf dem Schafott enden } O Menschheit und Publikum, nimim dir an meinem düsteren Schicksal ein warnendes Erempel. Uebe früh und spat den Sinn für die Kleidung der Nebenmenschen und lasse keinen an dir vorübergehen, dessen Aussehen du nicht in allen Einzelheiten und für alle Ewigkeit in dein Hirn einprägst. Dann wirst du immer zeugnis tüchtig sein, Mörder, Räuber und Einbrecher werden vor der Schärfe deiner Gedächtniskraft erblassen und die Gerechtigkeit wird siegen!- Joc .
Kleines Feuilleton.
Wie ich zu dieser niederschmetternden Entdeckung gekommen bin? Höret Ahnungslos studierte ich wieder einmal einen Prozeßbericht. Ihr wißt ja, daß es nichts Schöneres giebt, als so einen gediegenen Mordprozeß durchzulesen; der Gerichtsparlamentarismus erfreut zum Unterschied von den sonstigen Parlamentarismussen die Seele und erquickt den Leib. Wenn man schon selber nur sehr gelegentlich gr. Rund um Berlin . Wer das Geld hat, fährt um die Verbrechen verübt, so ist es doch wenigstens einem vergönnt, Welt; wir fahren heute nur rund um Berlin . Es ist bedeutend platonisch unter den kriminellen Adelskraftmenschen zu leben dank billiger. Man hat den Wig für zwanzig Pfennig, wenn man noch den Prozeßberichten. einen Nickel zulegt, kann man sogar zweiter Klasse fahren, und man In dem Prozeß, den ich meine, trat nun, wie das oft geschieht, bekommt auch ein Stück Welt zu sehen. ein Zeuge es kann auch eine Zengin gewesen sein auf und be schwor auf den heiligen Eid, er habe vor zehn Monaten nachmittags 3,41 Minuten einen Mann auf der Straße vorübergehen sehen; der habe einen braunen weichen Hut, einen grauen Rock, gelbe Beinkleider, eine bläuliche Krawatte und Halbschuhe mit einem Riester an der rechten Seite des linken Stiefels getragen und dieser Mann sei tein andrer als eben der Angeklagte. Das nahm der Zeuge oder die Zeugin auf den heiligen Eid, und da das Zeugnis von einer achtbaren, durchaus glaubwürdigen und völlig unvorbestraften Bersönlichkeit abgelegt wurde, machte die Aussage auf die Geschwornen, den Staatsanwalt und die Richter einen tiefen Eindruck. In dem Bericht liest man deshalb an dieser Stelle in Klammern auch das stimmungsvolle Wort: Bewegung!
Als ich gespannt in der Lektüre fortfahren wollte, da flemmte fich plötzlich zwischen mich und das Zeitungsblatt ein tückischer Einfall, der mich nicht wieder los ließ, und dieser Einfall redete ungefähr so zu mir:" Werter Joc! Du liefest den Bericht so gedankenlos hin und brichst nicht in Erstaunen aus über die geniale Geistestraft jenes Zeugnis ablegenden Individuums, das die Kleidung eines Manns nach Monaten genau zu beschreiben vermag, den es nur einmal flüchtig gesehen. Könntest Du so elivas?"
Na und ob," antwortete ich hochmütig.
Der Einfall aber grinste boshaft und fuhr fort: Nur keine Einbildungen, geschäßter Joc! Ich will von Dir gar nicht die überirdische Geistesschärfe jener Person verlangen. Nur etwas unendlich Einfacheres, Leichteres sollst Du thun. Sage mir, Joc, ich irre mich doch nicht, wenn ich behaupte, daß Du seit Jahren Tag für Tag stundenlang mit denselben Menschen zusammen sigest." „ Aber selbstredend!"
" Nun also" und dabei schnitt der Einfall eine ruchlos teuflische Grimasse ,, verrate mir gefälligst, welche Farbe haben die Anzüge Deiner Gefährten? Nur die Farbe wünsche ich zu wissen. Ich bin nicht so unbescheiden, Kenntnis von Dir über den Schnitt, die Kragenweite und die Stiefelform zu verlangen. Nur die Farbe!"
„ Kinderleicht," rief ich munter, Du scheinst mich für einen Jdioten zu halten."
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" Bitte, es kommt auf den Beweis an. Fangen wir der Reihe nach an. Stelle Dir zuerst den Wilhelm Schröder vor welche Farbe hat sein Anzug?" das ist doch
Welche Farbe der Anzug Wilhelm Schröders hat ganz gewiß, er ist hmäh! äh!..."
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Hm und äh find keine Farbenbezeichnungen," spottete der Einfall. Verdammt, ich weiß es nicht!" Ganz erschöpft von marterndem Grübeln und tief zerknirscht wegen meiner Unfähigkeit gesteh' ich es endlich.
Und der Einfall examiniert unbarmherzig weiter- immer mit dem gleichen Erfolg. Bon niemandem wußte ich auch nur die Farbe feines Rocks anzugeben. Welch eine betäubende Entdeckung! Jeder Zeuge vermag vor Gericht das Aussehen eines Menschen bis in alle Einzelheiten zu beschwören, auch wenn er ihn vor zehn Jahren nur einen Augenblick geschaut hat, und ich weiß nichts, gar nichts von dem Aeußeren der Personen, mit denen ich täglich an einem Tisch zusammen fige.
Auf dem Potsdamer Bahnhof fängt die Reise an. Heller Nachmittag, es ist leer im Coupé, man hat es bequem, kann von einem Fenster zum andern laufen und sich die Gegend anschauen. Ganz interessant, diese Gegend, auch hier schon. Links vorläufig noch Hinterhäuser, aber rechts der Westen. Es muß sich gut wohnen im Westen. Was da für elegante Häuser stehen. Das Karlsbad mit seinen Gärten und seinen alten Bäumen. Hier muß es gut sein, wenn im Sommer die Rosen blühen und die grünen Aefte schwankende Schatten auf Balkon und Loggia werfen.
Aber vorüber. Hinterhäuser und Lagerplätze schieben sich vor die Prunkpaläste. Links steigt die Hochbahn, ein Riesenwert von Menschenhand. Eine Weile laufen ihre fühnen Bogen neben dem Geleise hin, dann verschwinden sie. Schöneberg . Warum das Ding Schöneberg heißt? Von Schönheit keine Spur. Endlose Straßenzüge, fein grimes Blatt, fein Baum, ein steinernes Labyrinth, tot, falt und öde, aber vornehm. Die Häuser alle hochelegant. Im Straßenbilde dominiert der Soldat. Alles in allem eine langweilige Gegend. Aber nun wird es freier. Tempelhof das Feld. Herunter mit den Fenstern, daß die Luft herein kann. Wunderbare, reine Winterluft, und unten auf dem Felde der Schnee, so still und weiß. Am Bahndamm spielen Kinder. Ihr helles Lachen klingt herauf. über die Chaussee rumpelt ein Bauernvägelchen, sonst nicht ein Mensch auf der weiten Fläche. Ein blauer Dunst in der Ferne verrät das Leben der großen Stadt. Schwarz und dunkel hebt sich die Hasenheide vom Felde ab, man könnte fast denken, es sei Wald ba drüben.
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Und rechts das Dorf. Aus bereiften Gipfeln steigt die alte Feldsteinkirche auf Gärten und Felder und über die Felder weg in der Ferne neue Dörfer und neue Türme, verschwimmend in dem blaugrauen Duft des Winternachmittags.
Der Zug geht in die Versenkung, links und rechts steile Hügelhänge. Nichts zu sehen als hin und wieder ein Baum, der neus gierig über den Rand herunterguckt. Und so eine ganze Weile fort.
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Aber jetzt Nixdorf. Das alte Dorf, die junge Stadt. Wirklich Rigdorf? Nicht der Westen? Nicht das Viertel, wo die Reichen wohnen? Breite Straßen, vornehme Häuser. Häuser neuester Mode. Jugendstil, Secession man tann Kunststudien machen vom Coupéfenster aus. Und in allen Straßen grüne Alleen, und dazwischen Gärten, Obstgärten und Blumengärten, und Altes und Neues friedsam gestellt. Neben der Mietstaserne kleine Bauernhäuser, Kuhställe hinter eleganten Villen, rauchende Schlote und düstere Friedhöfe, und drüben aus Büschen und Bäumen lugt still und traulich das Haus der Herrnhuter hervor. Böhmisch- Rigdorf ein Bild aus alten Tagen.
Ueber die Köllnischen Wiesen geht es weiter. Wie ein Traumbild taucht der Treptower Park empor und schwindet, weiß und falt liegt die Spree zu unfren Füßen, eisige Bande halten Zillen und Boote fest, nur in der Ferne, hinter der Abtei, blinkt offenes Wasser. Am Ufer der Liebesinsel sigen Krähen; sie sißen auf einer Eisscholle und schauen trübselig drein. Dann steigen sie mit einem Mat jäh empor und verlieren sich krächzend über der Wuhlheide. Stralau- Rummelsburg innsteigen!
Mit dem Nordring geht es weiter; langweilige Fahrt. Wir fommen in den Osteit. Es ist nicht schön da. Das Arbeiterviertel!
Die Straßen find häßlich, düster und eng, und die Häuser schmucklos. Nirgends ein Balkon; keine Loggia, kein Erler. Armeleutsgegend; nur die Frankfurter Allee macht eine Ausnahme. Breit und prächtig zieht sie sich in die Stadt hinein. Sie ist still heute, kein Wagengerassel, kein Verkehr. Und ich stehe und sehe auf die stille Straße und dente an einen Sommertag, wo die Menschen sich hier in dichten Massen drängten. Und ich denke an einen schwarzen Bug, der unabsehbar da unten hinging, und sehe hinüber nach dem dunkeln Hain des Central- Friedhofs und denke au ein Grab. Der Alte
Seitdem hasse ich die Welt und verfluche mein Dasein. Ich bin ein Strüppel, ein Fragment, ein Torso, ein ausgebraunter Dachstuhl. Mir fehlt der wichtigste Sinn, den der moderne Mensch benötigt: der sensus processualis. Niemals werde ich einen Mörder überführen können, niemals werde ich bei Geschwornen, Staatsanwälten und Richtern Bewegung hervorrufen, ich bin mit Eidesblindheit geschlagen, ich werde stets den Schwur verweigern müssen, ich werde den Rest meines Lebens ein Semester nach dem andern in Zeugnis Zwangshaft vertrauern. Und wenn mir diese Haft zu eintönig wird, dann werde ich schließlich doch einmal Zeugnis ablegen, ich werde schwören, daß ich vor 21/2 Jahren einen Mann gesehen habe, der Jezt geht es schon auf Weißensee zu. Der Viehhof liegt hinter Riester an den Schuhen und Schnupftabat in den Nasenlöchern hatte und uns; links der Osten mit seinen häßlichen Straßen, rechts freies daß dieser Mann zweifellos mit dem Angeklagten identisch sei. Und Feld und Laubenkolonien. Sie sehen öde und verfroren aus. Auf dann wird der Angeklagte durch andre Zeugen beweisen, daß er einer Bretterbude flattert noch der Rest einer vergessenen Fahne. Der
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Vorüber, vorüber!