322
" 1
Ms Herr
Doktor Kattowitzer hatte die Bemerkung gehört. Natürlich sei Neumann bekniffen. Lose habe doch deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er heute vornehme Gäste bei sich beherberge.
,, Wo er recht hat, hat er recht. Er hat heute Geheimräte, Stadtverordnete, einen Professor und einen General, der sich Excellenz schimpfen läßt, da zählen wir vom Theater gar nicht mit."
ebenfalls Mitglied des Kronprinzen- Theaters sei. Es stellte sich jetzt heraus, daß die bildschöne junge Dame Sie war als Sängerin engagiert worden, aber bis heute war es unsicher, ob auf dieser Bühne überhaupt Operetten gegeben würden.
" 1
Blaise Qurignons. Er war jetzt siebenunddreißig Jahre schreckliche Vornehmheit für den heutigen Abend. alt und seine Frau siebenundzwanzig. Er hatte sie bei Lose sich nach dem Fisch erhob, spottete Kattowizer, es werde ihrer Mutter kennen gelernt, einer Klavierlehrerin, die in eine Rede auf den Kaiser geben. Es war nur eine Begrüßung einem finstern Haus der Rue Saint- Jacques mit ihm auf dem der Gäste. selben Stockwerke wohnte. Die Tochter war von so blenden- Was hat denn Neumann?" fragte Frau Kiek.„ Er der Schönheit, so stolz und königlich, daß er sich mehr als sieht ja aus wie ein begossener Pudel." ein Jahr lang, wenn er ihr auf der Treppe begegnete, furchtfam gegen die Mauer gedrückt hatte, im schamhaften Bewußtsein seiner Häßlichkeit und seiner Armut. Dann wurden Grüße gewechselt, es entwickelte sich eine immer vertrauter werdende Bekanntschaft, im Laufe welcher die Mutter ihm erzählte, daß sie zwölf Jahre in Rußland gelebt hatte, und daß dieses Mädchen mit der königlichen Gestalt das einzige Befigtum sei, das sie von dort mitgebracht habe, nachdem sie auf dem Schlosse, wo sie Lehrerin war, von einem Fürsten verführt worden sei. Sicherlich hätte der Fürst, der sie vergötterte, in reichster Weise für sie gesorgt; aber eines Abends nach der Jagd war er durch einen zu fällig losgegangenen Schuß plöglich getötet worden; und die arme Frau, die vollständig mittellos mit ihrer kleinen Beruhigen Sie sich, Fräulein Fifi," sagte Doktor Fernande nach Paris zurückgekehrt war, hatte keine andre Rattowiger. Heute noch hat diese Wirtschaft ein Ende, heute Wahl gehabt, als ihre Lektionen wieder aufzunehmen und in noch kommt eine Entscheidung. Hie Goethe, hie Kattowiger. angestrengter Arbeit so viel zu verdienen, um ihre Tochter Mascha ist augenblicklich noch für Goethe. Aber Sie machen aufziehen zu können, für welche sie irgend eine märchenhafte sich doch nicht ernsthafte Sorgen, schönste Fifi? Mit Ihrem Glücksgunst des Schicksals erträumte. Fernande , von mütter- Gesichte übrigens braucht man nicht gleich öffentlich aufzutreten." licher Anbetung berhätschelt, überzeugt, daß ihre Schönheit sie für einen Thron bestimme, stieß sich täglich an der erbärmlichen Dame, die Fräulein Fifi genannt worden war. Wie ist der „ Es soll sehr feine Herren in Berlin geben," sagte die Misere der Armut wund, wenn es an Geld fehlte, um Zon in Berlin ? Schadet man sich, wenn man ein Souper zerrissene Schuhe durch neue zu ersetzen, wenn alte Hüte und Kleider immer wieder mit eignen Händen aufgefrischt werden mußten. Eine unablässige zornige Empörung fochte in ihr, lachend. Was, Herr Bohrmann! Profit! Blicken Sie die " In meinen Augen nicht," antwortete Dottor Kattowizer ein solch fieberhaftes Verlangen nach Sieg und Triumph, daß sie, seit sie zehn Jahre alt geworden, keinen Tag ver- ganze Tafel hinauf und hinunter und Sie sehen nur feine bracht hatte, der nicht den Haß, den Neid, die Grausamkeit Herren und feine Damen, die ein Souper von Mascha Lose in ihr vermehrt hätte, so daß schließlich eine furchtbare Menge angenommen haben." zerstörender und verderblicher Kräfte in ihr aufgesammelt Doktor Kattowiger war selbst nervös und unruhig. Er waren. Zu allem Ueberfluß hatte sie, in dem Glauben, daß hatte rasch getrunken und gab seine Meinung zum besten. ihre Schönheit durch eigne Macht siegen müsse, die Thor- Die Gruppe der Stadtverordneten, die hier waren, weil heit begangen, sich einent reichen und mächtigen Manne sie zur mächtigen Partei des Herrn Lose gehörten, sei durch hinzugeben, der sie am nächsten Tage verließ. Diese bittere die norddeutsche allgemeine Reichsfrau drüben zusammenErfahrung, die unauslöschlich in ihre Erinnerung eingeprägt gehalten, welche die Geschäfte der Partei besorge und mitwar, lehrte ihr auch noch die Lüge, die Heuchelei, die schlaue unter über die eine oder andre Aufsichtsratsstelle zu bestimmen Berechnung, die sie bis dahin nicht gekannt hatte. Sie schwor habe. Der Professor sei nur durch Verheiratung mit einer fich zu, sich nicht wieder fangen zu lassen und sie besaß zu angejahrten akademischen Tochter zu einer Berliner Berufung viel Stolz und Selbstgefühl, um eine Hetäre zu werden, Sie gekommen. Der eine von den Geheimräten sei ein armer hatte den Mißerfolg der Schönheit erfahren, sie hatte erkennen Bürgerssohn und habe eine reiche Baronesse geheiratet. Aber müssen, daß es nicht genüge, schön zu sein, sondern daß es der in den Adern seines ältesten Sohns fließe fein Tropfen Gelegenheit bedürfe, um es mit Erfolg zu sein, daß es heiße, bürgerlichen Bluts. Die bunte Reihe herrsche nicht nur den Mann zu finden, den man bezaubern und zu seinem bei Tisch und hinter den Coulissen. Die bunte Reihe von willenlosen Sklaven machen könne. Diese Gelegenheit, Berlin , die bunte Reihe jeder Großstadt solle leben. Berlin dieser Mann bot sich ihr in Delaveau, der allerdings weder wäre keine Weltstadt, wenn es nicht die bunte Reihe. hätte. reich noch schön war, der ihr aber den Antrag machte, fie auch vom General könnte er, Doktor Kattowiger, die bunte zu heiraten. Ihre Mutter war inzwischen gestorben, nachdem Reihe in seiner Karriere erzählen. Aber mit dem Säbel habe sie ein Vierteljahrhundert lang durch den Pariser Rot er lieber nichts zu thun. Offiziere gingen zu leicht los, auch getrabt war, um Lektionen zu geben und mit Mühe einen wenn sie alte Generäle wären. färglichen Lebensunterhalt zu verdienen.
39]
( Fortsetzung folgt.)
( Nachdruck verboten).
Die bunke Reihe.
Berliner Roman. Von Fritz Mauthner . Wenige Augenblicke später stand Bohrmann allein in dem Saal. Nur Frau Kiez tam wieder herein, als suchte fie etwas.
" Sie sind wohl mein Chapeau?" fragte sie gemütlich. „ Und Sie wollen wohl nich? Kommen Sie man."
An zwei Tafeln saßen heute gegen fünfzig Personen. Bohrmann gegenüber saßen Doktor Rasfel und die Mauer hofer. Der Lehrer hörte den Doktor Raskel sagen:
Heute wird's piffein, das kenn' ich. Wenn die Wachsferzen brennen, giebt es viele Tischreden und wenig Champagner."
,, Schrecklich," antwortete die Mauerhofer. Wenn die Lohndiener nach dem zweite Glase Seft schnappen, so lohnt's gar nicht, anzufangen... und geschunkelt darf nachher auch nicht werden."
annimmt?"
Aber dort, der junge unverheiratete Maler, der sei echte Großstadtfrucht. Herrenporträts könne er gar nicht malen, nur Frauenporträts, nach Photographien. Sei die Frau alt oder häßlich, so mache er ihr für den Auftrag heimlich den Hof, gründlich und solid; sei sie hübsch, so nenne er sie in der Kneipe seine Geliebte.
17
Unerschöpflich war Doktor Kattowiger in seinen Bosheiten und Verdächtigungen. Besonders scharf gegen seinen Kollegen, den Star, der an Maschas rechter Seite size, weil die linke ohnehin dem Assessor gehöre. Der Berühmte" sei von Natur Weiberfeind, ein echter Weiberfeind. Aber um seiner Stücke willen, um der Besetzung, um jeder Kritik, um jeder Wiederholung willen laufe er von früh bis spät von einem Boudoir ins andre, von einer Schürze zur andren, von Gräfinnen zu Komödiantinnen, von Friseurinnen zu Modefrauen. Hundert Geburtstage trage der königliche Schauspielhausdichter in seinem Kopfe herum. Seine Stücke verfasse er im Bette; darum seien sie auch so kalt.
Eben erhob sich der Star, um mit einigen hübsch improvisierten Versen die Hausfrau leben zu lassen. Bevor die stürmischen Zurufe noch ganz verklungen waren, sprang schon Doktor Hantinger in seiner verlegen entschlossenen Beise von seinem Stuhl neben Frau Neumann auf und brachte ein Hoch aus auf das Kronprinzen- Theater im allAuch Doktor Kattowiker, der neben Bohrmanns andrer gemeinen, auf die Damen des Kronprinzen Theaters und ins Nachbarin, einer schönen, jungen Dame, saß, prophezeite besondre auf die hohe Muse des Theaters, seine über alles