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" Ich will es nicht wieder thun! Und wenn Lene fort ist, I will ich nie wieder Mascha spielen."
,, Sie hat recht, ich bin ein schlechter Vater," sagte Bohrmann halblaut.„ Pädagogik!"
Er nahm den Knaben auf sein Knie, und beide hörten auf zu weinen. Bohrmann konnte sich nicht überwinden, er mußte über Mascha sprechen, er mußte Siegfried fragen. Nicht wahr, Siegfried, Du bist mein gutes Kind? wirst nicht lügen?"
Du
,, Nur, wenn Lene es will. Sonst lüge ich wirklich und wahrhaftig nicht. Wenn ich thu, was sie will, triege ich Kuchen ab. Thu ich nicht, was sie will, so haut sie mir." Mich," verbesserte Bohrmann und setzte das Kind entschlossen auf den Fußboden. Pädagogik! Lieber an der Ungewißheit zu Grunde gehen, als die Seele des Kinds schädigen durch solche Fragen.
Als ob er noch ungewiß gewesen wäre! Was wohl Siegfried wußte? Was wohl Siegfried gesehen hatte? Er schickte ihn in die Küche, um der Versuchung nicht zu erliegen. Dann stellte er sich ans Fenster und starrte hinaus in den kalten, weißgrauen Septemberhimmel und herunter auf die herbstelude Straße. Das hatte er bisher für einen prächtigen Anblick gehalten, für ein Stück Großstadt. Es waren aber nur überfünchte Mauern, all die hohen Mietspaläste, hinter jedem dieser Fenster verbarg sich eine übertünchte Höhle, und in den Höhlen gingen schreckliche Dinge bor . Wie vor der Sündflut! Warum tam tein Erdbeben, alle die übertünchten Gräber durcheinander zu werfen, sein eignes Heim zu unterſt?
Plötzlich hörte er Siegfrieds leises Weinen hinter der Thür.
Was hast Du?"
,, Wir werden nichts zu essen haben," jammerte das Kind. ,, Sie haben nicht einmal Feuer angemacht."
Siegfried hatte recht; es war ja Mittagszeit. Bohr mann blickte zerstreut nach der Kochmaschine. Da lag recht auffällig ein Brief. An Johannes!" Es war Hildes mangelhafte Handschrift. Was war denn schon wieder? Er strich für Siegfried eine Schmalzstulle, dann öffnete er und las:
"
Mein lieber Johannes!
Wenn Du diese Zeilen lefen wirst, bin ich fort und will nicht zu Dir zurückkommen. Lene ist mit, weil sie mich lieber hat als Dich und weil Du Dir nichts aus ihr machst. Friede kann bleiben. Du hast gewiß schon erraten, daß ich mit Konrad im Einverständnis bin. Du brauchst um mich teine Sorge zu haben. Ich werde es bei Konrad wahr haftig besser haben als bei Dir, denn er ist ein sehr ordentlicher Mensch geworden und hat sich mit Hantinger sehr verbessert. Und seine Konzession behält er ja.
Mein lieber Johannes! Ich bedaure von ganzem Herzen, Dir so großen Schmerz zufügen zu müssen.
Mein lieber Johannes! Die Sache ist nämlich die: Von Frau Lose habe ich im ganzen 1800 Mart bekommen, wofür, wirst Du gut wissen. Dreimal, jedesmal zweihundert Thaler. Das Geld habe ich für die Sachen ausgegeben, wovon die unbezahlten Rechnungen sind, weil es für die Wirtschaft auf gegangen ist. Es werden noch einige ganz kleine Rechnungen kommen, aber nicht viele. Mich geht es nichts weiter an, aber es wird gut sein für Dich, als Lehrer, wenn die Rechnungen bezahlt werden.
"
Gieb dem füßen Friede einen Kuß von mir. Ich vergieße heiße Thränen, weil ich ihn nicht wiedersehen soll. Gekocht habe ich nicht, wer hätte auf das Feuer aufgepaßt? Jm Spinde ist etwas Suppenfleisch von gestern und drei Bücklinge. Ich werde noch Mostrich besorgen lassen.
Mein lieber Johannes, ich bedaure aufs tiefste den Schmerz, den ich Dir zufügen muß. Die allheilende Zeit wird auch für Deinen Schmerz Balsam bringen, und Du wirst später ohne Groll zurückdenken an Deine Dich hochschäßende Gattin" war durchgestrichen- Hilde."
,, Konrad meint, Du wirst keine Schwierigkeiten machen. Er hat mich gebeten, diesen Zettel beizulegen. Ach, wenn Du doch gut wärst und keine Schwierigkeiten machtest. Wegen der Scheidung und so. Du kannst Dir denken, daß ich gern sobald wie möglich vor Gott und der Welt in geordneten Verhältnissen wäre. Ich vertraue zu Gott, daß Du mich nicht der Schande preisgeben wirst.
,, Vergiß nur ja nicht die Schulden zu bezahlen. Vielleicht gehst Du zur Rießen. Die soll gern geben und hat es auch dazu."
-
Im gleichen Umschlage steckte noch ein halber Bogen, auf dem mit den kühnen und großen Schriftzügen Konrads folgendes stand:
,, Menschenskind! Wie soll ich Dich anreden, mein Bruder, nachdem ich Dich verraten habe? Ich kann nicht leben ohne Deine Verzeihung!! Bedenke, daß die Nache des Herrn nicht immer auf das Jenseits wartet, sondern oft schon auf Erden den Sünder beim Schopfe packt. Wie Figura zeigt.
" Hilde hat festgestellt, daß wir für einander passen, und daß ich eigentlich ein ordentlicher Mensch bin. Schauderhaft, höchst schauderhaft! Es ist nicht wahr!!! Sie zieht mir den alten Adam aus, und daran werde ich erfrieren. In meinem alten Adam war mir behaglich warm. Die Hand des Herrn liegt schwer auf mir.
Du kannst mir nicht verzeihen! O wenn Du doch Klug wärst! Ich flehe Euch an! Verzeiht mir. " Dein niederträchtiger und unglücklicher Verräter und Freund Konrad Schmidt- Lefebvre, Direktor." Bohrmann legte beide Briefe zusammen, holte dann die unbezahlten Rechnungen und schob die Papiere in die Tasche. Gewiß, es war eine entsetzliche Nachricht, eine Schande vor aller Welt, wenn seine Frau ihm durchging. Aber hatte er nicht noch eine schlimmere Nachricht erhalten? Welche denn? Daß er eine große Summe schuldig war? Daß er außerdem irgendwo einer schlechten Frau eine noch viel größere Summe schuldete? Bares Geld!
Mascha!
Das erst vernichtete ihn vor seinem eigenen Gewissen. Jezt verstand er die schamlosen Reden ihrer Freunde. Wie die alte römische Kaiserin auf den Namen tam es nicht an... Bezahlt hatte sie ihn! So eine war sie! Jetzt wußte er den Namen: Messalina . Ein Vermögen, ein Jahreseinkommen war er ihr schuldig geworden, dieser... dieser... Mit schelmischer Schüchternheit war Siegfried dem Vater gefolgt. Er hatte im Küchenspind den Teller mit Fleisch und Bücklingen entdeckt und stellte den Schatz jezt neben den angestoßenen Tassentopf mit Mostrich, der umgefallen war. Bohrmann richtete die Tasse wieder auf, und als ob er da mit den Tisch gedeckt hätte, gab er dem Knaben ordentlich zu effen. Er felbst ging hilflos auf und nieder.,
Siegfried war längst gesättigt und spielte vor dem Sofa mit sich selber Schule, indem er Lieder sang und Fragen beantwortete, die das unsichtbare Fräulein Reymond an ihn stellte.
Bohrmann ging immer noch auf und nieder und zermarterte sich den Kopf. Er hätte sich ja gern in alles gefügt, wenn er nur begriffen hätte, was vorging, wenn er die Welt nur verstanden hätte! Er schämte sich! Er schämte sich besonders, Fräulein Reymond so unter die Augen zu
treten.
Nicht wegen Hilde, aber wegen Mascha.
Daß Hilde ihn verließ, das war ein Unglück, vor der Menschen. Mascha war seine Sünde, vor seinem Gott.
Er fand keine Ruhe und keinen flaren Gedanken. Immer wieder schritt er auf und nieder und fann darüber nach, was er Mascha sagen, was er Hilde schreiben sollte. Aber eigentlich sprach er immer nur mit Fräulein Reymond. ( Fortsetzung folgt.)
Sonntagsplandevei.
Sie schimpfen und fabulieren wieder einmal über die sogenannte Berworrenheit der sogenannten Lage. Es sind durchweg Tröpfe, diese Zeitungsschreiber, beinahe so unfähig, daß man sie zu Geheimräten ernennen fönnte. Wollen die Kerle denn durchaus nicht tapieren, daß es meine Aufgabe ist, Verworrenheit zu schaffen. Seitdem ich Minister bin, denke ich Tag und Nacht darüber nach, wie ich immer neue Dunkelheiten erfinue. Krisen zu erzeugen ist unser vornehmster Beruf, in ihnen liegt unsre Rettung, sie beschäf tigen das Volt und darüber vergessen sie, uns auf die Finger git sehen. In den Finanzen, ja, da müssen wir allerdings Ordnung halten, aber sonst: je bunter desto besser, je toller desto ziveckmäßiger. Auch die Regierung ist eine löst werden, na, da bleibt uns natürlich nichts andres übrig, als Sphing, die vom Rätselaufgeben lebt. Würde unser Geheimnis ge uns schleunigst in den Abgrund zu stürzen.
Was man heute Verworrenheit nennt, hieß früher Nimbus, und der ist notwendig. Was verlangt man denn von uns, sollen wir etwa so selbstmörderisch vorgeheit und Klarheit schaffen, daß jeder