Unterhaltungsblatt des Vorwärts

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Arbeit

Dienstag, den 14. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Roman in drei Büchern von Emile Zola  . Aus dem Französischen übersetzt von Leopold Rosenzweig.

1901

als civilisierter Höhlenmensch seine prähistorische Wohnstätte mit manchem Komfort der Jektzeit ausgestattet, hatte die beiden Grottenmündungen mit einer starken Mauer ver­schlossen, und in dieser eine feste Thür und zwei Fenster mit kleinen Glasscheiben angebracht. Das Innere war in drei Räume geteilt, wovon einer als Schlafzimmer für Bater und Sohn diente, einer als Schlafzimmer für die Tochter und einer als gemeinschaftlicher Wohnraum, als Eßzimmer, Küche und Werkstatt. Alle drei Näume mit ihren Mauer­wänden und der gewölbten Felfendecke waren wohnlich und nett, die Einrichtungsstücke waren aus massivem Holz, mit Beil und Messer in primitiver Weise selbst verfertigt.

., Manches Mal," fuhr Jordan fort,' ,, habe ich Lust, Delaveau herbeizurufen und ihm zu sagen, er soll alles nehmen, auch wenn er mir nichts dafür zahlt. Ich strebe nicht nach Gewinn, und auch die elektrischen Oefen, auf deren Erfindung ich mit ganzer Seele hinarbeite, will ich niemals, wenn mir die Er­findung glücken sollte, zu meinem Vorteil ins Werk setzen, um Geld damit zu machen, sondern ich werde sie der Allgemein- Wie Jordan schon erwähnt hatte, waren die Morfain heit geben, zur Bereicherung und zur Erleichterung aller. vom Vater auf den Sohn Schmelzmeister auf der Crêcherie. Also, das ist abgemacht; sobald unser Freund meinen Plan Der Großvater hatte bei der Gründung mitgeholfen, und billigt, werden wir morgen die Frage der Abtretung geniein- heute überwachte der Enkel den Abstich nach achtzigjähriger, schaftlich studieren, und ich mache ein Ende." ununterbrochener Familienherrschaft. Das verlieh ihm ein Während Lucas, immer noch von dem Gefühl des Wider- stolzes Selbstgefühl wie ein unantastbarer Adelsbrief. Vor willens beherrscht, nichts antwortete, weil er sich nicht ent- vier Jahren war seine Frau gestorben und hatte ihn mit schließen konnte, eine Verantwortung auf sich zu nehmen, einem sechzehnjährigen Sohn und einer vierzehnjährigen schien Jordan plößlich von einem Gedanken erfaßt, der ihn Tochter zurückgelassen. Der Sohn war sogleich beim Hochofen erregte. Er schlug seinem Gaste vor, ihn hinauf nach dem in die Arbeit getreten, die Tochter hatte die Bewartung der Hochofen zu begleiten, um zu sehen, wie es diesem während Männer übernommen, kochte für sie und hielt das Haus in der drei Tage seiner Abwesenheit ergangen sei. Ordnung als gute Wirtin. So ging das bis heute weiter, der Sohn war mun zwanzig, das Mädchen achtzehn Jahre alt, und der Vater fah geruhig, wie sein Geschlecht sich fort­setzte, und gedachte dereinst seinem Sohne den Hochofen zu übergeben, so wie ihn sein Vater ihm übergeben hatte.

" Ich bin nicht ohne Unruhe. Es ist nun eine Woche, daß Jordan tot ist, und ich habe ihn noch nicht ersetzt, sondern habe meinen Schmelzmeister Morfain mit der Leitung der Arbeit betraut. Er ist ein ausgezeichneter Mensch, ist da oben geboren und im Feuer aufgewachsen. Gleichwohl ist die Verantwortung eine sehr schwere für einen einfachen Ar­beiter wie er."

Von Besorgnis ergriffen, bat Soeurette:

O Martial, bedenke doch, Du bist eben von der Reise zurückgekehrt, bist ermüdet, Du wirst doch nicht um zehn Uhr nachts ins Freie gehen wollen!"

Er umarmte und füßte sie zärtlich.

,, Laß nur, Schwesterlein, mach Dir keine Sorgen. Du weißt ja, ich thue nie mehr als ich fann. Ich versichere Dich, daß ich besser schlafen werde, wenn ich mich beruhigt habe. Die Nacht ist nicht falt, und ich werde obendrein meinen Pelz ummnehmen."

"

Ah, Sie sind hier, Morfain?" sagte Jordan, die Thür aufdrückend, die nur durch eine einfache Klinke schloß. bin zurückgekommen und wollte sehen, wie es hier steht."

Ich

In der von einer kleinen, rußenden Lampe erhellten Felsenhöhle saßen Vater und Sohn an einem Tische und aßen ihre Suppe vor der Nachtarbeit, während das Mädchen, hinter ihnen stehend, fie bediente. Ihre mächtigen Schatten erfüllten fast ganz den kleinen Raum, in welchem das ernste Schweigen herrschte, das sie fast immer bewahrten.

Morfain erwiderte mit tiefer, bedächtiger Stimme: ,, Wir haben eine böse Geschichte gehabt, Monsieur Jordan. Aber ich glaube, daß wir nun ruhig fein können."

Er hatte sich erhoben gleich feinem Sohne und stand nun zwischen diesem und seiner Tochter; alle drei waren sie

Sie band ihm noch ein großes Tuch um den Hals und begleitete ihn bis über die Freitreppe, um sich zu vergewissern, Riefengestalten, breitschulterig und hochgewachsen, so daß

daß die Nacht in der That köstlich milde war; Bäume, Ge­wässer und Felder lagen in erquickender Ruhe unter einem dunkelsanimietnen, sternfunkelnden Himmel.

" Ich vertraue ihn Ihnen an, Monsieur Froment. Lassen Sie ihn nicht zu lange draußen bleiben."

Die beiden Männer stiegen die in den Fels gehauene schmale Treppe hinan, die gleich hinter dem Wohnhaus begann und zu dem Felsplateau in halber Höhe der mächtigen Band der Mont Bleuses führte, auf welchem der Hochofen stand. Zwischen Tannen und Schlinggewächsen führte der schmale Pfad wie durch ein Labyrinth empor, durch eine Natur von köstlicher, unberührter Wildheit. Bei jeder Wendung des Beges konnten sie die schwarze Masse des Hochofens sehen, der immer deutlicher aus der bläulichen Nacht hervortrat, mit den seltsamen Silhouetten seiner Hilfsapparate, die sich rings um den Centralherd gruppierten.

Jordan stieg mit kleinen leichten Schritten voran; und als er auf dem Plateau angekommen war, blieb er vor einer Felsmasse stehen, aus welcher ein kleines Licht wie ein Stern hervorleuchtete.

Warten Sie," sagte er, ich will nur nachsehen, ob Morfain nicht in seiner Wohnung ist."

Wo denn, in seiner Wohnung?" fragte Lucas erstaunt. ,, Hier, in dieser alten Grotte, die er zu seiner Behausung erforen hat, und wo er mit seinem Sohn und seiner Tochter beharrlich wohnen bleibt, obgleich ich ihm wiederholt ein viel wohnlicheres Häuschen angeboten habe.

In der Schlucht von Brias bewohnte eine zahlreiche arme Bevölkerung derartige Höhlen. Morfain blieb in der feinigen aus freier Wahl, denn hier war er vor vierzig Jahren geboren worden, hier lebte er dicht bei seiner Arbeit, faft unmittelbar an der Seite des Hochofens, der sein Leben, fein Gefängnis und fein Königreich war. Er hatte übrigens

ihre Stirnen fast die niedrige, rauchgeschwärzte Felsendecke berührten. Sie sahen aus wie wiedererstandene Menschen aus uralter Zeit, diese Abkömmlinge einer Arbeiterfamilie, die in hundertjährigem, unablässigem Ringen die Natur be zwungen hatte.

Lucas betrachtete mit Erstaunen den Niesen Morfain, diesen gewaltigen Cyklopen, der das Feuer bändigte. Ein mächtiger Kopf, ein großes, von Flammenglut durchfurchtes und ge­röstetes Gesicht; eine beulige Stirn, eine Adlernase und tief­glühende Augen über Wangen  , die von Lavaströmen ver wüstet schienen; ein Mund mit dicken, geschweiften, blutigroten Lippen; und Hände, die die Kraft und die Farbe von stählernen Zangen hatten. Dann wandte Lucas seinen Blick auf den Sohn, Dada  , wie er mit dem Kindernamen hieß, der ihm ge­blieben war, seitdem er sich als ganz kleines Kind beinahe seine Fingerchen*) an einer noch heißen Massel verbrannt hätte. Auch er ein Hüne, fast ebenso riesig wie sein Vater, mit dessen breitem Gesicht, der gebieterischen Nase und den glühenden Augen, aber noch nicht so im Feuer gebrannt und gehärtet wie der ältere Mann, under fonnte fesen- mit einer neuen Gedankenspur im Gesicht, die feine Züge eigen­artig milderte und erhellte. Dann sah Lucas die Tochter an ,,, mein Blauchen", wie ihr Vater sie zärtlich nannte, denn ihre großen Augen waren blau, so wundervoll, strahlend, unergründlich blau, daß man durch sie in einen endlos tiefen, leuchtenden Himmel zu blicken glaubte. Eine herrliche Walkürengestalt von ursprüng­licher Schönheit, das schönste, verschlossenste, scheueste Mädchen der Gegend, die aber in ihrer scheuen Verschlossenheit Bücher las und Träumen nachhing, in welchen sie Dinge aus der Ferne herankommen fah, die ihr Vater nie gesehen

*) Doigt  , Finger, flingt im Kindermund wie Da.

Amm. d. Nebers.