Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 118.

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Arbeit

Donnerstag, den 20. Juni.

( Nachdruck verboten.)

Roman in drei Büchern von Emile 8ola. Aus dem Französischen übersetzt von Leopold Rosenzweig.

1901

der Verjüngung, zu dessen Apostel er sich gemacht hatte, zer­stört worden war, geriet der Schmelzmeister beinahe wieder in Zorn. ,, Nein, nein, es ist genug, ich will nun in Frieden ge­lassen werden! Wenn Sie herauf gekommen sind, um mir von Blauchen zu sprechen, Herr Lucas, so haben Sie unrecht gethan, denn das ist das sicherste Mittel, die Dinge noch schlimmer zu machen. Sie soll bleiben, wo sie ist, ich bleibe, wo ich bin!"

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Dada schwieg aus Ehrfurcht vor seinem Vater. Er war auch nicht ganz unbefangen, denn er wußte, daß sein Vater auch gegen ihn erzürnt war, seitdem er ihn einmal mit Honorine, der Tochter des Weinschenkers Caffiaug, getroffen Und um von dem Gegenstand abzubrechen, sprach er Hatte. Honorine, ein schwarzhaariges Mädchen von kleiner unvermittelt von einem andern, der auch nicht wenig zu seiner zierlicher Gestalt, mit einem fröhlichen, aufgeweckten Gesicht, schlechten Laune beitrug: hatte sich in diesen sanften Riesen verliebt, der sie" Ich hatte eben die Absicht, zu Ihnen hinab zu kommen feinerseits bezaubernd fand. Und obgleich ihr Name und Ihnen mitzuteilen, daß ich heute früh wieder die Mine noch nicht ausgesprochen worden war, handelte es sich besucht habe, um womöglich die reiche Erzader aufzufinden, und in dieser Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn wieder mußte ich erfolglos abziehen. Und doch hätte ich ge­eigentlich nur um sie. Der direkte Angriff, den der Sohn schworen, daß ich sie am Ende des Stollens finden werde, voraussah, ließ denn auch nicht lange auf sich warten. den ich bezeichnet hatte! Aber was wollen Sie? Es ist wie ein Fluch auf allem, was wir seit einiger Zeit anfassen, alles schlägt fehl!"

Und Du," fragte Morfain auf einmal, wann wirst Du mich verlassen?"

Dada schien bestürzt durch diesen Gedanken an eine Trennung.

berfaffen, Bater?"

,, Warum sollte ich Dich verlassen, Vater?"

Dieses Wort hallte in Lucas' Herzen wieder wie das Totengeläute feiner hochfliegenden Hoffnungen. Eine kurze Weile sprach er noch mit den beiden Riesen, dem Vater ,,, wenn ein Mädchen im Spiel ist, kann nichts andres und dem Sohn. Morfain brachte ihn fast zur Verzweiflung. daraus entstehen als Hader und Zerstörung. Und dann, was Er erschien ihm wie der legte Zeuge einer ber­für eine hast Du Dir erwählt? Wird man sie Dir denn schwundenen Welt mit seinem gewaltigen Kopfe, seinem überhaupt geben wollen, ist das nicht widerfinnig, solche großen, vom Feuer verbrannten und durchfurchten Gesichte, Heiraten zwischen Menschen ganz verschiedener Klassen? Die feinen glühenden Augen, seinen geschweiften, blutigroten ganze Welt ist verkehrt, alles geht drunter und drüber, ich Lippen. Lucas nahm endlich Abschied und stieg den Berg habe zu lange gelebt." pfad wieder hinunter, tieftraurig und bedrückt, sich fragend, Mit sanften und zärtlichen Worten suchte der Sohn wie viel er noch werde in Trümmer fallen sehen, damit seine den Vater zu beruhigen. Er leugnete seine Liebe zu Hono- neue Stadt aus den Ruinen entstehen könne. rine nicht; aber er sprach davon wie ein vernünftiger Und auch unten in der Crêcherie, in der stillen, wohligen Mann, der bereit war, sich in Geduld zu fassen, so lange es Häuslichkeit Soeurettens, ergaben sich für Lucas neue Ursachen sein mußte. Später würde sich schon alles finden. Was der Enttäuschung. Sie sah nach wie vor den Abbé Marle, war es denn übles, daß er und das Mädchen sich freund- den Lehrer Hermeline und den Doktor Novarre bei sich, und schaftlich guten Tag sagten, wenn sie einander begegneten? sie zeigte sich so glücklich, an solchen Tagen auch den Freund Wenn sie auch verschiedenen Klassen angehörten, Klassen angehörten, so mit an ihrem Tische sehen zu können, daß er nicht konnten sie doch Gefallen aneinander finden. Und wenn sich den Mut hatte, fortaubleiben, trotz des tiefen Miß­auch die verschiedenen Klassen ein wenig vermengten, hatte behagens, das ihm die ewigen Streitigkeiten des Lehrers das nicht das Gute für sich, daß sie einander besser kennen mit dem Pfarrer verursachten. Soeurette, die Friedliche und lieben lernten? und Gelassene, litt ihrerseits nicht unter diesen Gesprächen und sie glaubte, daß sie auch ihn interessierten, während Jordan in seine Decken gehüllt dasaß und, im Geiste mit irgend einem Experiment beschäftigt, zerstreut lächelnd zu­hörte.

Aber vor Zorn und Bitterkeit überwallend, erhob sich Morfain plöglich unter der niedrigen Felsdecke, die er fast mit dem Kopf berührte, und die Hand mit wilder Gebärde ausstreckend rief er:

,, Geh nur, geh, sobald Du willst! Mach es wie Deine Schwester, beschunge alles, was ehrwürdig ist, verfalle in Schamilosigkeit und Tollheit! Ihr seid meine Kinder nicht mehr, ich erkenne Euch nicht wieder, jemand hat Euch ver­wechselt. Laßt mich allein in dieser Höhle, bis eines Tags auch die Felsen über mir zusammenstürzen und mich be­graben!"

An einem Dienstag, als die kleine Tischgesellschaft wie gewöhnlich nach dem Essen im Salon saß, wurde das Gespräch besonders heftig. Hermeline hatte sich mit Lucas in eine Polemik über das Unterrichtssystem der Crêcherie eingelassen, wo die Geschlechter gemischt in den fünf Klassen saßen, wo die Schulstunden von langen Erholungspausen und von Ar­beitsübungen in den Lehrwerkstätten unterbrochen wurden. Diese neue Schule, in welcher man eine der seinigen ganz entgegengesezte Methode befolgte, hatte ihn manchen Schüler weggenommen, was er nicht verzieh. Und sein fnochiges Gesicht mit der eckigen Stirn und den dünnen Lippen war bleich vor unterdrücktem Zorn darüber, daß man an eine andre Wahrheit als an die feinige glauben konnte.

Lucas, der eben auf die Schwelle getreten war, hatte die letzten Worte gehört. Er war davon tief ergriffen, denn er empfand große Hochachtung vor Morfain. Er sprach lange und eindringlich mit ihm. Aber der Schmelzmeister hatte, sowie er den Herrn eintreten sah, seinen Kummer zurück­gedrängt und war nur noch der ergebene, gehorsame Ar­beiter, der nichts kannte als seine Pflicht. Er gestattete sich nicht einmal ein Urteil über Lucas, der die erste Ursache aller der empörenden Erscheinungen war, die die ganze Gegend in Aufruhr brachten und unter denen er litt. Die Herren waren die Herren, die thun konnten, was ihnen beliebte, und die Geschlechter getrennt sind, das es nicht mehr als unnötig Pflicht der Arbeiter war es, ehrenhaft zu bleiben und ihre Arbeit zu thun, so wie ihre Väter sie gethan hatten.

Es mag noch hingehen, daß Knaben und Mädchen miteinander unterrichtet werden, obgleich mir das nicht sehr heilsam scheint. Die Schüler haben schon genug böse Instinkte, ihre Phantasie ist schon verdorben genug, wenn die

wäre, sie zusammenzusetzen und sie durch die Vermischung noch mehr zu erregen und zu verderben. Es mögen wohl ,, Achten Sie nicht darauf, Herr Lucas, wenn ich meine hübsche Dinge in den Winkeln vorgehen, wenn der Lehrer den eignen Gedanken habe und manchmal böse werde, wenn mir Rücken kehrt. Aber was ganz und gar unzulässig ist, das ist etwas in die Quere kommt. Es geschieht nicht oft, Sie wissen, die Vernichtung der Autorität des Lehrers, die Zerstörung daß viel reden nicht meine Sache ist. Und Sie können über der Disciplin, die die unausbleibliche Folge sein muß, wenn zeugt sein, daß das der Arbeit keinen Abbruch thut, ich habe man an die Persönlichkeit dieser Rangen appelliert, wenn immer ein Auge offen, kein Abstich findet statt, wo ich nicht man sie nach ihrem Belieben handeln läßt. Haben dabei bin. Wenn einem das Herz schwer ist, arbeitet man Sie mir nicht gesagt, daß jeder Schüler seiner um so stärker." eignen Neigung folgt, folgt, daß er das Studium wählt, Und als Lucas sich neuerdings bemühte, in dieser das ihm gefällt, daß es ihm freisteht, sich seine Lehr­Familie den Frieden wieder herzustellen, der durch das Werk gegenstände auszusuchen? Sie nennen das die Geisteskräfte