Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 167.
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Arbeit
Mittwoch, den 28. August.
( Nachdruck verboten.)
Roman in brei Büchern von Emile 8ola. Aus dem Franzöfifchen übersetzt von Leopold Rosenzweig..
1901
nahe an fünfundsiebzig Jahre zählte, war seine gedrungene fleine Gestalt noch immer stramm und kräftig. Er hatte noch immer denselben bäuerischen, eckigen Kopf mit dem dichten Haar- und Bartwalde, der mittlerweile schneeweiß geworden war. Aber aus seinen glänzenden Augen lächelte nun seine unendliche Herzensgüte, die früher unter der rauhen Schale verborgen gewesen. Eine Schar fröhlich Bonnaire erklärte seinem Gefährten noch, daß sich außerhalb lärmender Knaben und Mädchen umdrängte ihn mit ausgeund neben den Centralmagazinen eine neue Bewegung geltend streckten Händen, um die Geschenke in Empfang zu mache: der direkte Austausch von Erzeuger zu Erzeuger, der nehmen, die er an jedem Festtage verteilte. Es waren dies hauptsächlich durch die kleinen Familienwerkstätten, durch die kleine Thonfigürchen, mit wenigen Handgriffen hergestellt, häuslichen Maschinen hervorgerufen und entwickelt wurde. in Massen bemalt und gebrannt, aber reizend und So daß die großen Werkstätten, die großen Magazine mutig, manche auch von entzückender Komit. Sie stellten die bielleicht eines Tags verschwinden würden, was ein neuer einfachsten Dinge dar, die Beschäftigungen des Alltags, die Schritt zur absoluten Freiheit wäre, zur Schaffung des voll- kleinen Verrichtungen und Freuden des gewöhnlichen Lebens, tommen freien Individuums in der freien Menschheit.
Ragu hörte zu, allgemach überwältigt von diesem zur Wirklichkeit gewordenen Glückszustand, den er um keinen Preis zugeben wollte. Und da er nicht wußte, wie er seine Erschütterung verbergen sollte, rief er:
"
Du bist ja ein Anarchist von reinstem Wasser geworden!"
Bonnaire lachte laut auf. st
,, O, lieber Freund, erst hast Du mir vorgeworfen, daß ich kein Kollektivist mehr bin; jetzt machst Du mich gar zum Anarchisten. In Wahrheit steht die Sache so, daß wir gar nichts mehr sind, seitdem unser aller gemeinschaftliches Ideal von Glück, Wahrheit und Gerechtigkeit zur That geworden ist. Da fällt mir übrigens noch etwas ein; ich will Dir noch ein Ding zeigen, ehe wir unsern Rundgang beschließen."
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weinende oder lachende Kinder, aufräumende oder kochende Mädchen, Arbeiter in ihrer Thätigkeit, alle bunten, unerschöpflichen Formen des einfachen Daseins.
,, Nur langsam, Kinder, nicht so stürmisch, ihr bekommt jeder was! Da, Du Blondköpfchen, Dir gehört dieses Mädchen, das seine Strümpfe anzieht. Dir, Du großer Junge, dieser Schulbub mit seiner Tasche. Dir, Du kleiner Schwarzkopf, dieser Schmied am Amboß ."
Er lachte und scherzte, glücklich inmitten dieser glücklichen Kinder, die sich um seine Büppchen rissen, wie er die entzückenden kleinen Figuren nannte.
„ Nur langsam, acht geben, daß ihr sie nicht zerbrecht! Stellt sie in Eure Zimmer, sie werden Euren Augen angenehme Linien, schöne Farben bieten, wenn Eure Blicke darauf fallen. Wenn Ihr dann groß seid, werdet Ihr das Schöne und Gute lieben und selber schön und gut werden."
Er führte ihn hinter die Magazine, an den Fuß des Das war seine Theorie. Das Volk bedurfte der SchönAbhangs der Monts Bleuses, an die Stelle, wo einst der Töpfer heit, um körperlich vollkommen und guten Herzens zu werden. Lange neben seinen primitiven Oefen eine Art barbarisches Nur ein Volt, dessen Geist frei, dessen Seele harmonisch Lager errichtet hatte, in dessen von einer Steinmauer um- war, konnte ein zufriedenes Volk sein. Alles in der Umschlossenen Bezirk er außerhalb der menschlichen Gebräuche gebung der Menschen, alles in ihren Heimstätten mußte ihnen und Geseze als freier Künstler und Handwerker Hauste. Jezt die Schönheit vor Augen führen, und besonders die Gegenerhob sich hier ein weitläufiges Gebäude, eine große Thon- stände täglichen Gebrauchs, die Gerätschaften, die Möbel, die waren- und Fayencefabrik, welche alle die Ziegel und Platten, ganze Einrichtung des Hauses. Der Glaube an die Erdie glasierten Dachziegel und hunderterlei buntfarbigen klusivität, an den Aristokratismus der Kunst ist ein thörichter, Zierate lieferte, mit denen die ganze Stadt sich schmückte. die umfassendste, die allgemeinste, die menschlichste Kunst Lange hatte sich endlich, dem freundschaftlichen Zureden Lucas kann allein das Leben erweitern und verschönern. Wenn nachgebend, entschlossen, sein Einsiedlerleben aufzugeben und das Kunstwert allen zugänglich ist, im Hinblick auf Schüler auszubilden, als er sah, daß doch einige Gerechtigkeit alle geschaffen wird, dann wird erst die Kunst eine zu herrschen und das schreckliche Elend der Menschen zu gewaltige Höhe und Weite erreichen, die ganze Unendlichlindern begann. Da dem Volke endlich die Freuden dieses keit der Wesen und Dinge umfassen. Denn sie entLebens erreichbar gemacht wurden, konnte er auch daran stammt der Allgemeinheit, fie kommt aus dem Innersten gehen, seinen alten Traum zu verwirklichen und aus der Menschheit hervor, und das unsterbliche Kunstwerk, das seinen Händen die leuchtend blauen, gelben und roten Jahrhunderte überdauert, ist das Produkt eines ganzen Voltes, Fayencen hervorgehen zu lassen, mit denen er seit jeher die das Ergebnis einer Epoche und einer Civilisation. Aus dem Fassaden aus dem Grün hervorschauender Häuser zu Volke heraus blüht die Kunst, um sein Dasein zu verschönern, schmücken das Verlangen gehabt hatte. Es schien, als baute um ihm Duft und Farbe zu verleihen, die zum Leben so man eigens für ihn eine neue Stadt, die glückliche Stadt der nötig sind wie das tägliche Brot. befreiten, in ihren Menschenwert wieder eingesetzten Arbeiter. ,, Da, Du Kleiner, einen mähenden Bauern, da, Du Und unter seinen derben Fingern, die von einem angeborenen Große, eine Frau, die wäscht so, und nun ist's aus, seid Genie gelenkt wurden, entfaltete sich die Schönheit einer ent- hübsch brav und füßt Eure Papas und Mamas für mich. zückenden Kunst, die, vom Volfe ausgehend, zum Volk zurück- Geht, meine Herzchen, meine kleinen Engel, das Leben ist fehrte, einer Kunst von primitiver, voltsmäßiger Kraft und schön, das Leben ist gut!" Anmut. Er verschmähte es nach wie vor nicht, die Ragu hatte unbeweglich zugehört, und sein Gesicht einfachsten Stücke und Gefäße herzustellen, das ge- hatte wachsendes Erstaunen verraten. Jetzt brach er in seiner wöhnliche Küchen- und Eßgeschirr, die Krüge, Schüsseln, höhnischen Weise los: Teller und Töpfe für den täglichen Gebrauch, er ,, Nun, Du großer Anarchist, Du sprichst also nicht mehr bildete sie in köstlichen Formen und Farben und schmückte so davon, die ganze Bude in die Luft zu sprengen?" die niedrigsten Verrichtungen, das eintönige Leben des Alltags mit dem Holden Zauber der Kunst. Von Jahr zu Jahr erweiterte er dann sein Schaffen, zierte die öffentlichen Ge- Du kennst mich also, obgleich ich Deinen Namen nicht bäude mit prächtigen Friesen, bevölkerte die Anlagen mit weiß? Freilich habe ich die ganze Bude in die Luft sprengen bollendeten Statuen, errichtete auf den Pläßen Monumental wollen! Ich habe das laut hinausgerufen, habe es über alle brunnen, die großen, farbenprächtigen Blumensträußen glichen, Dächer geschrien, habe meinen Fluch auf die verpestete über welch bas töstliche, ewig frische Wasser herabstürzte und Stadt geschleudert, habe ihr die Vernichtung durch Feuer sprudelte, Und die Gruppe junger Künstler, die er nach und Schwert verkündigt. Ich war sogar entschlossen, selbst feinem Muster gebildet hatte, schaffte nun mit außerordent- das Nächeramt auszuüben, und das ganze Beauclair zu licher Produktivität und verbreitete Kunst und Schönheit Staub zu zermalmen. Aber was willst Du? Es ist anders bis zu dem letzten bescheidenen Thontopf der Haushaltungen. gekommen. Die Gerechtigkeit ist so sehr zur Herrschaft geLange stand gerade am Thor seiner Fabrit auf der langt, daß ich entwaffnet worden bin. Die Stadt ist geobersten der wenigen Stufen, die hinaufführten. Obgleich erläutert, ist neu erbaut, und ich kann sie doch unmöglich zer
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Lange wandte sich rasch und sah ihn an, ohne ihn zu erkennen. Aber er geriet nicht in Zorn, er lachte nur.
"