Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 179.

3)

Drauf los!

Freitag, den 13 September.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Jonas Lie .

Als die Magd sich entfernt hatte, rief Nejer aus: Küchenmehl hast Du jedenfalls genug... und Erd­äpfel und Flachbrot und Rauchfleisch; ob aber Grüße und Schweinefleisch? Es ist schändlich, wie sie Dir alle Schinken weggenommen haben, Mutter!"

Kannst recht haben, mein Junge!" Sie fuhr fort, Mehl herauszuholen.

Dann untersuchte er das Faß mit Salzfleisch.

"

-

Schrecklich, wie das wenig geworden ist, Mutter! Sie haben Dich rein aufgegessen... Und nun, wo man es so nötig hätte!"

Die Mutter vermochte es faum, diese Worte anzuhören. Die ganze Zeit über hatte sie etwas verwundert seinem Treiben zugeschaut; ihre große Gestalt richtete sich auf und ergeben setzte sie sich auf die Kante der Mehltruhe.

za, Du hast nur allzu recht, Rejer... Niemals habe ich diese Vorratskammer anders als voll gesehen; nun aber beginnen für uns andre Zeiten!" Sie seufzte, als wollte sie das Haus sprengen.

O, darum forge nicht! Es wird noch einen Stampf um Hammernäs geben, ehe der alte Spizbube auf Haarstad drüben den Hof in die Hand bekommt; laß die Vorrats­fammer also nur ausleeren, bis auf die vier Wände aus­leeren! Ich gehe mit unserm großen Boot und vielleicht auch mit dem Sechsruderer auf den Heringsfang! Wir rüsten die Leute aus... Waten erhält man für Geld oder Anteil ge­liehen; die hundert Erbthaler von der Muhme mögen springen!"

Ganz verblüfft sah Frau Juhl ihren Sohn an. Der wie aus Holz geschnigte, große, magere Stopf mit dem über die Haube geknüpften Luch, dieser starre Kopf brauchte Zeit, um zu begreifen, und einen Moment tappte sie mit ihrem schweren Arm nach rückwärts, um sich auf die Stifte zu stüßen, auf welcher fie faß. Endlich, obwohl langsam, ging ihr der Sinn feiner Rede auf und langsam, mit einem verwunderten Blick, schüttelte sie das Haupt, überrascht, wie diese so excentrische Idee in einem Juhl hatte entstehen können.

Ohne sich auf derartig wilde Pläne näher einzulassen, stöhnte sie von neuem, ihr Seufzen gemahute an einen alten Holzbau, der in den Fugen nachgab.

"

-

-

-

Mein Sohn, Du bist jung... so jung!" Ich? Ich bin größer als der Vater! Und den möchte ich sehen, der mich niederrudert! Hier auf dem Hof... Du meinst wohl Anders, den Großknecht?" Ich meine, Du bist noch ein dünnes Rohr, mein Kind!" Aber zäh, Mutter... .. zäh wie eine Birkengerte!" Rejer, Rejer... Dein Vater blickt herab... Was würde er nu gesagt haben, glaubst Du?"

" Daß es schrecklich dumm war, all seine Lebzeit lang die Fahrzeuge stehen und in der Bootshütte faulen zu lassen!"

Und die Leute in Bygd wenn sie Dich, seinen einzigen Sohn, die Sitte brechen sehen?... Du weißt selbst nicht, was Du sprichst, Rejer! Du, ein junger, unerfahrener Bursche, ein Binnenländer, hinaus aufs Meer, im Winter... bei solchem Wetter?"

Und der Sturm rüttelte an der Eingangsthür und schleu­derte Negenmassen an, als wollte er die Rede der Mutter illustrieren.

" Ich weiß nur, daß wir das Hammernäs sonst ver­

lieren."

" Deshalb kommst Du doch nicht gleich auf den Mist, Nejer!"

Du willst mich durchaus auf den Schreibebock beim Lensmann drüben hinauf kriegen!"

Einmal nach dem Haarstad im Aafjord Lensmann zu werden,- das ist's wohl wert, daß man sich bücke!"

1901

Es durchfuhr Madame Juhl; sie kannte diesen Zug um den Mund und die hochgetragene Nase- nur daß diese bei ihrem Manne ganz oben über der Brille und dann gegen die Wangen hinab stets rot wurde. All das sagte ihr, daß ihr junges, dünnes Rohr entschlossen sei, drauf los zu gehen, bis es frachte und daß sie sich ihm bloß still zu fügen habe.

Die schwere, gebeugte Gestalt, die auf der Mehltruhe saß, seufzte ein drittes Mal und das Vorratshaus ächzte unter dem Seufzer und die Hammernäsföhre wand sich und knackte mit ihren verdrehten Westen im Südweststurm.

2.

-

Ohne Zweifel war es etwas beklemmend Wunderbares für Rejer und die Aafjordinge, als sie bis Bommelhut hinaus­tamen und dort der Ocean an die Bootsverschanzung schlug drohend, winterlich grau wie Blei, mit Deiningen , die bis zum halben Mast gingen und um so mehr beklemmend, als der kurze, düstere Tag zu finken anfing.

Am Juhlschen Kirchenboote zu zweifeln, dies fiel natürlich keinem der Leute ein, war es doch mit dem Hammer über­gangen und wegen etwaiger Sprünge daheim im Bootshause gegen das Tageslicht gehalten worden. Der breitschultrige, untersette, frummbeinige Martin Vigepladsen, welcher am ganzen Aafjordufer als eine Art Doktor aller alten Fahrzeuge betrachtet wurde und daher den Ruf genoß, ein Seemann zu sein, saß bei den Halsen und meldete die heran­kommenden Sturzwellen. Der Mann an den Vorschooten machte das Kreuz vor ihnen und schlug mit der Ruder­pinne drein.

Das alte, in Hardanger gebaute Kirchenboot mit den ungewöhnlich breiten, dünnen, lecken Borden that seine Pflicht; das von Anno dazumal stammende Raasegel hob und stützte das Vorderende in den Sturzseen und zog wie ein Roß.

Das große fünfdollige*) Kirchenboot mit seiner Reihe neugierig gaffender und glozender Binnenland- Bauerngesichter auf der Ruderbank erweckte Aufsehen, um so mehr, als sie überall anlegten und um den richtigen Weg nach den Fischen fragten. Es gab Gelächter und Spott in Menge über die Alafjordinge, welche bei jedem Vorsprung zum Proviantsack griffen" und Schaffleisch mit Kartoffeln" nach der Stadt frachteten.

Je weiter sie gegen Rövär hinabkamen, desto größer wurde das Bootgewimmel. Alle hatten sie Eile Gestalten in Teerkleidern, von denen der Regen rieselte, stiegen auf die Bänke und riefen einander von Bord zu Bord von Heringen und Heringsgerüchten zu... wo und wie viel Meilen vom Landweg der Hering stand... von einzelnen Herings­strahlen", die sich mit Sejfischen**) in Udfirefjord gezeigt hatten, daß aber die richtige Walfischjagd noch fehlte wo man das Einströmen des Herings denn erwartete? Orts­namen wie Fejö, Veavaag, Ferkindstadsöer, Brandesund, Stolmen und Udsire schwirrten in den Dialekten aller Bygde zwischen Bergen und Stavanger durch die Luft, von den großen, weither kommenden Garn- und Watneybooten und von den kleinen, sechsriemigen Frachtern.

Für Rejer und seine Aafjordinge lag in diesem Treiben etwas Verwirrendes. Es war fast, als hätten sie Brannt­wein getrunken; es hielt die Mitte zwischen einem Sonntags­und all das morgen vor der Kirche und einem Markttage, auf Wellen reitend, so hoch wie die Hügel daheim, zu Häupten umflattert von freischenden Seevögeln.

Immer hatte er das brausende Tosen der Meeres­brandung neben sich, waren die äußeren Schären besezt von großen schwarzen Stormoranen, welche gravitätisch in Reih und Glied saßen, sich die Schwingen trockneten und Ausguck hielten... auch nach Heringsaussichten"!

Zwischen den Klippen flagte und schrie die Seeschwalbe; eine oder die andere schwarze Sammetente, ein Polartaucher

in welche die Ruder( in der Seemannssprache Niemen genannt) beim *) Die Dollen, Ruderdollen sind eiserne oder hölzerne Gabeln, Rudern( Rojen) eingelegt werden.

Ich mich bücken? Nicht eher, als mir das Rückgrat in drei Stücke bricht!" rief er blaß und ganz außer sich, und dann nennt meinetwegen das eine Stück Nejer, das zweite**) Gadus virens oder Gadus Sey( Köhler, Sej, eine Schellfisch­Jansen und das dritte Juhl und schaut nach, ob auch nur art) lebt besonders von Heringen und dient vielfach der ärmeren eines davon die geringste Krümmung hat!" Bevölkerung Norwegens als Nahrungsmittel.