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Marie!" Die Kranke versuchte die Augen zu öffnen; aber nur

Mutter?"

firich über die Wogenkämme aufs Meer hinaus; Raubmöwen und Heringsmöwen flogen einzeln und unruhig durch die wenig hoben sich die Lider. regenschwere Nebelluft, ein Zeichen, daß sie noch warteten. Alte und Seetauben schwammen hie und da in den Deiningen und tauchten in ihrer vorsichtigen Art unter; auf einem ein­samen Stein schaute wachsam der Seeadler aus.

Der Lärm der Tausende von Rojedollen nahm zu, als man sich dem Fischerdorf näherte, wo das Volk lag und das Einströmen des Herings abwartete.

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Das Getöse wurde betäubend, die Geschwindigkeit stieg, die Boote wetteiferten unter den Ruderschlägen; es galt, als erster zu den Bertauungspläßen zu kommen, sich vor den übrigen in den Hütten droben ein Nachtquartier zu sichern, die Niemen im engen Gedränge der Zufahrt vor dem Ge­brochenwerden zu schüßen. Irgend eine öffentliche Aufsicht gab es nicht, Logierschiffe kannte man taum; jeder schlug sich durch, wie er es vermochte, sicherte sich einen Bootsplatz, wie er es vermochte, jagte so viel Furcht ein, als er es ver­mochte!

Die Aafjordinge waren zähe Rudergasten und dann hatten sie das Bewußtsein, den jungen Juhl mit zu haben; der be­fam schon einen Platz.

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Rejer stand mit der Fangleine in der Hand höflich da; er hatte eine so ziemlich ähnliche Empfindung wie seine Leute; wenn es am Aafjordufer auch von Kirch booten wimmielte, sobald das Juhlboot kam, wich man aus. Der Hafen war gepfropft voll von großen und kleinen Masten und der Strand über und über von Booten besät, die großen lagen daselbst vor Anker, die kleinen waren hinter ihnen auf die Schären hinaufgezogen.

Was ist heut für'n Tag?" Sonntag."

" Du hast gearbeitet?" Dabei wandten sich die halbgeöffneten Augen mit einer mühsamen Drehung des Kopfes nach dem Fenster. " Ja, Mutter."

Bist wohl sehr müde, mein Kind?"

Ach

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nein, Mutter."

" Doch. Mußt ja sein. Haft die ganze Nacht wieder bei mir am Bett gefeffen und dabei fast immer gearbeitet. Sollst doch nicht. ann doch nicht viel sprechen, wenn ich auch wach bin. Stann nicht bald, bald kann ich schlafen, immerzu schlafen, immerzu! Und wach' richtig schlafen und bin doch so müde, so furchtbar müde. Aber gar nicht wieder auf. Wie schön!"

,, Nicht doch, Mutter."

Er fommt, Marie, er kommt."

"

Sie phantasiert, dachte die Tochter. Wer kommt, Mutter?" Wer?" Die Kranke riß die Augen auf. Wer, fragst Du? Der Tod! Wer sonst?"

"

Wer?

wird ja alles wieder gut." Nicht so sprechen, Mutter." Sie schluchzte fast die Worte. Es

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Die Mutter schüttelte energisch verneinend den Kopf: Nein. Nicht! Wird nie wieder! Soll auch nicht." Marie versuchte vergeblich sich zu beherrschen. Heftig weinend legte sie ihre feuchten Wangen an die der Mutter und füßte diese: Nicht sterben, Mutter, nicht sterben!"

"

Du weinst?" Die Kranke streichelte ihr zärtlich das blasse Ge­ficht:" Mein liebes, liebes Kind! Mußt nicht weinen! Nicht weinen! Ich sterbe ja so gern, so sehr gern."

Stubl am Bett nieder und ergriff die mageren, faltigen Händchen Nur noch heftiger schluchzend ließ sich die Tochter auf einen

der Kranken.

lange darauf gewartet: auf Ruhe! Lange, lange schon!" " Nicht weinen, Marie. Es kommt ja für jeden mal. Hab' lange,

Zwischen zwei Watneybooten und der steinernen Landungsbrücke, die zur Sulzerei hinaufführte, entdeckte Rejer einen prächtigen Platz, den besten im ganzen Hafen... irrten unruhig ins Leere und blieben dann starr auf einem Punkt merkwürdig, daß er noch nicht eingenommen war!

Sie steuerten dorthin und alle Aafjordinge thaten wie Rejer; sie grüßten artig nach heimatlichem Brauch:.

"

Glück zum Willkomm! Abscheuliches Wetter das!" Droben bei der Thür des Packhauses stand ein junges Mädchen, eine Fischausweiderin, mit einem roten Tuch um den Leib geschlungen, und lachte.

Rejer warf die Leine einigen Leuten auf der Brücke zu. Sie zogen auch wirklich sehr freundschaftlich das Boot zu sich heran; sobald sie aber den Steven erreichen konnten, stießen sie zu seiner Verblüffung mit rohem Gebrüll- einer Mischung von Hohngelächter und Anholgefang- das Boot an der Brücke vorbei und hinaus gegen die draußen liegende Boot­reihe. Hier erhoben sich wie auf einen Zauberschlag Männer mit Rudern, Stagen) und Stangen und fluchten und schalten wie Besessene und stießen nur immer weiter hinaus. Von ein paar Jachten hinter ihnen pfiff und jubelte man, und die Fischmagd in der Backhausthür lachte überlaut.

Da merkte Rejer sich ihr Gesicht! ( Fortsetzung folgt.)

Der Tod.

Von Ernst Preczang .

( Nachdrud verboten.)

Es war still, sehr still im Zimmer. Der Lärm der Straße drang nur gedämpft und in abgebrochenen Lauten bis hier herauf. Die iveißen Gardinen waren zugezogen; eine freundliche, sanfte Helle breitete sich über die sauberen, einfachen Möbel, über das weiße Bett und das gelbe Gesicht der Kranken.

Am Fenster saß, mit einer Stickerei beschäftigt, die Tochter. Das blonde Haar schimmerte im Licht der niedergehenden Nach­mittagssonne. Hin und wieder richtete sich das zarte, blaffe Geficht auf und ängstlich forschend blickten die ermüdeten Augen nach dem Bett der Mutter hinüber. Dann atmete sie tief auf und fuhr in ihrer Arbeit fort.

zurück.

Marie!" Die Kranke versuchte sich aufzurichten; sie fiel kraftlos Willst Du etwas, Mutter?" Das junge Mädchen legte schnell die Arbeit beiseite und eilte zum Bett. Trinken!"

Die Tochter holte ein Glas frischen Wassers aus der Küche und mischte es mit einigen Tropfen Rotwein. Dann richtete sie die Kranke auf und gab ihr zu trinken. Sie schüttelte die Kopfkissen zurecht, ordnete sie und ließ den Kopf der Mutter langjam nieder. Dann faßte fie den Puls der Kranken; er schlug sehr unregelmäßig. Beunruhigt ließ sie den Blick auf dem eingefallenen Antlik ruhen.

*) Stag ist ein starkes Tau zum Befestigen der Maste und Stangen.

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an der gegenüber liegenden Wand haften. Ja. Vor Jahren schon! und fand keine Ruhe. Nie! Nirgends. Bin immer gejagt und gehetzt worden." Die rechte Hand befreite sich aus den Händen der Tochter und wies zitternd nach einem Punkt an der Wand: Siehst Du's? Welche Menge! Welche Menge! Und überall bin ich drauf, überall. Dort. Dort ziehen lauter Bilder vorüber. Bilder über Bilder! Erst bin ich noch ganz klein, ach so klein. Laufe Vatern auf'm Hof entgegen. Hat so'n schmutzig's Gesicht. Kommt von Arbeit. Da, da, siehst Du? Ich helf Muttern waschen. Bin wohl erst zehn Jahre und kann schon plätten. Da! Immer älter, immer älter! Muß immer waschen und plätten. Ei wie schön. Sind draußen im Wald, überall ist Sonne . Ach, so hell ist's und freundlich. Wir sind so vergnügt! Da fommt ja auch Friedrich. Tanzt mit mir. Küßt mich und sagt: Wie Du mir gefällst!" Ja, Horch!" Die Stranke summt kaum hörbar vor sich hin: Wir winden bin ziemlich hübsch. Und da ist die Hochzeit! Hörst Du die Musit? Dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide.

Angstvoll lauscht die Tochter den Phantasien der Kranken. Diese hat wie in schwerer Ermüdung die Augen fest geschlossen. Allmählich öffnen sie sich wieder; wieder haftet der Blick auf derselben Stelle:" Da kommst Du, Marie. ,, Wie niedlich", sagen fie alle. So zierlich, ach so zierlich! Das Püppchen", sagen fie. Und dann der Willi. Ach, der arme Willi! Jst so flein, so flein und liegt schon im Sarg." Friedrich!" Die Kranke schrie es fast; heftige Bewegungen vollführten die Hände, und die Augen dehnten sich wie im Schrecken: Da, Friedrich, Mann! auch tot. Auch im Sarg. Auch im Ein heftiges Bittern, eine eigentümliche Bewegung hatte das Gesicht der Kranken ergriffen; es vibrierte wie in heftigen Weinen, aber keine Thräne drängte sich aus den Augen.

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Mutter! Mutter!" Marie schluchzte und schrie und legte ihr feuchtes Gesicht wieder an die faltigen, trockenen Wangen der Mutter, sie mit Thränen überströmend. Die Kranke hatte die mageren Aermchen um den Hals der Tochter geschlungen und drückte diese fest an sich: Wein' doch nicht, Mariechen, wein' doch nicht!" Mutter, ich fürchte mich!"

Mußt Dich nicht fürchten! Nicht fürchten, Marie. Wovor denn? Ich sterb' ja so gern!"

" Der Tod ist schrecklich! Wie häßlich er ist! Mutter, ich seh'lihn!" Die Mutter schüttelte wieder energisch den Kopf. Siehst ihn nicht, Mariechen; fannst ihn nicht sehen. Der Tod ist gut. Ein lieber, freundlicher Mann mit weißem Bart. Dort steht er!" Sie erhob die Hand ein wenig. Ach! Ist ja Vater! Vater! Gar nicht mehr so streng wie früher. So freundlich und hübsch. Komm, Tochter! sagt er: Hast genug gewaschen und geplättet. Darfft ausruh'n. Sollst gesund werden und nicht mehr leiden. Und sollst nicht mehr weinen, wenn die andern schlafen. Weinen, sagt er. Weinen? Hat ja keiner gesehen, Bater. Hab's ja heimlich gethan. Hatt' auch feine Zeit am Tag. Keine Zeit zum Kranksein. Sind immer nachts gekommen, die Sorgen und Schmerzen. Waren immer bei mir, lange, lange. Haben mich gehezt die Jahre hindurch. Keiner hat's geschen. Keiner hat gesagt: Mutter, wie mußst' Dich quälen. Keiner War immer allein, immer, immer allein 1"