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Da öffnet sich das mattglaferne Schubfenster, das zur Küche führt. Der rote Kopf der Wirtin erscheint in der Oeffnung, und ein Qualin von Schmalzgebackenem spült in den Gastraum.
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Wenn's den Herrn nimmer paßt, ua müssens halt schaug'n, daß wo anders uni 60 Pfennig besser essen timna!"
Das Schiebfenster knallt wieder zu. Die Herren sind ganz ruhig geworden.
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Der Assistent trinkt nach einer Weile mit seinem miserabeln Bier Herrn Noder zu." Profit!"" Prosit, Herr Kollega!" Die audren Tassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, mitzutrinten. Profit" hallt es in der Runde. Die Stimmung wird besser. Nach einigen ängstlichen Blicken auf das Schiebfenster jetzt die Unterhaltung wieder ein. Herr Noder erzählt das Erlebnis mit seinem Schüler.
" Was, kauft haben's ihm was? An Leberkäs? Aber Herr Kollega! Sie kennen sich noch schlecht aus! Wenn's erst einmal drei zehn geschlagene Jahre dahocken in dem verfluchten Nest, dann taufen's auch kein Leberkäs für die Bauernrammel, für die g'icherten! Wer zu schivach zum arbeiten ist, der soll in die Stadt rein zum Studium! Dann kost der Herr Filius wenigstens nig! Unfre Bürgersleut machen sich ja fast schon einen Sport draus, an jedem Tag einen andern Haferlstudenten abzufüttern. Wenn's dann nur wenigstens nicht grad die allerdümmsten reinschicketen! Aber ohne Auswahl!"
Noder schweigt. Er ist zwar nicht überzeugt von den Ausführungen feines Kollegen, aber
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Jahre sind vergangen. Aus dem Gymnasiallehrer Noder ist ein eisgrauer Professor geworden, der sich längst nicht mehr abmüht, den kleinen Büberln die Deklination von„ mensa " beizubringen. In den oberen Klaffen lehrt er nun die Feinheiten des ciceronianischen
Stils.
Zur Zeit genießt er seine Sommerferien an den Abhängen des bayrischen Waldes in dem romantischen Jlzthal.
Ein thanfrischer Morgen hat ihn hinausgelockt in den mächtigen Hochwald, der die Höhen säuntt.
Langfam folgt er dem schmalen Pfade, der durch das urwaldähnliche Gestrüpp des Forstes zu der Totentiese leitet.
Bald liegt der fichtenumrauschte, grüne Plan vor seinen Blicken. Ein eigentümlicher Branch ist es, der dieser Waldwiese den Namen gegeben hat. Eine Sitte, welche die Dörfler von ihren Altvordern übernommen haben. Ein Brett, auf welchem der Leichnam eines Familienmitgliedes aufgebahrt gelegen, wird von den Hinterbliebenen als Gedenktafel au einsamen Waldplätzen aufgestellt. Noder ist bei der Totenwiese angelangt. Einige zwanzig Bretter ragen nicht ganz mannshoch aus dem Rasen. Weiß getincht, stechen fie scharf von dem fatten Grün des Rasens ab. Der alternde Mann schreitet von einem dieser merkwürdigen Denkmäler zum andern und lieft die auf gemalten Inschriften, die ähnlich wie auf Leichensteinen von dem Toten berichten. Ein naives Gedicht, manchmal auch ein vom Dorfmaler findlich ausgeführtes Bild schildern die Ursachen des Todes in drastischer Weise.
Vor einem dieser Marterln" bleibt Noder länger stehen, obwohl es weder Spruch noch Bild trägt.
Der echt niederbayrische Name, der auf der Gedächtnistafel steht, hat sein Interesse wachgerufen. Niederleitner Josef! Es war ihm, als hätte er den so benannten Toten gekannt. Er befann sich hin und her. Am Ende einer seiner Schüler. Und richtig, so ist es auch Ja, Herr Noder erinnert sich sogar noch der Lebertäje- Geschichte ganz deutlich. Während er gedankenvoll das Totenbrett betrachtet, sieht er im Geiste das Kleine Bauernbübl vor sich stehen. Zu sonderbar, hier auf der Toteniviese seinen Namen zu finden. Am Ende ist's doch eine Verwechselung. Auf jeden Fall will er im Dorfe fragen. Der Professor schreitet weiter: Der Wald nimmt ihn wieder auf. Der Niederleitner Bepi will ihm nicht aus den Sinn kommen. Der arme Kerl! Drei lange Jahre hatte er sich mit der lateinischen Sprache geplagt, ohne etwas zu erreichen. Dann war er weggeblieben. Noder hatte seinen Schüßling nicht mehr gesehen und nicht weiter mehr an ihn gedacht. Nun erinnerte ihn urplöglich die Gedenktafel der Totenwiese an den kleinen Haferlstudenten.
Dem Herrn Professor ist durch dieses eigentümliche Erlebnis die Heitere Laune beeinträchtigt worden. Es läßt ihm keine Ruhe mehr, bis er nicht Gewißheit erhalten hat. Er will den ersten besten Dörfler nach dem Niederleitner fragen.
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Auf der Landstraße hockt der Steinklopferhiasel" bei der Arbeit. Noder spricht ihn an. Ob er nichts erzählen tönne über den Niederleitner Joseph, dessen Name auf der Totenwiese verewigt ist? Der alte, wetterharte Mann blinzelt von unten herauf nach dem Stadtherrn, während er den kurzftieligen Hammer beiseite legt. Bedächtig nimmt er eine tüchtige Brise aus dem Brasilglasel. " Ja, ja, der Niederleitner! Mit dem hat es so seine eigne Bewandtnis! S' war ein Studierter, wenn auch die Herrlichkeit nicht lange gedauert hat! Aber zur Arbeit ist er halt doch verdorben g'wesen.' mag wohl schon ein Jahr her sein, seit er
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verschwunden Swar a biff't a spinnater Kerl, der gern lateinisch diskariert hat: d' Leut haben ihn dann berhampelt, wo er sich nur hat blicken lassen. Da, auf einmal war er weg! Die ersten Tage wird man's wohl gar nicht g'merit haben, daß er abgeht. Er war ja net viel zum brauchen der Lateinerseppel" 1- Nach ein paar Wochen haben's' n dann g'funden draßen bei Passau , die lz hat' n angeschwemmt g'habt. Ob er jetzt neing'fallen ist, oder ob er..."
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Die Erzählung des Steinklopfers endigt mit einem Achselzucken. Still wandert der Herr Professor dem Heimatsdorfe des Haferlstudenten zu.
Kleines Feuilleton.
ad. Monarchen von ehemals auf der Brautschau. Nach biblischer Ueberlieferung ließ der Perferkönig Ahasverus, nachdem er seine erste Gemahlin Vasthi verstoßen hatte, die schönsten Jungfrauen aus allen Teilen seines Landes in Susa zusammenbringen, um die Schönste der Schönen zu einer neuen Gattin zu erkiesen, und wählte, nachdem er eine nach der andren immer eine Nacht bei sich gehabt hatte, das reizvolle Judens mädchen Esther zur neuen Königin. Diese originelle Ausleje kann nun freilich nicht als historisch beglaubigt gelten; dagegen gehören ganz entsprechende Methoden zu den feststehenden historischen Thatsachen. So ließ der byzantinische Kaiser Theophilus ( 829-842 n. Chr.), als er ans Heiraten dachte, eine größere Anzahl adliger Schönheiten aus allen Provinzen nach Konstantinopel bringen. Eines Tages wandelte dann der Kaiser langsam zwischen zwei Reihen konkurrierender Mädchen hindurch, in der Hand einen goldenen Apfel, der der Auserwählten überreicht werden sollte: Theodora war der Name der Siegerin. Ein analoges Verfahren hat in Rußland bis weit in die Neuzeit hinein bestanden. Als zum Beispiel Zar Wassily Jwanowitsch( 1505-1533) heiraten wollte, wurden 1500 junge Mädchen vom Adel für ihn zusammengebracht. Nach einer vorläufigen Auswahl wurden 500 davon nach Mostau geschickt. Hiervon schied der junge Fürst zunächst 300 ans, dann 200, 100, bis schließlich 10 übrig blieben, die sozusagen in die Stichwahl tamen. Nachdem diese von Aerzten und Hebammen untersucht worden waren, wurde die schönste und gesundeste darunter zur Sie, wie der zukünftige Schwiegerpapa des Barin auserkoren. Baren, nahm nun einen neuen Namen an, und ihre sämtlichen Angehörigen bildeten die neue Umgebung" des Baren, d. h. fie teilten alle hohen Aemter unter sich und regierten die Häuslichkeit des Monarchen, sowie den Staat. Sie verdrängten Minister und Höflinge, diese suchten natürlich ihre Macht wieder zu erobern und schenten öfters nicht davor zurück, die kaiserliche Verlobte auf gut moskowitisch rechtzeitig durch Gift oder andre bewährte Mittel zu beseitigen. Das hinderte aber nicht, daß der merkwürdige Schönheitswettbewerb jahrhundertelang fortbestand.
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ss. leber die Opferkeffel des Riefengebirges enthält das soeben erschienene Heft der Zeitschrift der deutschen geologischen Die Er Gesellschaft" eine turze Abhandlung von H. Crammer. örterung über diesen interessanten Gegenstand hat ihren Ausgang von der Bereifung des Riefengebirges genommen, die sich an den Die diesjährigen deutschen Geographentag in Breslau anschloß. Opferkessel sind meist runde Bertiefungen von der Form einer flachen Wanne, die einen Durchmesser bis zu einem Meter haben und von verschiedener Tiefe sind. In den älteren Beschreibungen des Riesengebirges wurden diese im festen Fels auftretenden Becken als Werke von Meuschenband angesehen. Daher schreibt sich ihre Benennung, die darauf hindeutet, daß sie zur Aufnahme des Opferbluts bestimmt gewesen seien. Die wissenschaftliche Erforschung ist von diesem Glauben abgegangen. Profeffor Berendt erklärte sie als Gletschertöpfe, wie sie sich in andren Maßen und unter andren Verhältnissen in den Rüdersdorfer Kallbergen östlich von Berlin oder im berühmten Gletschergarten zu Luzern finden. Diese Auffassung war bedeutsam, da sie eine ausgedehnte Vergletscherung des Riesengebirges während der Eiszeit zur Voraussetzung hatte. Die Gletschertöpfe entstehen bekanntlich dadurch, daß sich das durch eine Gletscherspalte auf dem festen Gesteinsboden niederfallende Wasser allmählich in diesen eingräbt, fast immer oder überhaupt immer unter Mitwirfung von Geröll, das dem Wasserstrudel die einschleifende Kraft verleiht. Auf diese Art entsteht in dem festen Fels des Bodens ein tesselartiges Loch. An den Gletschertöpfen sind, wie man das an den beiden genannten Stellen besonders schön beobachten kann, die Spuren der allmählichen Ausschleifung noch deutlich erkennbar, indem die immeren Wände der Vertiefung wie poliert erscheinen und auch oft spiralige Windungen aufweisen; außerdem finden sich nicht selten auf dem Boden eines solchen Topfes ein oder mehrere runde Steine, die eben die Vertiefung unter dem Einfluß eines Wasserwirbels geschaffen haben. Von diesen Eigenschaften echter Gletschertöpfe ist nun an den Opferteffeln des Riefengebirges wenig zu beobachten. Man fönnte daraus allein aber noch keinen bündigen Beweis gegen eine derartige Eutstehung herleiten. Wichtig aber ist die Thatsache, daß jeder Opferteffel eine Abflußrinne besigt, von deren Tiefe die Tiefe der Kessel abhängt. Bei echten Gletschertöpfen, die gewöhnlich ganz unvermittelt im stein auftreten, fann eine derartige Beziehung höchstens als Ausnahmefall stattfinden. Die Opferteffel des Riefengebirges find daher auf andre Weise entstanden zu denken, und zwar sind es wahrscheinlich Berwitterungserscheinungen im Granitfels, die immer an Spalten im Gestein gebunden sind, da diefe der Verwitterung einen besonders günstigen Angriffspunkt bieten. Die Opferkessel sind bisher von drei Stellen des Riesengebirges bekannt; bei Agneten dorf , bei dem Adlerfels unweit Schreiberhau und auf dem Vorberge des Kynast. Es sei noch erwähnt, daß eine Vergletscherung des Riesengebirges während der Eiszeit in der That stattgefunden hat, die aber nach den Untersuchungen des Breslauer Geographen, Professor Partsch, teine erhebliche Ausdehnung besessen hat.
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