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17. und 18. Jahrhunderts. Dieser Kapitalismus wiederholt heute in noch brutalerer Form die wüsten Delirien des Feudalismus. Das Dasein der amerikanischen   Bankdynastien erschöpft sich in einer bis zum Flagellantentum aufgepeitschten Genußgier. Keine Tollbeit ist so groß, keine Vergeudung so finnlos und blöd, keine Gemeinheit so schmußig, daß sie nicht von den Sprößlingen der amerikanischen  Geldzaren geübt wird. Und es ist nur die innere Seelenverwandt­schaft, wenn sich die Milliardärstöchter der Union   mit den franzöfi­schen Glücksrittern und Kretins   der alten Aristokratie paaren, deren Vorfahren der großen Revolution entronnen sind. Der untergangs reife Kapitalismus knüpft an die Traditionen der Feudalzeit an, und alle Laster und Verbrechen des schwelgenden Müßiggangs wachen wieder auf. Die Skandalchroniken der herrschenden Dynastien Amerikas   sind sicher weder ärmer noch weniger widerwärtig, als die französischen   Memoiren vor dem reinigenden Gewitter der Revolution. Den Herrscherhäusern des Kapitalismus ist kein andres Schicksal wie den monarchischen Familien beschieden: die geistige und körperliche Entartung. Nur schreitet der Ruin noch schneller... Georg von Siemens   ist doch vielleicht bereits ein Mann der alten Schule; die nach ihm kommen, werden weit mehr amerikanischen Geistes sein. Er hat sich eben selbst auf den Thron gesetzt, und war nicht bloß der Erbe einer Macht. Ich glaube, er hat nicht einmal in Karlshorst   oder Paris  oder Baden- Baden   jemals Remmpferde laufen lassen.

Denn dies ist das tiefbegründete Familiengesetz der modernen Millionäre. Der Großvater walzt Tag und Nacht, in Regen und Hize, mit einem Leinwandbündel auf den Landstraßen und ist feelenfroh, wenn ihn einmal ein mitleidiger Bauer auf seinem Wäglein mitnimmt. Der Vater wird Millionär und entschließt sich erst nach einigem Widerstreben, sich den Lugus eines eigenen Gespanns zu leisten. Der Enfel unterhält einen umfangreichen Rennstall und der Ehrgeiz seines Daseins erschöpft sich in der Be­gierde nach einem siegreichen Gaul.

Ich habe es nie verstanden, was für ein Interesse ein Mensch daran nehmen kann, zu erfahren, welches von zwei Pferden früher am Biele anlangt. Ich muß es aber als eine gegebene Thatsache hin­nehmen, daß sich mun einmal die höchsten idealen Gefühle eines Millionärs neuen Stils darin erschöpfen, mit einem Pferde, das er nicht einmal selbst reitet, andren Pferden vorauszukommen. Und ich kann es deshalb auch begreifen, daß, wie Troja um Helenas willen zu Grunde ging, Wien   und Destreich vermutlich an einem Rennpferde sterben wird.

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demokratischer Flugblätter, noch dazu während der Kirchzeit. Ich verlange, daß der Mensch sofort entlassen wird." " Jawohl, Herr Bürgermeest'r."

" Socialdemokraten im Amtsblatt!... Unerhört!"

"

"

Ar fliegt noch heite' raus, Herr Bürgermeest'r."

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Und nich bloß das. Es muß auch bekannt werden, durch' ne Lokalnotiz, versteh'n Sie? Hoffentlich haben Sie doch Tinte im Hause? Na also, dann schreiben Sie doch' mal so' ne schneidige Notiz." Jawohl, Herr Bürgermeest'r." Herr Helfferich wollte sich mit vielen Bücklingen empfehlen, aber er sah auf der Stirn des Ge­waltigen noch immer die Zornlinie. So blieb er stehen und druckste. " Zum Donner...! Was haben Sie denn noch?" " Herr Bürgermeest'r wer'ns nich' ungitt'ch nemm'n'" schmeichelte der Amtsblattverleger, Sie feiern doch morgen' s Behnjährige?" Mein Dienstjubiläum? Nun ja

" Denn wer' ch mir erlauben, so eene fleene Notiz ieber das festliche Ereignis..."

Der Bürgermeister lächelte befriedigt. Schön, das soll mich sehr freuen, mein lieber... lieber Helfferich. Also eine Notiz über mein Dienstjubiläum. Ich werde die Zeitungsnummer mit Intereffe lesen."

Schmunzelnd, den Gewaltigen verföhnt zu haben, schob der Amtsblattverleger hinaus, um den städtischen berlehrer aufzusuchen. Er hatte zwar Tinte im Hause, aber solche schwierige schriftstellerische Leistungen ließ er sich von altersher durch den Oberlehrer besorgen. Nach einer Weile betrat er sein Redaktions-, Expeditions- und Druckereilokal mit zwei Manuskriptbogen: eine Notiz über das Dienstjubiläum des Bürgermeisters, eine über die Entlassung des socialdemokratischen Setzers.

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Spätnachmittag war's. In der Offizin, in welcher täglich vom Verleger, einem Setzer und zwei Lehrlingen die Anitsblattweisheit hergestellt wurde, packte eben der Umstürzler am Seßtasten seine Siebenfachen zusammen, denn er war prompt entlassen worden. Herr Helfferich, Redacteur, Druder und Verleger, hantierte mit seinen beiden Lehrlingen an der Schnell" presse, aus der täglich die paar Hundert Auflage herausgeorgelt wurden. Er machte die Kolummen druckfertig und schloß fie; auf der vierten mußten noch die beiden Notizen eingeschoben werden, deren korrigierter Satz auf einem Schiff" auf dem Sekkasten Helfferichs stand.

Eben benutzte der entlassene Arbeiter einen unbelvachten Augen­Etwas ungeheuerliches hat sich nämlich begeben. Seit Jahren blick, um die beiden von Helfferich selbst gesetzten Notizen zu be arbeitet der Berliner   Baron Bleichröder   unablässig an der Hochfinnigen trachten. Verflucht, das war ja eine Verrufserklärung! Fehlte bloß Aufgabe, daß ein Tier aus seinem Stalle einen ersten Preis ge- noch, daß sein Name genannt wurde! Das durfte er sich nicht winnen möchte. In Wien   sollte ihm endlich der Sieg der Mühe gefallen lassen... Er warf einen Blick auf die Jubiläumsnotiz winken. In dem Wettrennen um den 100 000 kronen Preis ward und plötzlich mußte er laut lachen. Die Anfangssäge beider Notizen Bleichröders Pferd erster. Dieser Triumph des Berliners empörte schlossen mit einer Zeile ab. Ein toller Gedanke fuhr ihm durch den das nationale Bewußtsein in Wien  . Eine Grenze hat auch Millionärs- Kopf. Wenn man Kurz entschlossen griff er zu und schnell wie macht. Das aufgeregte Nationalgefühl sagte dem Jockey Bleichröders ein Gedanke hatte er die muteren Sagteile beider Notizen mit üble Dinge nach. Er habe einen Mitbewerber brutal angerannt, einander verwechselt. auch habe er dem Pferde schenßliche amerikanische   Schnäpse eingeflößt, die geeignet sind, den Lauf fünstlich zu beschleunigen. Selbstverständ lich alles pure Verleumdungen! Der Jodey eines reichsdeutschen Barons thut so etwas nicht. Aber Wien   bestand auf seinen Behaup tungen, und dem Herrn Bleichröder   und seinem Pferde wurde der Preis versagt, obwohl sie gesiegt hatten.

hinaus.

Lachend nahm er sein Bündel und ging " Was ho'n Sie denn noch zu feiren, Sie sein doch' naus­g'schmissen!" schnautzte der Verleger.

Eben drum lach' ich," sagte der Soci und ging von dannen. Indem Herr Helffrich noch brummte über die Unverschämtheit der Arbeiter, die das ehrbare Handwerk ruinieren mit ihren Um­trieben, schloß er die Notizen in die Form und dann ging das Drucken los.

Zwei Stunden darauf befand sich die Bewohnerschaft des Städtchens in höchster Aufregung. Wenn ein Mord geschehen wäre, hätte sie nicht größer sein können. Die beiden Spalten des Lokalen" im Amtsblatt hatten folgende Notizen:

Lokales und Sächsisches.

ein

Es ist notwendig, diese Baron-, Millionärs- und Pferdetragödie unverzüglich den Lefern mitzuteilen. Denn Bleichröder   hat der östreichischen Monarchie blutige Rache geschworen. Niemals mehr soll ein Bleichrödersches Noß in Wien   laufen, und keinen Pfennig wird er hinfort diesem verrotteten Staate pumpen. Ueber das ganze Land wird die Sperre verhängt. Die Kündigung des Drei­bundes scheint unvermeidlich, und man munkelt, daß demnächst Phili Eulenburg, der deutsche Botschafter in Wien  , seine Bässe Unser Herr Bürgermeister begeht morgen fordern wird. schönes Fest, sein zehnjähriges Dienstjubiläum, in unfrer Stadt. Die aufhegerische Art, in welcher er seit Jahren hier thätig war, Saß und Unfrieden unter der Bevölkerung zu verbreiten sich be­mühte, ist leider viel zu spät bekannt geworden. Es ist notwendig, solche Elemente aus der Mitte unsrer wackeren Stadtbewohnerschaft zu entfernen, sobald man sich über ihren wahren Charakter flar geworden ist. Audre lassen sich das dann zur Warmung dienen. Aus unsrer Druckerei entfernt wurde heute ein im Verdachte umstürzlerischer Gesinnung stehender Setzer. Seine langjährige treue Pflichterfüllung, feine Gewissenhaftigkeit, seine gewinnende Liebenswürdigkeit im persönlichen Verkehr haben ihn der Bürgerschaft unsres Städtchens in jeder Beziehung sympathisch gemacht. Von dem Vertrauen aller getragen, wird er seine Laufbahn fegensreich zurücklegen. Dies ist infer aufrichtiger Wunsch.

Die Angelegenheit spigt sich zu einer ernsten Machtfrage des Kapitalismus zu. Die nächsten Tage werden bereits zeigen, ob es Wien   wagen darf, das Pferd eines deutschen Bankiers scheel anzusehen. Das internationale Völkerrecht des modernen Millionarismus sieht darin den triftigsten Anlaß zu einer Kriegs­erklärung.­

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Joc.

( Nachdruck verboten.)

Amtsblatt- Tragödie.

Fürchtegott Helfferich, in seiner Person Redacteur, Drucker und Verleger des Nachrichtenblatt", Amtsblatt der töniglichen und städtischen Behörden in dem kleinen sächsischen Dingsda, trat zaghaft in die Amtsstube des Bürgermeisters. Was mochte man wieder von ihm wollen? Sollte das Schreckliche wahr werden, seinem Blatte der Amischarakter genommen und dem Blatte seines Konkurrenten gegeben werden? Bitternd fuchte er die Gedanken von der Stirn des Ortsgewaltigen zu lesen.

" Helfferich," schnauzte der Bürgermeister, feit wann beschäftigen Sie Socialdemokraten im Amtsblatt?"

" Soc..." Dem unglücklichen Amtsblattverleger erstarb das

Wort auf der Zunge. Nu här'n Se

Am folgenden Tage hatte der Amtsblattverleger mit dem Bürgermeister eine Besprechung. Ueber deren Inhalt konnte man nichts erfahren, Herr Helfferich aber soll sich geschworen haben, nie wieder einen socialdemokratischen Seger zu maßregeln. E. R.

Kleines Feuilleton.

ee. Jut Tiergarten. Das schöne Herbstwetter hatte die " Da giebt's nichts zu hören. Ihr Schriftseyer is vom Polizei Spaziergänger zu Tausenden hinausgelockt. Der ganze Tiergarten wachtmeister aufgeschrieben worden wegen Verbreitung social- I wimmelte von Menschen. Durch die Siegesallee   schoben sich dichte