Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 244.

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Sonntag, den 15. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Der Flurfchütz. Roman von Alfred Bock .

I.

Der Pfarrer ergriff die Schaufel, warf langsam mit ab­gemessener Bewegung dreimal Erde auf den Sarg und sprach: Von Erde bist Du gekommen, zur Erde sollst Du wieder werden, Jesus Christus , unser Erlöser, wird Dich aufwecken am jüngsten Tag."

Darauf wandte er sich der Trauerversammlung zu. ,, Lasset uns beten!"

Die Männer nahmen die Müzen ab, die Frauen falteten die Hände.

1901

,, Der Doktor war außerhalb.' s ging auf Zehn. Ehnder frag ich ihn nicht ins Haus. Et hat er die Mutter behorcht und beklopft. Und nimmt mich alleins und spricht: Hirn­entzündung."

" Ja, Vater, no hätt'st Du mir noch schreiben müssen." ,, Lieber Gott, bis nach Düsseldorf ist weit. Und wer fonnt' dann denken, daß das so schnell ging."

It's dann wahr, Vater, was die Schmidte Eller ge­sagt hat?"

,, Was dann?"

Ei, wie die Mutter bei sich war, hätt' sie nach mir ge­rufen,"

" Ja freilich. Das war am Mittwoch. Die Gritt un ich, wir haben sie selbzweit gehalten. Sie wollt' partu aus dent Bett. Und nächts war ein Gedrens' und ein Gestöhn'. Mein Lebtag denk' ich dran. Und man konnt' ihr nicht helfen. Auf einmal fährt sie in die Höh' und guckt verstaunt um sich. Wo ist der Jakob? frägt sie ganz klar. Und ruft: Jakob, Jakob! Und fällt zurück und ist hin." Dem Burschen liefen die Thränen über die Backen.

mir

"

Daß ich sie nicht mehr lebig getroffen hab', das geht doch nah."

Wir danken Dir, Herr Jesu Christ , daß Du unser Gebet und Flehen nicht verachtet, sondern gnädiglich erhört hast. Du hast unsre Schwester aus der Angst gerissen und in die ewige Ruhe eingeführt. Ach, lieber Heiland, wir sprechen mit Hiob : Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn fei gelobt." Wollest uns Deines heiligen Geistes Gnade verleihen, daß wir uns in dieser Stunde er­innern, wie bald es um einen Menschen geschehen sei, und daß, wie es heute um unsre Schwester gewesen, es morgen an uns sein kann, damit wir in steter nnd immerwährender unter. Der Flurschüß überragte seinen Sohn um Hauptes­christlicher Bereitschaft gefunden werden, Dir, wenn das Stünd­lein kommt, durch das finstere Thal des Todes mit Freuden zu folgen in Dein Reich, der Du samt dem Vater und dem Heiligen Geiste lebst und regierst in Ewigkeit. Amen."

aus.

Nun hoben die Sänger an:

Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! Sin geht die Zeit, her kommt der Tod. Ach wie geschwinde und behende Kanu kommen meine Todesnot! Mein Gott, ich bitt' durch Christi Blut, Mach's nur mit meinem Ende gut."

Der Gejang verhallte. Der Geistliche breitete die Hände

Der Herr segne und behüte Euch, der Herr lasse sein An­gesicht über Euch leuchten und sei Euch gnädig, der Herr hebe sein Angesicht über Euch und gebe Euch Frieden. Amen."

Die Feierlichkeit war beendet. Ein eiskalter Wind fuhr über den hochgelegenen Gottesacker. Rasch zerstreuten sich die Leid tragenden. Die langen Schleier der thalab schreitenden Frauens Leute flatterten wie Fahnen hinter ihnen her. Der Flurschük und fein Sohn waren die letzten, die den Friedhof verließen. An der Umfassungsmauer blieben sie stehen. Zu ihren Füßen Tag im Glanz der mittäglichen Sonne das stattliche Dorf; wie die Küchlein um die Henne drängten sich die Häuser um die Kirche zu Hauf. In den Gärten und auf den Aeckern glizerte der erste Schnee. Der Wald, der die Gemarkung auf der Nordseite begrenzte, verlief in ein welliges Hügelland. Gen Süden that sich ein weites Wiesenthal auf, inmitten strömte ein klarer Bach. Am äußersten Horizont erblickte man die Türme und Häuser der Stadt.

Der Flurfchütz, der sich während der Beerdigung seiner Frau tapfer gehalten hatte, wurde mit einem Male weich. Heiß tropfte es von seinen Wimpern.

Guck, Jakob," sagte er, auf ein Feldstück deutend, das fich am Saum des Gemeindewaldes hinzog, das sein vier zehn Tag', daß ich mit Deiner Mutter da drunten auf dem Wolfsacker gestanden hab'. Der Justus Hobach hatt' den Grenzstein verrückt. Das hab' ich ihr selbigmal gewiesen. Die Sach' kommt es vor die Straffammer. Da war die Mutter redsprächig und hat an fein' Strantet und kein' Tod gedacht."

"

Er zog das Schnupftuch hervor und schneuzte sich. Und wie Ihr heimkommen seid?" fragte Jakob. Da thut sie ihren Sonntagsstaat ab und kommt in die Stub' und sagt: Daniel, ich hab' so das Reißen im Kopf. Ich war gar nicht förglich nud jagt': leg' dich ein wink, das vergeht. No, da legt sie sich. Es dauert keine Stund', da ift fie riterot im Gesicht und red't ganz irr. Et fchic' ich zum Schröpfheinrich. Der schröpft und schröpft, aber es hat ir gebatt'."

"

Glaub's schon," fagt Jakob.

Komm," sagte der Flurschüß,' s macht falt hier oben." Sie gingen langsam den scharf abfallenden Hang her­

länge. Er konnte als Typus des oberhessischen Bauern gelten. Er war von hoher, kräftiger Gestalt, hatte ein offenes Gesicht und hellblaue Augen. Sein volles, blondes Haar war leicht geträufelt. Im Gegensatz zu seinem Vater war Jakob zart gebaut, hatte einen schwarzen Strollenkopf und dunkle, schwer­mütige Augen. Er schlug der Mutter nach, deren Familie vom Oberrhein stammte.

Schwarz wie' n Bolad, hatte einstmals die Hebamme gesagt, als sie dem Flurschüßen den eben zur Welt gekommenen Buben hinhielt. Dieser unterschied sich heranwachsend nicht nur äußerlich von der flachshaarigen Dorfjugend, er war ein furioser Knibbes, der einzling im Haus sein Wesen trieb und Wände und Tische mit allerlei Figuren bemalte. Als er fonfirmiert war, that ihn sein Vater zum Weißbinder Möhl in die Stadt. Hier zeigte er sich so anstellig, daß der Meister seine Freude an ihn hatte und ihn nach beendeter Lehrzeit als Gefellen behielt. Ja, eines Tages machte der Meister sich auf zum Flurschüßen nach Eschenrod . Daniel, sagte er, in Deinem Bub steckt was. Das soll man nicht verkümmern lassen. Wann er seine Militärfache hinter sich hat, mußt Du ihn auf die Kunstgewerbeschul' nach Düsseldorf schicken. Das toft' Dich viel Moos. Aber Du mußt's an den Bub hängen. Und ich leg' mein' Teil zu. Der Flurschütz hatte sich nicht gesträubt. Der Jakob diente seine Militärzeit ab und zog nach Düsseldorf . Dort war er seit Jahresfrist. Die Bot­schaft vom jähen Tode der Mutter hatte ihn so spät erreicht, daß er mit knapper Not noch zur Beerdigung gekommen war.

Vater und Sohn schritten die menschenleere Dorfstraße entlang. Es war Sonntag. Aus den Stallungen drang das Brüllen des Rindviehs und das Blöken der Schafe. Hie und da tauchte hinter den Fensterscheiben das welke Gesicht eines alten Mütterchens auf. Die jüngeren Leute waren in den Wirtshäusern beisammen.

Der Kirche gegenüber lag das hellgestrichene, zweistöckige Haus des Flurschüßen. Auf dem Donbalken über der Eingangs thür stand der Spruch:

Sich vor dich und sieh hinter dich, Die Welt ist gar zu wunderlich.

In der geräumigen, höchst einfach möblierten Stube des Erdgeschosses hatten sich die Männer und Frauen aus dem Verwandten und Freundeskreise zum Leid versammelt. Als der Flurschütz und sein Sohn eintraten, verstummte die Unter­haltung. Schweigend ließ man sich an ungedecktem Tische nieder. Die Bauern, durchweg bartlos, nahmen sich in ihren blauen Kirchenröcken gar stattlich aus. Die Frauen trugen schön gestickte Müschen, die wie Schwalbennester auf hoch­gestecktem Haarzopf saßen. Ihr Oberleib war in ein Mieder von dunkelblauem Stoff gepreßt. Die kurzen, reich besetzten Aermel waren über dem Ellenbogen umgeschlagen. Den Hals zierte die Krellschnür. Von den Hüften herab fielen furze,