Anterhaltungsblatt des Vorwärts

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Sonntag. den 29. Dezember.

( Nachdruck verboten.).

Der Flurfchüh.

Roman von Alfred Bock .

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1901

hinunter, doch hatte der Flurschüß das Haus schon ver lassen.

X.

Sobald der Bäckermeister Klemmrath in der Früh­stunde sich zu Bett begeben hatte, wie es das mühselige, In der Stadt lag's ihr immer schwer auf der Brust, aber einträgliche Gewerbe mit sich brachte, übernahm seine hier war ihr leichter zu Mut geworden. Der Flurschütz war Frau das Kommando im Haus. Im Ladenlokal lagen manchmal obsternat jedes Mannesbild hatte halt seine Butterweck, Wasserdatscher Wasserdatscher und Zwieback gehäuft, und Raupen doch war er ein echter rechter Mann. Zuerst hatte der Duft der frischen Backware erfüllte den Raum. Die er sich vor ihr verriegelt, sacht sprang ein Schloß nach dem Lehrbuben erschienen mit ihren Körben. Jeglichem teilte andren auf. So saßen sie geheiglich bei einander, die Meisterin sein Anantum zu und befahl, die Kund­als hätten sie immerwährend so gesessen. Vielmals war's schaft rasch zu bedienen. Eben hatten sich die Jungen ihr, als müßt' fie sprechen, Wort für Wort hatte sie parat, entfernt, die Klemmrathen trant, sich verschnaufend, ein dann würgte sie's wieder in sich hinein, die Kehle war Schälchen Kaffee, als ein gut gekleideter, hübscher junger ihr wie zugeschnürt. Wer Sünde that, der war der Sünde Mensch in den Ladeu trai. Höflich den Hut lüftend, begehrte Knecht. er einen Butterweck, den ihm die Meisterin gab. Indes er die Pfennige hinlegte, sagte er sichtbar befangen: " Ist die Christine Wallbott wohl hier?" Die Klemmrathen sah erstaunt zu ihm auf. Die Christine? Ei, die ist lang schon fort." ,, So hat sie ein' andren Dienst in der Stadt?" " Bewahr'! Die ist alleweil in Eschenrod . Beim Flur Der schreibt sich Daniel Schwalb."

Einmal Sonntags hatten sie abgegessen, da guckte der Flurschütz sie so eigen an, so vergastert, sie wußt' erst selbst nicht wie. Nicht, daß sie's dabei gegrisselt hätte, nur über­fiel sie eine Bangigkeit. Seit der Zeit verschloß sie abends ihre Stammer.

Zuweilen, wenn sie ins Backhaus ging, dutschelten die Weibsleute einander zu: Die Christine bäckt den Hand­schlagskuchen, beim Flurschüß ist es bald Verspruch." Eine Zeitlang war im Dorf das Gerede, sie seien mitsammen beim Pfarrer gewesen, fix werde die Aufbietung ausgehängt. Das trug man ihr alles geflissentlich zu, und der Flurschütz hörte wohl auch dabon.

Selbigmal lag sie stundenlang wach im Bett und quälte fich nächts mit ihrem Brast. Durch ihr Fenster sah sie den Sternenhimmel, und ihr heißes Flehen flog hinauf:

schütz.

Der junge Mann entfärbte sich und hielt sich wie von einem Schwindel befallen mit beiden Händen am Laden­tische fest. Sein Gebahren machte die Klemmrathen stußig. Ganz Aug' und Ohr, fragte sie:

,, Sie sein wohl mit der Christine bekannt?"

"

" Ja," sagte der Fremde, sich mühsam fassend.

" Ein bescheidenlich Mädchen," plapperte die Bäckersfrau, und risch. Ja wie die schafft, das ist heutzutag bei den Dienstboten keine Mode mehr. Mein Lebtag hätt' ich ihr nicht aufgefagt. Nu ist die Christtag ein Frau gekommen und hat sie mir ausgemiet',' s war mir leid genug. Jekt treffen Sie sie in Eschenrod . Drei Stund' von hier, aber ein schöner Weg."

Du mein Heiland, du sigst doch nebig dem lieben Gott, fannst mit ihm sprechen, wann du willst. Mach du, daß he mir eine Weisung schickt. Ich vergräm' mich schier zu Tod, dann ich hab' mich schrecklich hereingelappt. Dem Jakob wegen sein ich in Dienst hier gangen- egern bringen fie mich mit seinem Vater zusammen. Ja, und' s ist nicht bloß das Gewäsch von den Leut', der Flurschütz thut freßlieb mit mir. Behüt, daß er mich narren will, der hat's, schätz ich, ganz ehrlich vor. Aber dadevon fann feine Sprach' nicht sein. Nein, du mein Heiland, so schlecht sein Draußen taumelte er ein paar Schritte vorwärts, als ich nicht. Ich bitt' dich um alles, was meinst du dann? habe ihn von neuem ein Schwindel erfaßt, dann wandte er Mach' ich mir leicht oder seh' ich noch zu? Gesetzt, sich der nächsten Gasse zu, die in die Eschenröder Landstraße ich verzähl' dem Flurschüß meine Sach'! He hat alleweil mündete.

Ohne auf ein Gespräch sich einzulassen, dankte der junge Mensch für den Bescheid und ging. Die neugierigen Blicke der Klemmirathen folgten ihm.

felder. Am äußersten Horizont ragten die Waldberge wie schwarze lhigetüme aus dem Nebelgewölf. Geisterhaft schwebten die langen weißen Fäden der Wanderspinne vorbei. Aus dem Erdreich stieg ein dumpfer Moderduft auf und ge mahnte an Tod und Verwesung.

feine Plane im Kopf und ist im Stand und jägt mich fort. Bald hatte er die Stadt im Rücken. In vielfachen Dernach stehn ich auf der Gass' und hab' rein nir. Bleibt Bindungen führte die Chaussee hinan. Zu beiden Seiten dann der Jakob ewig versteckelt? Nig Gewisses weiß man weite Triften, von Herbstzeitlosen übersät, fernab gelbe Stoppel­nicht. Ja, der kann heut und morgen kommen. Wann man nur ein Fünfchen Klarheit hätt! Das Gegrübel alsfort bringt ein' um. Du mein Heiland, ich bitt' dich, führ' meine Sach' Die Sündschuld martert mich fürchterlich. Wie hat der Lehrer zu Belda gesprochen: Falsche Mäuler sind dem Herrn ein Greuel. Ja schon, aber ich sein doch sonst keine Lügnerin. Lieber Heiland, bist selbst bei armen Leut gewest. Du weißt, wie's unsereinem ist. Was wollt' ich dann in meinem Leiden? Doch nir als so ein klein wink Glück. Gelt, etern sprichst du mit den lieben Gott. Derweil sein ich still und verlass' mich auf dich!"

So beschwichtigte sie das mahnende Gewissen. Woche um Woche ging dahin, Zeichen und Wunder geschahen nicht. Es kam der Herbst und die Kirmeszeit. Da hielt der Flur­schütz um sie an.

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Zweimal hatte sie nein gesagt. Aufgebracht war er da vongegangen. Die Kränkung würde er nie verwinden. Sie fühlte tiesinnerft, un war's vorbei. Morgen schnürte sie ihr Bündel und wanderte in die Stadt zurück. Aber vorher wollte sie alles beichten, daß sie in Reinheit und Wahrheit schied. Ihr hatte kein Heiland, kein Gott geholfen, so war's wohl am besten sie half sich selbst.

Von diesem festen Entschluß durchdrungen, stieg sie in ihre Stammer hinauf. Totmatt fant sie auf ihr Lager, aber fein erquickender Schlummer schloß ihre Wimpern. Summer­voll warf sie sich hin und her. Erst gegen Morgen forderte die Natur ihr Recht, und sie fiel in einen tiefen Schlaf. Als sie erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Erschrocken fuhr sie in die Kleider und eilte in die Stubel

Mächtig ausschreitend langte der Wanderbursch auf dem höchsten Punkt der Straße au und sah Eschenrod in der Thalsentung liegen.

Die Glocken hoben an zu läuten. Hörnerklänge schwammen herauf. Jetzt spielten sie drunten den Morgensegen. Herrgott, es war ja Kirmeszeit!

Und er beflügelte seine Schritte. Ein kurzer Abstieg durch Tannengehölz. Schon hörte er den Hollerbach rauschen, da lugte die Sägmühle hervor. Vorwärts, vor­wärts! Wer saß denn dort am Wittgeborn? Wahrhaftig, es war der Bettelkaspar. Der hatte den Ankömmling gleich erkannt.

Heilig Gewitter, der Schwalbejakob! Ei, wo kommst Du dann hergeschneit?"

Aus Holland ," versetzte der Angeredete und gab dem Betteltaspar die Hand.

Dieser hatte sich von seinem Erstaunen noch nicht erholt. ,, Donnerkil, der Schwalbejakob! Ez kommst Du gerad' noch zur Kirmes recht.

" Ich weiß."

Hent' sein die Bauern lustig, Heut' sein sie toll und voll."

" Herentgegen ist Dein Vater diesen Morgen ins Feld."