..So?" „Und hatt' die Donnerbüchs' auf dem Buckel. Von wegen der Rabenplag'. Elf Pfennig giebt's vom Stück. Da der- dient he noch ein Haufen Geld." „Ach muß weiter," sagte Jakob ungeduldig. „Du kommst noch früh genug nach heim," hielt ihn der Bettelkaspar zurück.„Thu' was für einen armen Hungerleider und geb' in der„Krön'" ein paar Dippchen aus." „Nachmittag." versprach ihm Jakob und machte sich in Eile davon. Der Vater im Feld. Desto besser. So fand er die Christine allein. Fast lief er die lange Gasse hinunter. Noch hundert Schritt zu seines Vaters Haus. Da lag's und funkelneu gestrichen. Vom Donbalken grüßte der alte Spruch: Sieh vor Dich und sich hinter Dich l Die Welt ist gar z» wunderlich. Jetzt schritt er über den Hof, trat in den Flur. Just kam die Christine aus der Küche. »Jakob I " Ein markerschütternder Schrei, und sie brach ohnmächtig zusanimen. Schreckensbleich kniete er neben ihr, er rief sie beim Namen; sie regte sich nicht. Da richtete er sie sanft in die Höhe und trug sie in die nahe Stube. Er stürzte ans Fenster. Hilfe zu holen. Tie Straße war völlig menschen- leer. Ratlos kehrte er zu der Besinnungslosen zurück. teiliger Gott, war sie denn tot? Er rang verzweifelt die ände. „Christine. Christine!" Sie hörte ihn nicht. Er warf sich jammernd über sie. „Gott sei gelobt!" Sie bewegte sich. Ihre Brust hob und senkte sich. Sie lebte. Jetzt schlug sie die Augen auf. Zärtlich schlang er die Arme um sie. „Christine, lieber, lieber Schatz!" Da traf ihn ihr düster flackernder Blick. „Rühr' mich nicht an," stieß sie hervor. Bestürzt ließ er sie frei. Herrgott, war sie denn irr ge- worden? Jetzt erhob sie sich. Ihr Gesicht war totenblaß. Ihre Augen funkelten in fiebrischem Glanz. Die Erschütterung war zu gewaltig gewesen. Die Kräfte wollten sie wieder der- lassen, sie schwankte. Doch schleppte sie sich zur Ofenbank. Er ließ sich schweigend neben ihr nieder. Wenn sie erst wieder bei sich sein würde, daß er seinem Herzen Luft machen konnte. Sacht, nur sacht! Minutenlang verharrte er still. Dann begann er mit bebender Stimme: „Christine, ich bitt' Dich, guck mich doch an. Ich bin der alte Jakob nicht mehr. Der ist drunten in Holland ge- blieben." „Der alte Jakob ist tot." sprach sie dumpf,„ich will von keinem neuen nix wissen." „Christine," flehte er,„hör' mich an." „Ich will nix hören!" fuhr sie auf. „Christine," drang er aufs neue in sie,„thu' mir das Herzeleid nicht an," und Thränen erstickten seine Stimme. Sie hielt sich mit beiden Händen die Schläfen, als wollte ihr die Hirnschale springen. Er aber demütigte sich vor ihr. „Ich bin ein Schuft gegen Dich gewest. Das gestehn ich zu. Hab's bitter bereut. Seit ich vom Militär fortkommen bin, Hab' ich Gott weiß was all pexicrt. Etz kann ich Dir's ja sagen:'s könnt' sein, wo's wollt','s hat mich alsfort eins gezoppelt. Und das warst Du. Hab' während an Dich denken müssen. Ja— und uns' Kind I Was macht dann das?" Da hatte er das Wort gefunden, das den Weg zu ihrem Herzen bahnte. Uns' Kind I Ihre Augen blickten mit einemmal sanft, das Blut kehrte in ihre Wangen zurück, und ein Lächeln spielte um ihren Mund. Und als ob nichts geschehen sei, erzählte sie ganz zu- traulich, vor acht Tagen sei sie in der Stadt gewesen und habe nach dem Bubchen gesehen. Das sei ein goldiges Kerlchen und wunderdrollig. Und habe festes Fleisch und Kraft. Und fange es erst zu babbeln an, könne man sich gerad' wälzen vor Lachen. Glückselig sah sie vor sich hin. Zaghast ergriff er ihre Hand. Diesen Morgen, sprach er, sei er mit dem Fünsuhrzug gekommen und direkt zu den Bäckersleuten gegangen, nicht anders denkend, sie diene noch dort. Wie er gehört habe, sie sei bei seinem Vater in Eschenrod , habe er gemeint, ihn treffe der Schlag. In einer Hätz sei er hergerannt. Und das Glück, daß der Vater außerhalb sei. So könne er gleich sein Herz ausschütten. Jetzt sei ihm auf einmal ganz glühnig zu Mut. Greinen möcht' er vor lauter Freud '. Sie lehnte sich an die Wand zurück, und ihr hübsches Gesicht war wie verklärt. Was sie erlebte, war kein Traum, war offenbare Wirklichkett. Der Jakob, der verlorene Schatz, faß leibhaft neben ihr. Sie schaute ihn von der Seite an. Das war der alte Krollenkopf, und das Schnurrbärtchen gar stolz gedreht. Jakob, Jakob I O du Heiland, er war's. Hielt ihre Hand und that so lieb. Selig vergaß sie Groll und Harm und genoß die Wonne des Wiedersehens. Was in ihr vorging, verriet der Druck ihrer Hand. Wie ein warmer Strom ging's von ihr aus. „Etz kann passieren, was will." sagte er gerührt,„uns zwei bringt nix mehr auseinander. Guck, wo mir s in Holland so schlecht gangen ist, da bin erst zu Verstand gekommen. Tag und Nacht könnt' ich verzählen." Die Erinnerung an überstandene Leiden wurde in ihm wach, und er sprach sich in bewegten Worten aus. „Von Düsseldorf bin ich herunter nach Amsterdam . Da war ein Kamerad von mir. Der sollt' einen Platz für mich ausfindig machen. Mit der Malerei war's aber nix. Sie hatten überall Leut' genug. Die Holländer haben was los.'s muß einer schon ein Meisterstück liefern, wer denen etwas vormalen will. Dessentwegen hätt' ich ihnen doch was zeigen können. Nu that ich hier und dort mich um, krag Dir aber ums Leben nix. So mußt' ich in den sauren Apfel beißen und bei einem Weißbinder in Arbeit gehn. Da Hab' ich ein schön Stück Geld verdient. Der Weißbinder schrieb sich Paddenburg und hat auch ganz gut deutsch geschwätzt. Etz mußt Du wissen, das Amsterdam steht im Wasser, die Häuser sind auf Holzwerk gebaut. Man sollt's gar nicht für möglich halten. Ueber dem Wasser liegt als ein dicker Schwadem. Was die Holländer sind, die sind dran gewöhnt. Mir ist der Dunst auf dieZierven gefallen. Ich that mich ganz barbarisch wehren,'s half nix. Ich krag das Fieber so hitzig, daß sie mich ins Spital ge- tragen haben. Da Hab' ich acht Tag lang nix von mir gewußt. Dernacher bin ich so matt gewest, daß sie für mein Leben nix mehr gegeben haben. Die barmherzige Schwester hat alsfort mit mir gebet'. Ein' Sonntag Hab' ich selber gedacht, heut ist's vorbei. Nu liegt man da und kann sich nicht rühren, aber im Kopf rumort's in einem zu. Und da sieht man alles genau bis zurück, wo man so'n kleiner Knibbes war. Und was man auf dem Gewissen hat, das sticht ein' akrat wie glühende Nadeln. Den Schmerz hätt' ich zur Not verbissen, aber daß ich Dich Hab' sitzen lassen, dadrüber, kam ich nicht hinaus. Und Hab' in mich hinein ge» greint und hätt' Gott weiß was drum gegeben, wann Du sell bei mir gewesen wärst. Dernacher bin ich eingeschlafen. Und die Schwester hat gemeint: der wacht nimmer auf. Die Nacht und den Tag drauf lag ich wie tot. Ich muß aber doch noch Kraft gehabt haben, dann Montag gegen Abend bin ich lebig worden. Von der Stund an, kann man sagen, war ich kuriert. Nu haben sie mich noch ein paar Wochen ausgesüttert, dernach haben sie mich gesund geschrieben. Der Paddenburg wollt' mich gleich wieder nehmen. Ich hatt' aber keine Ruh' im Leib, bin staute pe auf die Eisenbahn und bin durchs Rheinische heimgefahren." Sie war seiner Erzählung mit gespannter Aufmerksam- keit gefolgt. Da er von seiner schweren Erkrankung sprach, flössen ihre heißen Thränen. Er hatte schrecklich viel aus- gehalten, hatte gewißlich all' seine Sünden gebüßt. Und ein guter Mensch war er doch! Denn als er mit dem Tode rang, hatte er noch an seine Christtne gedacht. Mit dem Blick besorglicher Liebe sah sie ihn an. „Etz merk' ich erst, wie blaß Du bist,'s hat Dich ge- herigd mitgenommen." Er meinte, er habe sich völlig erholt und spüre die alte Kräftigkeit. Sie brauche sich keine Gedanken zu machen. Jetzt sei die Reihe an ihr, zu erzählen. Er könne es noch gar nicht fassen, daß sie hier bei feinem Vater diene, da müsse ein Wunder geschehen sein. Nun gab sie ihm getreulich Bericht, wie sich alles zu- getragen, wie sie die Zeit her sündlich geschwiegen und stündlich auf seine Rückkehr gehofft. Seit Fastnacht habe er nicht mehr geschrieben. Da habe sein Vater geglaubt, er sei
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18 (29.12.1901) 252
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