Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 5.
5]
Mittwoch, den 8. Januar..
Foma Gordjejew.
1902
Hemdchen stehen am Ufer und geben dem Dampfschiff, das ( Nachdrud verboten.) die Stille des Flusses aufgestört hat, mit lautem Schreien das Geleite, von seinen Rädern eilen lustige Wellen zu den Füßen der Kinder und plätschern ans Ufer. Dort hat sich ein ganzer Haufen von Kindern in ein Boot gesetzt und rudert eilig der Roman von Maxim Gorki . Deutsch von Klara Branner. Mitte des Flusses zu, um sich auf den Wellen wie in einer Foma wußte, die Tante würde den Vater nicht herein- Wiege zu schaukeln. Aus dem Wasser ragen Baumwipfel Lassen, und schlief beim Lärm ihrer Stimmen wieder ein. hervor, manchmal werden ganze Gruppen von Bäumen überWenn Ignat sich aber bei Tage betrant, faßte er mit seinen schwemmt und stehen wie Inseln im Wasser. Vom Ufer tönt riefigen Tagen sofort nach dem Sohne, trug Foma mit wie ein schwerer Seufzer ein trauriges Lied herüber. einem betrunkenen, lustigen Lachen durch die Zimmer und Das Dampfschiff holt Flöße ein und umgiebt sie mit fragte ihn: feinen Wellen. Die Bretter schwanken bei den Stößen
Fomfa! Was willst Du? Sag's! Geschenke? Spiel- der heraneilenden Wellen, die Flößer in blauen zeug? Bitte nur! Denn wisse, es giebt nichts auf der Hemden taumeln hin und her, schauen zum DampfWelt, was ich Dir nicht kaufe. Ich hab' eine Million! schiff herüber, lachen und schreien etwas. Eine große, schöne, Hahaha! Ich werd' auch noch mehr haben! Hast verstanden? ungeteerte Barke schwimmt seitwärts über den Fluß; die Alles gehört Dir! Haha!" gelben Bretter, mit denen sie geladen ist, glänzen wie Gold Und plötzlich erlosch sein Entzücken, fvie eine Kerze bei und spiegeln sich dunkel in trüben Frühlingswasser wieder. Frühlingswasser wieder. einem heftigen Windstoß erlischt. Das betrunkene Geficht Der Passagierdampfer tommt entgegen und pfeift. Das zuckte, die Augen röteten sich und füllten sich mit Thränen, laute Echo des Pfiffs verbirgt sich im Wald, in den und die Lippen verzogen sich zu einem ängstlichen, gramvollen Klippen des gebirgigen Ufers und erstirbt dort. In der Lächeln: Mitte des Flusses stoßen die Wellen der beiden Fahrzeuge aufeinander, stürmen gegen das Bord an, und die Schiffe wiegen sich auf dem Wasser. Auf dem abschüssigen Abhang des gebirgigen Ufers dehnen sich die grünen Teppiche der Wintersaaten, die schwarzbraunen Streifen der brachliegenden Felder und die schwarzen der für die Sommersaat gepflügten aus. Die Vögel schieben als dunkle Punkte darüber und sind auf dem blauen Hintergrund des Himmels deutlich zu sehen; in der Nähe weidet eine Herde, die von weitem wie ein Spielzeug aussieht; man unterscheidet die Kleine Gestalt des Hirten, der sich auf einen Stock stützt und auf den Fluß blickt.
,, Anfissa! Was werde ich anfangen, wenn er stirbt?" Und nach diesen Worten wurde er wild.
sch werde alles verbrennen!" brüllte er und starrte wie wahnsinnig in irgend eine dunkle Ecke des Zimmers. Ich werde alles vernichten! Mit Pulver sprengen!"
,, Genug, Du garstige Frage, Du! Willst Du das Kind erschrecken? Oder willst Du es frant machen?" jammerte Anfissa, und das genügte, um Ignat eilig verschwinden zu machen, indem er vor sich hin brummte:
,, Nun, laß gut sein! Ich geh' schon, schrei nur nicht! Lärme nicht... erschreck ihn nicht.
„ Wenn Foma unwohl war, vernachlässigte sein Vater alle seine Geschäfte, ging nicht von zu Hause fort, langweilte die Schwester und den Sohn mit sinnlosen Fragen und Ratschlägen und ging finster, mit Angst in den Augen, ganz außer sich durch die Zimmer und ächzte.
Warum erzürnst Du Gott ?" sagte Anfissa. Wart mur, Dein Murren wird zum Herrn aufsteigen, und er wird Dich für Deine Klagen über seinen Mangel an Barmherzigkeit gegen Dich bestrafen."
,, Ach, Schwester!" seufzte Ignat.„ Begreife doch- wenn ihm etwas geschieht... dann ist mein ganzes Leben zerstört! Wozu soll ich dann leben?"
Aehnliche Scenen und die krassen Uebergänge des Vaters von einer Stimmung zur andren erschreckten den Stnaben zuerst, doch er gewöhnte sich bald daran, und als er durch's Fenster sah, wie der Vater schwerfällig aus dem Schlitten stieg, sagte er gleichgültig:
" Lante! Der Papa ist wieder betrunken."
Der Frühling tam, Ignat erfüllte sein Versprechen, indem er den Sohn aufs Dampfschiff mitnahm, und jetzt entrollte sich vor Foma ein neues, an Eindrücken reiches Leben.
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Ueberall ist das Leuchten des Wassers, überall ist Raum und Freiheit, die Wiesen grünen fröhlich, und der blaue Himmel ist freundlich und klar; in dem ruhigen Treiben des Wasser spürt man eine verhaltene Kraft, im Himmel darüber leuchtet die freig bige Maisonne, die Luft ist vom füßen Duft der Nadelbäume und des frisches Laubes erfüllt. Und die Ufer nähern sich immer, liebfosen die Augen und die Seele mit ihrer Schönheit und eröffnen immer neue Bilder.
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Auf allem in der Runde liegt der Stempel einer gewissen Gemächlichkeit: Alles- Natur und Menschen lebt schwerfällig und träge, doch in dieser Trägheit liegt eine eigenartige Anmut, und dahinter scheint eine riesige, unbezwingbare Straft zu lauern, die noch unbewußt ist und sich noch keine klaren Wünsche und Ziele geschaffen hat... Und das Fehlen von Bewußtsein in diesem halbschläfrigen Leben wirft auf seine ganze Fülle Schatten von Traurigkeit. Demütiges Sichgedulden, schweigsames Erwarten von etwas Neuem und Lebendigerem ist selbst im Schreien des Kuckucks zu hören, der mit dem Wind vom Ufer auf den Fluß fliegt. Die wehmütigen Lieder scheinen jemand um Hilfe zu bitten... und manchmal klingt darin die Tollfühnheit der Verzweiflung. Der Fluß beantwortet die Lieder mit Seufzern. Und die Baumwipfel wiegen sich nachdenklich... Stille.
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Schnell eilt der Schleppdampfer des Kaufmanns Gordjejew, der schöne, starke Jermat", stromabwärts, und auf beiden Seiten nähern sich ihm langsam die Ufer der mächtigen, schönen Wolga , das linke, das von der Sonne ganz durch- Foma verbrauchte ganze Tage auf der Kapitänsbrücke tränkt ist, breitet sich wie ein reicher, grüner Teppich bis zum an der Seite des Vaters. Schweigend, mit offenen Augen Rande des Himmels aus, und das rechte hat seinen steilen schaute er auf das endlose Panorama der Ufer, und Rücken bis in die Wolken erhoben und ist in strenger Ruhe ihm war, als nähere er sich auf einem breiten Silberpfade erstarrt. jenen wundersamen Königreichen, in denen die Zauberer und Zwischen ihnen breitet sich majestätisch der breitbrüstige Helden der ihm vertrauten Märchen lebten. Manchmal beFluß aus; lautlos, feierlich und langsam fließen seine Gewässer fragte er den Vater darüber, was er fah. gnat antim Bewußtsein ihrer unbezwingbaren Macht dahin. Das ge- wortete ihm gerne und eingehend, doch den Knaben bebirgige Ufer spiegelt sich darin als ein schwarzer Schatten friedigten diese Antworten nicht; er fand darin nichts Interwieder, links wird der Strom durch die gelben Streifen der essantes und Verständliches, und er hörte nichts davon Sandbänke und die breiten Wiesen wie mit Gold und grünem heraus, was er wünschte. Einmal erflärte er seufzend dem Sammet geziert. Hier und da erscheinen auf einem Hügel Bater: oder auf den Wiesen Dörfer, die Sonne funkelt in den Fensterscheiben der Hütten, und auf den gelben Strohdächern leuchten durch das Laub der Bäume die Kreuze der Kirchen, in der Luft drehen sich träge die grauen Mühlenflügel, und der Rauch der Fabritschlote steigt in dichten schwarzen Wolken in den Himmel. Kinderscharen in blauen, roten und weißen
,, Tante Anfissa weiß es besser als Du."
"
Was weiß sie denn?" fragte Ignat lächelnd.
Alles," antwortete der Knabe überzeugt.
Die wunderbaren Königreiche erschienen ihm nicht. Doch erschienen auf den Ufern des Flusses Städte, die ganz ebenso waren wie diejenige, in der Foma lebte. Einige da
oft