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führt, 11111 sich ihrer als Autoritäten gegen die litte- werden, ja vielleicht sogar so gemeint fein. Wir haben in Victor rarischen Erscheinungen der Zeit zu bedienen; mit einem Worte, Hugos Lebenswert imzählige solcher Aussprüche und Gedanken: der die im Namen des verstorbenen Corneille einen wiederauflebenden Charakter des Politikers Hugo ist aber wohl kaum zu retten. Als Corneille verfolgen würde. mildernde Umstände kann man nur seine phantastische Naturanlage, fein leidenschaftliches Temperament und einen hohen Grad Selbst­täuschungsfähigkeit gelten lassen. Dazu kommt noch die nervöse Er­regung der ganzen Zeit des 19. Jahrhunderts mit seinen zahlreichen Wandlungen und Revolutionen, vermöge deren die Menschen dieser Epoche überraschend leicht und oft Grundsäge und Meinungen wechselten.

V. Hugos anerkannte Dichtergröße stand bereits gegen 1848 fest, es war hier nichts Höheres mehr zu bieten, der Sieg der neuen Kunst war entschieden und Hugo war einer unter vielen: da kam fein Kampf gegen Napoleon den Kleinen", diesen allmächtigen Zwerg", den schäbigen Abenteurer, den die Geschichte Lartouche*) den Großen nennen wird", diesen finsteren Schakal, diesen Cretin mit faltem Blut, diesen holländischen Korsen mit der eisernen Stirn", wie er ihn in den Châtiments"( Büchtigungen) nennt.

Mit der Kraft eines Propheten Jeremias, mit der Galle eines Swift, mit dem taustischen Wig eines Rabelais, mit der Wucht der Juniusbriefe ruft er Wehe über den gekrönten Meuchelmörder und diejenigen, welche im Schutze seines Säbels und Thrones sich durch Volksausbeutung bereichern und ihn darum duldeten und stüßten. Klingt es manchmal so, als ob er geradezu zur Beseitigung des Erzschurken aufforderte, so mahnt er dann gleich darauf wieder: Nein, tötet ihn nicht! Den feilen Dolch des elendesten Meuchel­mörders würde das Blut dieses Schurken schänden; die Pranger der Schande müssen zuweilen auch einmal mit einem Kaiser geschmückt werden! Er sei sacer, unverletzlich: laßt Kain passieren, denn er gehört der Rache Gottes!"

Das Volk von Frankreich , das wahre Volk, das nicht mit schuldig war an den Verbrechen des Cäsarismus, sah nun in ihm in der That den Propheten, den großen Dentagogen d. i. Voltsführer im höchsten Sinne des Wortes.

Victor Hugo ", sagt Mabilleau, ging lebendig in die Un­sterblichkeit ein: seine letzten Jahre waren eine lange Apotheose. Frankreich sah in ihm das Bild seines eignen Genius, eine Art Heros, der den Geist der Nation verkörperte.

Um feinen ehemaligen Royalismus zu entschuldigen, stempelte Victor Hugo in der Vorrede zu den Herbstblättern"( 1831) feine Mutter in totalem Widerspruch zu ihrem ganzen Leben zu einer fanatischen Royalistin wie das schon Chateaubriand feiner Zeit gethan hatte!

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In Wahrheit war der Royalismus Hugos, der lange Zeit der stehende Sänger für Geburts- und Sterbefälle in der königlichen Familie war, für ihn sehr lukrativ: er bezog, jahrelang reichliche Pensionen aus der königlichen Schatulle und aus den Fonds des Ministeriums des Innern. Beiläufig bemerkt sei, daß er bei seinem Tode ein Vermögen von 5 Millionen Franken hinterließ. Lafargue in seinem Büchlein: La Légende de Victor Hugo " bemerkt bitter, daß Hugo vortrefflich verstanden habe, die Poesie mit dem kaufmännischen Soll und Haben in Einklang zu bringen. Während er einmal mit Begeisterung von den Vereinigten Staaten Europas spreche, huldige er andre Male nicht nur den Monarchen Frankreichs , die er erlebte, sondern auch der Königin Victoria von England, dem Zaren Nikolaus und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

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1848 beeilt er sich, wieder Republikaner zu werden, Republikaner von der guten Sorte. Er nimmt leidenschaftlich Partei gegen das Proletariat und seine Junikämpfer, unter der Devise:" Haß, der Anarchie innige und tiefe Liebe dem Volke", bekämpft in seinem Der 4. September öffnete ihm die Pforten des Vaterlandes Journal" L'Evénement" die Republik , die auch den Arbeitern wieder; er ließ sich in dem belagerten Paris einschließen, um mit Rechte geben wollte, greift Proudhon , Ledru- Rollin und Genossen dem Volfe zu leiden", das ihm auch dafür eine abgöttische auf das heftigste an, weil sie die Armen zur Plünderung und Be­Verehrung widmete. Ein Band Gedichte l'Année terrible" raubung der Reichen aufwiegelten". Er billigt die Maßregeln gegen ( das Jahr des Schreckens) legt Zeugnis ab von Hugos die Presse als nützliches Heilmittel gegen die brandige, kranke Genie und glühender Vaterlandsliebe. Vieles mag dem Freiheit". Durchschnittsdeutschen, namentlich dem national chauvinistischen Philister nicht gefallen, um so weniger, als er ja in demselben Lazarett liegt, Hugos patriotische Ergüsse galten einem unglück lichen Vaterlande, in dessen Wunden er Balsam träufelte, auf daß es genese. Der ehemalige glühende Bonapartist sieht in Sedan die Quittung für den 18. Brumaire Napoleons I.

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Judem er Napoleon für einen Dummkopf, aber für den ges eigneten Mann hielt, die Freiheit und die Republik zu retten", die er meinte, arbeitete er eifrig für dessen Prinz- Präsidentschaft". Der Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 sollte ihn diesen starken Irrtum erkennen lassen. Daß diese Gewaltthat aber die logische Konsequenz der Junischlacht war, ist nicht von der Hand zu weisen, denn in ihr beraubten die Bourgeois- Republikaner die Sache der Republit ihrer besten Streiter.

In einem seiner schönsten Gedichte: Le Satire"( Der Satyr) in der Sammlung: Die Legende des Jahrhunderts" schildert Victor Hugo den Satyr des Olympos, der in tiefem Waldesdickicht am Fuße Darum warteten Hugo und seine Erilsgenossen vergeblich des heiligen Götterberges haust. Eines Tages bricht der bodsbeinige auf eine Erhebung gegen Napoleon . Der Zorn in Victor Hugos Faun, der Gott der Bauern, auf nach den Höhen, wo die Adelsgötter Pamphlet, Napoleon der Kleine" ist gewiß echt, aber fein geringerer der Herrscher- und Kriegerkaste thronen. Homerisches Gelächter erhebt als Karl Marx urteilt darüber: Victor Hugo beschränkt sich auf sich beim Erscheinen der fremdartigen unscheinbaren Gestalt bittere und geistreiche Invektiven gegen den verantwortlichen Heraus­des Naturdämons und Bauerngottes, des Satyrs. Jupiter, geber des Staatsstreichs. Das Ereignis selbst erscheint bei ihm wie der Vater der Götter und Menschen, herrscht ihn an: Man sollte ein Blig aus heitrer Luft. Er merkt nicht, daß er dies Individuum den dreisten Eindringling in Marmelstein verwandeln! Da Du uns groß statt klein macht, indem er ihm eine persönliche Gewalt der Initiative aber zum Lachen gebracht hast, soll Gnade vor Recht ergehen, uzuschreibt, wie sie beispiellos in der Weltgeschichte dastehen würde." sollst uns Dein wildes barbarisches Lied singen!"

Da der Satyr seine Syring, feine Pfeife verloren hat, reicht ihm Merkur seine Flöte.

Und der Satyr singt sein Lied, das Lied von der allstarken Natur, und von allen ihren Wundern, Geheimnissen und Schrecken; und er ist selbst so ganz versunken in den abgrundtiefen Zauber feines eigenen Sangs, daß er ganz und gar vergißt, wo er sich be­findet, und welch' erlauchte. Hörerschaft seinem Sange lauscht.

Und feines Liedes Allgewalt, das die Heiligkeit aller Werke der Natur verkündet, den Baum, das Tier, den Menschen heilig spricht, berklärt den abenteuerlichen Sänger selbst dergestalt, daß Venus, die Göttin der Liebe und Schönheit, ergriffen vor sich hin murmelt: Wie schön er ist!" und Apollo, der Führer der Musen, ihm statt der Flöte Merkurs seine Leier darbietet..

Die profitgierige Großbourgeoisie fand schließlich auch unter Napoleon III. ihre Rechnung, daran änderten auch die zornmutigen politischen Lieder Hugos, die Châtiments"( Büchtigungen) nichts und es mußte 1870 kommen, um den Abenteurer zu stürzen.

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Hugo kehrte nach dem belagerten Paris zurück; zur Zeit der Kommune ihr erbitterter Gegner und nur vorübergehend in einigen Artikeln in der Brüsseler Zeitung Indépendance Belge " ihr Ver­teidiger und in der Dichtung Pitié suprême( höchstes Mitleid) Für­Sprech der Amnestierung der Kommunards, blieb er doch wohl immer, was er sonst gewesen, ein pathetischer Beaumarchais: Er ging lebendig in die Unsterblichkeit ein," sagt Mabilleau; das richtig, denn er war der Ausdruck der Anschauungen und Gefühle der besitzenden und herrschenden Klassen. Es bleibt dem Manne das Verdienst, auf ästhetischem Gebiete mit starker Ellbogenarbeit vollendet zu haben, was Chateaubriand Und der Satyr singt das hohe Lied vom Menschen, auch von begonnen hatte. seiner Entartung und Erniedrigung unter Götterherren und menschlichem, Groteskem und Verfehltem Seine Dichtungen bieten neben Ueberschwäng­gelviß viel Schönes und lichen Tyrannen. aber auch von der Götterdämmerung bon der Erhebung der Sklaventiere durch Kultur und Erkenntnis, bermöge Siceles) auch manche Ergüsse der Sympathie Bartes( Contemplations) und Poesievolles( La Légende des für die Armen deren er seine Herren und Götter enthüllt sieht als das, was sie sind und Unterdrückten: aber wenn man ihn in seiner Jugend mit feine eignen Geschöpfe; die ihm sagen, daß all dies von Alters Her Enthusiasmus gelesen hat und ihn dann später wieder liest, nachdem ehrwürdig und heilig Gesprochene stürzen wird, jählings stürzen man seine Zeit und seine Biographie genauer kennen gelernt hat, wird, so schnell, daß man nicht geit hat bis zwanzig zu zählen". Und mächtig wächst der Satyr vor den Augen seiner göttlichen enthusiastisch und mit einigem Mißtrauen zu betrachten. Das klassen­ist man doch sehr geneigt, solche schöne Stellen" etwas weniger Hörer, riesengroß ragt er empor, während er singt von dem All- bewußte Pariser Proletariat ließ sich bei der pomphaften Beisetung überwinder Geist, der aufrecht stehen bleibt als Sieger, wenn die seiner Leiche im Pantheon am 1. Juni 1885 nicht vertreten; es Götter, zu Gespenstern der Nacht geworden, versinken und die Könige, wußte gewiß, warum es sich so verhielt.

die Priester des Krieges, in nichts versinken werden.

Das Lied schließt mit dem Ausruf des Satyrs:" Platz für das

All! Ich bin der große Pan! Jupiter, auf die Knie!"

Wer, was ist dieser Satyr? Die Natur? Der Menschengeist? Die neue Dichterschule der Romantik? Der Dichter selbst? Die Revolution? Das Volk? Der Socialismus?

Jedenfalls klingt das sehr revolutionär, tann auch so aufgefaßt

*) Ein berüchtigter Raubmörder, unsrem Schinderhannes, dem bayrischen Hiesel und Konsorten entsprechend.

Manfred Wittich.

Kleines Feuilleton.

ie. Witterungswechsel und Temperament. Daß der Gang der Witterung einen Einfluß auf den einzelnen Menschen, auf sein Wohlbefinden und sogar auf seine Handlungen ausübt, war schon den alten Aegyptern bekannt, ganz eingehend aber hat sich Hippo­