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Ich konnte nicht schlafen. Ich fragte mich, wie wohl ein moderner Dichter, einer von der sogenannten symbolistischen Schule, diese wirre, nervöse Erschütterung geschildert hätte, von der ich eben ergriffen worden war, und die mir mit klaren Worten auszudrücken unmöglich war.

Sicher! Einer jener eifrigen Verkünder der vielgestaltigen fünft­lerischen Empfindsamkeit hätte diese Aufgabe gelöst und in tönenden Bersen, mit Künstlerischer Absicht abgestimmt, unverständlich und doch wahrnehmbar diese Mischung zu schildern verstanden von duftenden Tönen, von sternenerhelltem Nebel und vom Seewind, der Musik durch die Nacht trägt.

Ein Sonett des großen Meisters Baudelaire ging mir durch den Ropf:

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Es find lebend'ge Pfeiler aufgebaut, Von denen mancher fremde Worte spricht. Der Mensch sieht alle die Symbole nicht, Die ihn betrachten freundlich und vertraut. Und es hört sie feins! In einer tiefen, finstern Ewigkeit Verschmelzen fie. Sie sind wie Nacht so weit! Und Düfte, Töne, Farben alles eins!

Wie Echos sind sie.

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So frisch ist manch ein Duft wie Kinderleiber, Süß wie Hoboen, grün wie junge Wiesen, Und andre Düfte sind wie üpp'ge Weiber.

Wie Ambra und Muskat, wie Götterminne, Und wie der Dinge All- Unendlichkeit,

Die Sehnsucht fingen und den Rausch der Sinne. Fühlte ich nicht bis ins Mark hinein diesen geheimnisvollen Vers:

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Und Düfte, Töne, Farben alles eins!" Und nicht nur in der Natur gehen sie ineinander über, sondern auch in uns,- wo fie manchmal verschmelzen in einer tiefen, finstern Einigkeit," wie der Dichter sagt, im Rückschlag eines Organs auf das andre.

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Diese Erscheinung ist übrigens auch medizinisch festgestellt. Man hat eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die man mit den Worten das Farbengehör" bezeichnet hat.

Es ist feststehende Thatsache, daß, wenn bei sehr nervösen oder fehr erregten Bersonen ein Sinnesorgan einen Schlag bekommt, der es zu stark bewegt, die Erschütterung dieses Eindrucks wie eine Woge die benachbarten Sinne beeinflußt, die sie in ihre Art des Fühlens übertragen. Daher erzeugt die Mufit bei manchen Wesen Farbenvisionen. Es ist also eine Art von Uebertragung der Ein­pfindsamkeit, umgestaltet je nach der normalen Funktion des davon betroffenen Gehirnteiles.

Man kann hierdurch das berühmte Sonett von Arthure Rim­band erklären, das von den Färbungen der Vokale spricht, ein wahres Glaubensbekenntnis der symbolistischen Schule.

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A schwarz, weiß. I rot, O blau, Vokale, Ach, wüßt ich Eures Ursprungs dunkle Kunde. A, schwarzes Kleid, auf dessen Sammetgrunde Goldfliegen schwärmen wie zum Festesmahle!

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Reinheit du der Zelte und der Dämpfe, Der stolzen Gletscher und der Fischernachen. I. Rotes Blut, und schöner Lippen Lachen, Und wilder Zorn und wüste Seelenkämpfe.

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u, grüner Meere Bittern, stille Firnen, G Viehherden voller Frieden, und die Runen, Der Wissenschaft auf den Gelehrtenstirnen.

O, Tubastoß voll feltfam fremder Wonne, Das Schweigen aller Himmel und der Welten. Du Omega, du violette Somme.

Hat er Recht oder Unrecht?

Für den Steinklopfer am Wege, aber auch für viele unsrer großen Männer ist dieser Dichter ein Toller oder ein Lügner. Für andre hat er damit eine große Wahrheit entdeckt und ausgesprochen, obwohl diese Erklärer unfaßbarer Wahrnehmungen immer ein wenig verschiedener Meinung sein müssen über die Nüancen und die Bilder, die die geheimnisvollen Schwingungen der Vokale oder eines Orchesters in uns auslösen können.

Wenn die Wissenschaft der Neuzeit festgestellt hat, daß die Töne der Mufik bei manchen Organismen Farbenerscheinungen hervor rufen, wenn sol rot sein famn, fa lila oder grün, warum sollten denn dieselben Töne nicht auch Genüsse im Munde und Gerüche in der Nase erzeugen können? Warum sollen die zartbesaiteten Hysterischen nicht mit all' ihren Simmen zu gleicher Zeit fühlen fönnen? Und warum sollten die Symbolisten, diese Senjiblen, den Wesen ihrer Raffe nicht wunderbarste Empfindungen entschleiern tönnen? Das ist mehr eine Frage künstlerischer Krankheits­erscheinungen als wirklicher Aesthetit,

Wäre es nicht wirklich möglich, daß einige dieser interessanten Schriftsteller, die sich auf Nervenkrankheit trainiert haben, zu einem solchen Grad von Erregbarkeit gekommen sind, daß jeder empfangene Eindruck in ihnen ein Konzert aller Wahrnehmungskräfte hervor­bringt?

Gerade das bemüht sich ja ihre seltsame Poesie der Töne aus­audrücken; anscheinend unverständlich, versucht fie, die ganze Stala

der Empfindungen zu befingen und mehr durch die Zusammens stellung der Worte, als durch ihre allgemeingültige Bedeutung, ge­ihnen heimnisvolle Stimmung zu erwecken, deren Sinn uns dunkel aber klar ist.

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Denn die Künstler sind am Ende ihrer Mittel. Nichts Un­bekanntes mehr, keine neuen Gemütserschütterungen, feine neuen Bilder, nichts! Man hat seit dem Altertum alle Blüten ihres Feldes gepflückt. Und jetzt in ihrer Ohnmacht fühlen sie unklar, daß es für den Menschen vielleicht noch eine Erweiterung des Seelenlebens geben könnte.

Aber der Verstand hat fünf Barrieren, die halbgeöffnet und mit einem Vorlegeschloß versehen sind. Man nennt sie die fünf Sinne. Und diese fünf Barrieren sind es, an denen die Männer, die zur neuen Kunst schwören, heute mit aller Kraft rütteln.

Der Verstand, der blinde, eifrige Arbeiter, kann nichts wissen, nichts verstehen, nichts andres entdecken als durch die Sinne; sind sie doch die einzigen Vermittler zwischen der ewigen Natur und ihm. Arbeitet der Verstand doch nur nach den Eindrücken, die sie ihm liefern, die sie je nach ihren Eigenschaften, je nach dem Grade ihrer Empfindsamfeit, ihrer Stärke und ihrer Feinheit zu erfassen im stande sind.

Der Wert des Gedankens hängt augenscheinlich von dem Wert der Organe ab, die ihn erzeugten, und seine Tragkraft ist durch ihre Anzahl begrenzt.

Taine hat übrigens diesen Gedanken ganz schulmeisterlich be­handelt und entwickelt.

Es giebt fünf Sinne, mir fünf. Sie enthüllen uns durch ihr Aufnahmevermögen einige Eigenschaften der Materie, die uns um giebt und die eine begrenzte Zahl andrer Erscheinungen enthalten kann, nein, enthalten muß die w nicht zu bemerken im stande find.

Wenn der Mensch ohne Ohren geschaffen wäre, so würde er uns gefähr ebenso leben wie jezt; aber das Weltall würde stumm für ihn sein. Er würde keine Idee von Geräusch und Musik haben, die um­gestaltete Schwingung ist!

Aber wenn wir mit andren, mit mächtigeren und doch zarteren Organen begabt wären, die die Handlungen und Eigenschaften des Unerforschten, das uns umgiebt, in Nervenempfindungen umfezen tönnten, wie viel unbegrenzter wäre der Bezirk unseres Wissens und unserer Gefühle!

In diese unerforschliche Sphäre fucht jeder Künstler einzubringen, um diesen Preis martert, vergewaltigt und erschöpft er sein Gehirn= system.

Alle jene, die unterlegen sind: Heine, Baudelaire , Balzac , Byron, der Jrrfahrer, der den Tod fuchte aus unheilbarem Schmerz über das Los, ein großer Dichter zu sein, Muffet, Jules de Goncourt und so viele andre, sind sie nicht alle zu Grunde ges gangen in dem Bemühen, jene Schranke niederzureißen, die den Geist des Menschen einterfert?!

Ja! Unfre Organe sind die Ernährer und die Lehrer der fünstlerischen Begabung.

Das Ohr ist das, das den Musiker erweckt; das Auge, das den Maler werden läßt. Und alle Sinne einen fich wetteifernd in den Ekstasen des Dichters. Beim Romancier ist die Anschauung das wichtigste. Sie ist so bestimmend, daß es leicht ist, nach der Lektüre jedes forgfältig gearbeiteten und echten Romans auf die physischen Sehfähigkeiten des Autors zu schließen.

An der Art, wie das Detail behandelt ist, wie viel oder wie wenig Wichtigkeit ihm beigelegt wird, wie weit ihm Einfluß auf den Gesamtplan zugestanden wird, kann man die verschiedensten Spiel arten der Kurzsichtigkeit erkennen.

Die gleichmäßige Betrachtung aller Dinge; dies Messen aller Linien und Perspektiven mit dem gleichen Maß, statt minutiöjer Schilderung, selbst das Bergeffen geringfügiger Einzelheiten, die doch fo oft für eine Person oder für ein Milien charakteristisch find, verrät das alles nicht den überschauenden und doch schwachen Blid eines Weitsichtigen?-

Kleines Feuilleton.

k. ,, El Dorada". Zu dem Aufsehen machenden Projekt eines Versuches, die reichen Schätze von Gold, und fostbaren Steinen zu erlangen, die auf dem Boden eines Sees in Kolumbien lagern sollen, wird aus London folgendes Nähere berichtet: Vor 9 Jahren befanden sich auf der Weltausstellung in Chicago goldene Schmud sachen und Haushaltungsgeräte im Werte von 140 000 m., die aus diesem See gewonnen waren, und Photographien von andern im Werte von 280,000 m., die sich jetzt im Besiz der spanischen Krone befinden. Ueber das Vorhandensein des Sees und seiner Schätze Werden aber die englischen kann also tein Zweifel bestehen. Parlamentsmitglieder, die, wie berichtet wird, an dem neuen Unternehmen beteiligt find, mehr Glück haben als die Abenteurer, die bisher die Hebung des Schayes versucht haben? Lieutenant Lemly, der die kolumbische Ausstellung auf der Weltausstellung be­eines Londoner Blattes aufsichtigte, erzählte dem Mitarbeiter folgendes von dem seltsamen See und seinem Inhalt: An den Ufern des Sees, aus dem diese goldenen Reliquien stammen, liegt jene weitberühmte Stadt, auf deren Suche Abenteurer aus allen europäischen Ländern zu verschiedenen Zeiten ihr Leben gelassen haben, eine Stadt, in der die Indianer Gold statt Eisen gebrauchten,