Unterhaltungsblatt des Vorwärts

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Mittwoch, den 5. März.

( Nachdruck verboten.)

Foma Gordjejew.

Roman von Marim Gorti. Deutsch von Klara Brauner ,, Ah!" rief das Männchen aus, sprang vom Sessel auf und eilte zum breiten Wachstuchdiwan, auf dem Foma lag. Guten Tag, Kamerad! Selters? Das geht! Mit Cognac oder nur so?"

"

,, Lieber mit Cognac" sagte Foma, drückte die trockene, heiße Hand, die sich ihm entgegenstreckte, und blickte dem Männchen fest ins Gesicht.

Jegorowna!" schrie dieser zur indem er sich zu Joma wandte: Foma Ignatjitsch?"

Thür hinaus und fragte, Erkennst Du mich nicht, " Ich erinnere mich, daß ich Dir irgendwo begegnet bin.", sagte Foma.. Diese Begegnung dauerte vier Jahre... es ist aber lange her! Ich bin Jeschow  ..."

Gott  !" rief Foma erstaunt aus und richtete sich auf dem Diwan auf. Du bist es?"

"

" Ja, Bruder, ich selbst glaube manchmal nicht daran, doch eine greifbare Thatsache ist etwas, wovon der Zweifel wie ein Gummiball vom Eisen zurückprallt."

Jeschows Gesicht verzerrte sich komisch, und seine Hände begannen plötzlich die Brust zu befühlen.

So etwas!" sagte Foma gedehnt. Bist Du aber gealtert! Wie alt bist Du denn?"

"

Dreißig Jahre..."

Man könnte glauben, daß es fünfzig wären... Du bist dürr und gelb. Dein Leben ist wohl nicht füß? Und Du trinkst auch

Foma that es leid, den lustigen, aufgeweckten Schul­fameraden so abgelebt und in diesem Loch zu sehen, das wie von Brandwunden verschwollen aussah. Er blickte ihn an, blinzelte traurig und fah, daß Jeschows Gesicht immer zuckte und daß seine Augen gereizt flammten. Jeschow   begann eine Flasche mit Selters zu entforken, schwieg, während er damit beschäftigt war, preßte die Flasche zwischen den Knien zusammen und strengte sich vergebens an, den Propfen herauszuziehen. Auch seine Kraftlosigkeit rührte Foma.

" Ja- a, das Leben hat Dich abgenagt. Und Du hast ja studiert. Auch die Wissenschaft scheint dem Menschen wenig zu helfen," sagte Gordjejew sinnend.

Trink!" sagte Jeschow  , der vor Müdigkeit ganz blaß war und ihm das Glas reichte. Dann rieb er sich die Stirn, setzte sich zu Foma auf den Diwan und sagte:

..

1902

der Reihe nach. Dann werde ich einen Roman schreiben, Bruder."

Man hat mir gesagt, daß Du auch so schon etwas über mich geschrieben haft?" fragte Foma neugierig und blickte den alten Kameraden nochmals aufmerksam an, ohne zu begreifen, was er, der so armselig aussah, schreiben konnte. Ja, ich habe über Dich geschrieben! Hast Du's" ge

lesen?"

,, Nein, ich habe keine Gelegenheit gehabt."

"

Was hat man Dir denn gesagt?"

,, Daß Du mich tüchtig beschimpft hast."

" Hm! Und interessiert es Dich nicht, es selbst zu lesen?" fragte Jeschow  , indem er Foma unablässig beob­achtete.

Ich werde es lesen," sagte Foma ermutigend, da es ihm schien, daß Jeschow   durch ein solches Verhalten seinen Schrei­bereien gegenüber verletzt sei. Es ist auch wirklich interessant, wenn Du über mich geschrieben hast," fügte er hinzu und lächelte den Kameraden gutmütig an.

Doch als er das sagte, empfand er gar kein Interesse und sprach nur aus Mitleid mit Jeschow   so. Er war jetzt von etwas anderm in Anspruch genommen: er wollte wissen, was für ein Mensch Jeschow   war, und warum er so ab­geschunden aussah.

Diese Begegnung rief in ihm ein stilles, gutes Gefühl hervor, das sich an die Kindheitserinnerungen knüpfte; diese Erinnerungen flimmerten jetzt durch sein Gedächtnis, wie kleine, bescheidene Lichter, die ihm aus der Ferne der Ver­gessenheit scheu leuchteten.

Jeschow   trat zum Tisch, auf dem schon der kochende Samowar stand, schenkte schweigend zwei Gläser voll Thee  ein, der dunkel wie Teer war, und sagte zu Foma:

Trink Thee und erzähl mir von Dir."

" Ich habe nichts zu erzählen... ich habe nichts vom Leben gesehen... mein Leben ist leer! Erzähle mir lieber von Dir. Du wirst jedenfalls mehr wissen als ich."

Jeschow   wurde nachdenklich, hörte aber dabei nicht auf, den ganzen Körper und den Kopf hin und her zu wenden. Beim Denken blieb nur sein Gesicht unbeweglich, alle Runzeln darauf sammelten sich um seine Augen und um­ringten sie wie mit Strahlen, so daß die Augen tiefer zu liegen schienen.

" Ja, Bruder, ich habe mancherlei gesehen und weiß vieles," begann er und schüttelte den Kopf. Ich weiß viel­leicht mehr, als ich wissen sollte, und mehr wissen als not­wendig ist, schadet dem Menschen ebenso sehr, wie das Nicht­wissen dessen, was notwendig ist. Soll ich Dir erzählen, wie ich gelebt habe? Das kann ich, das heißt, ich will es ver­suchen. Ich habe nie jemand von mir erzählt denn ich habe niemand Interesse eingeflößt. Es ist zu kränkend, auf der Welt zu leben, wenn man in den Menschen kein Interesse hervorruft!"

Laß die Wissenschaft in Ruh'! Die Wissenschaft ist ein göttliches Getränk. aber vorläufig ist es noch nicht aus gegärt und für den Gebrauch nicht reif, wie der Branntwein, der vom Fusel noch nicht gereinigt ist, die Wissenschaft ist noch nicht reif, glücklich zu machen und die Menschen, Ich sehe schon an Deinem Gesicht und an allem, daß die davon kosten, bekommen nur Kopfweh, wie wir beide. es Dir nicht gut gegangen ist," sagte Foma, und der Um­Warum trinkst Du denn so unvorsichtig?" stand, daß, wie es sich zeigte, auch das Leben des Kameraden Ich? Was soll ich sonst thun?" fragte Foma nicht allzu rosig war, rief in ihm ein angenehmes Gefühl lächelnd. hervor. Jeschow   blickte Foma mit forschenden Augen an und sagte: Wenn ich Deine Frage mit dem, was Du gestern abend geschwatzt hast, in Verbindung bringe, fühle ich mit meiner leidenden Seele, daß Du, Freund, Dich auch nicht vor allzu großer Freude amüsierst."

Ach," seufzte Foma schwer und erhob sich vom Diwan. Was führe ich für ein Leben? Es ist etwas ganz Sinn­Toses... Ich lebe allein... verstehe nichts... und will doch etwas... ich möchte am liebsten alles anspucken und irgendwohin versiniken! Könnte ich fliehen... Mir ist so bange!"

Jeschow   trank seinen Thee auf einen Zug aus, stellte das Glas auf die Untertasse, stemmte seine Füße gegen den Rand des Sessels, umfaße die Knie mit den Händen und stützte sein Sinn darauf. In dieser Pose, in der er klein und biegsam wie Gummi erschien, beganu er:

,, Der Student Satschkow, mein früherer Lehrer, der jetzt Doktor der Medizin und dabei ein Kartenspieler und ein gemeiner Kert ist, pflegte zu sagen, wenn ich meine Aufgaben gut wußte: Kolja ist ein Hauptker!! Du bist ein begabter Knabe. Wir Proletarier müssen auf den Hinter­treppen des Lebens lernen, und wir lernen, um alle andern zu überholen. Rußland   braucht fluge, ehrliche Menschen; Das ist interessant," sagte Jeschow  , rieb sich die Hände bestrebe Dich, so zu werden, dann wirst Du der Herr über und drehte sich nach allen Seiten hin. Das ist interessant, Dein Schicksal und ein müßliches Mitglied der Gesellschaft wenn es wahr und tief ist, denn es beweist, daß der heilige sein. Auf uns Proletariern ruhen jetzt die besten Hoffnungen Geist der Unzufriedenheit mit dem Leben schon in die Schlaf- des Landes, wir sind dazu berufen, Licht und Wahr­zimmer der Kaufleute gedrungen ist, in die Totenkammern heit hineinzutragen und so weiter. Ich glaubte

"

der Seelen, die in den fetten Schtschi, in Seen von Thee diesem Rindvieh. Und seit der Zeit sind etwa zwanzig und andren Flüssigkeiten ertrunken sind. Erzähte mir alles Jahre vergangen wir Proletarier sind groß geworden;