Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 50.

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Mittwoch den 12 März.

( Nachdruck verboten.)

Toma Gordjejew.

1902

" Zum Beispiel Foma..." sprach das Mädchen weiter. " So?" rief Majakin aus. Nun, ihr seid junge Leute, ihr müßt ja alles besser wissen."

,, Nehmen Sie an keinerlei Vereinen teil?" fragte Smolin Roman von Maxim Gorki  . Deutsch von Klara Branner Ljuba. Es giebt hier ja eine Menge verschiedener Vereine." Hm," sagte der Alte, während er mit dem einen Auge" Ja," sagte Ljuba seufzend, ich lebe aber ganz zurück­

den Gast anblickte und mit dem zweiten die Tochter gezogen. beobachtete. ,, Es ist also jekt Deine Absicht, eine so ungeheure Fabrik zu bauen, daß alle andern zu Grunde gehen?"

"

O nein!" rief Smolin aus und machte bei den Worten des Alten eine abwehrende Handbewegung. Warum sollte ich die andern übervorteilen? Welches Recht habe ich darauf? Mein Ziel ist, die Bedeutung und den Wert des russischen Leders im Auslande zu erhöhen, und jetzt baue ich, mit der Kenntnis der Produktion bewaffnet, eine moderne Fabrik und fülle den Markt mit mustergültiger Ware. Die Ehre des Handels..."

,, Wieviel Kapital, sagst Du, wird man dazu brauchen?" fragte Majatin nachdenklich.

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Etwa dreihunderttausend Rubel."

,, So viel Mitgift wird mir der Vater nicht geben," dachte Ljuba.

Meine Fabrik wird auch bearbeitetes Leder in den Handel bringen, in der Form von Koffern, Schuhen, Pferde­geschirr, Riemen und so weiter."

,, Und auf wieviel Prozent hoffst Du?"

"

Das macht die Wirtschaft," fügte ihr Vater hinzu. Wir haben hier eine Menge Kram... das alles muß vollzählig, rein und in Ordnung erhalten werden."

Er wies selbstgefällig mit dem Kopf auf den Tisch, der mit funkelndem Stryftall und Silber bedeckt war, und auf den Glasschrank hin, dessen Bretter unter der Laft der Gegen­stände zu brechen schienen und an eine Ausstellung im Fenster eines Ladens erinnerten. Smolin sah sich das alles an, und auf seinen Lippen erschien ein ironisches Lächeln. Dann blickte er Ljuba ins Gesicht; sie fing in diesem Blick etwas Freundschaftliches, Mitfühlendes auf. Eine leichte Röte bedeckte ihre Wangen, und sie sagte mit schüchterner Freude zu sich:

,, Gott   sei Dank!"

Das Licht der schweren Bronzelampe schien in den ge­schliffenen Stryftallvasen aufzuflammen, und das Zimmer sah heller aus.

,, Und mir gefällt unfre liebe alte Stadt," sagte Smolin, indem er das Mädchen freundlich lächelnd anblickte, sie ist so schön und lebendig.. es ist etwas Frisches darin, das Ich hoffe nicht, ich berechne alles mit der Genauigkeit, zur Arbeit aufmuntert schon das Malerische an ihr wirkt die bei unsern russischen Verhältnissen nur möglich ist," sagte anregend. Man will darin intensiv leben... man hat Lust, Smolin mit Nachdruck. Der Produzent muß ebenso streng viel und ernst zu arbeiten. Und außerdem ist es eine nüchtern sein, wie ein Mechaniker, der eine Maschine baut. intelligente Stadt. Sehen Sie, was für eine fachliche Man muß die Reibung jeder winzigen Schraube in Betracht Zeitung hier herausgegeben wird ,... apropos, wir wollen ziehen, wenn man eine ernste Sache ernst vollenden will. Ich sie kaufen." fann Ihnen eine von mir verfaßte Notiz zu lesen geben, die Wer denn?" fragte Majakin. auf meinem persönlichen Studium der Viehzucht und des Fleischkonsums in Rußland   begründet ist."

" So was!" sagte Majakin lächelnd. Bringe mir die Notiz, das ist interessant! Man sieht, Du hast Deine Zeit im westlichen Europa  " nicht vergendet. Und jetzt wollen wir nach russischem Brauche etwas essen."

Wie geht es Ihnen, Ljubowi Jakowleina?" fragte Smolin, indem er Messer und Gabel zur Hand nahm.

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Sie hat es langweilig bei mir", antwortete Majakin an ihrer Statt. Sie ist meine Haushälterin, die ganze Wirtschaft liegt auf ihren Schultern, sie hat also keine Zeit, sich zu amüsieren."

" Ich muß auch hinzufügen, daß ich keine Gelegenheit dazu habe," sagte Ljuba. Ich liebe die kaufmännischen Bälle und Abende nicht."

" ch, Urwanjew und Schtschukin  ."

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Das ist lobenswert," sagte der Alte und schlug mit der Hand auf den Tisch. Das ist was Rechtes. Es ist Zeit, daß man ihnen den Mund verstopft es ist höchste Zeit! Besonders dem Jeschow  , der drin ist... der ist wie eine scharfe Säge. Dem solltet ihr einmal zu Leibe gehen, aber tüchtig!"

Smolin warf Ljuba wieder einen lächelnden Blick zu, und ihr Herz erbebfe freudig. Mit heller Röte im Gesicht, sagte sie zu dem Vater, indem sie sich innerlich an Smolin wandte:

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Soweit ich Afrikan Dmitrijewitsch verstanden habe, glaube ich, daß er die Zeitung gar nicht deswegen kauft, um ihr den Mund zu verstopfen... wie Sie meinen. ,, Was soll man denn sonst damit machen?" fragte der ,, Und das Theater?" fragte Smolin. Alte und zuckte die Achseln. Es kommt dabei nichts als " Ich gehe auch dorthin felten, ich habe keine Ge- leeres Geschwätz und Zwietracht heraus. Natürlich, wenn sellschaft." ein tüchtiges Volf, wenn die Kaufleute selbst darin schreiben

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Das Theater!" rief der Alte aus. Da soll nur einer werden sagen, woher diese Mode entstanden ist, den Kaufmann als Die Herausgabe einer Zeitung," begann Smolin be­einen wilden Dummkopf darzustellen? Das ist sehr komisch, lehrend, indem er den Alten unterbrach, fann, selbst wenn aber unverständlich, denn es ist nicht wahr. Was bin ich man sie nur vom kommerziellen Standpunkt aus betrachtet, für ein Dummkopf, wenn ich im Stadtrat ebenso wie im ein sehr vorteilhaftes Unternehmen sein. Aber außerdem hat Handel der Herr bin und auch das Theater mir gehört? eine Zeitung einen andren, wichtigeren Zweck: die Ver­Wenn man im Theaterstück einen Kaufmann sieht, fühlt man, teidigung der Rechte des Einzelnen und der Interessen der daß er dem Leben nicht entspricht! Natürlich, wenn man Industrie und des Handels." etwas Historisches darstellt, zum Beispiel: Das Leben für den Zaren", mit Gesang und Tanz, oder:" Hamlet  "." Die Zauberin" und" Wassilissa", da ist die Wahrheit nicht not­wendig, denn das alles ist vergangen und geht uns nichts an. Es ist gleich, ob das wahr oder unwahr ist, wenn es nur gefällt. Wenn man aber die Gegenwart darstellt, darf man sich nichts ausdenken! Dann muß man den Menschen so zeigen wie er ist."

Smolin hörte die Worte des Alten mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen an und warf Ljuba Blicke zu, als fordere er sie auf, dem Vater etwas zu entgegnen. Sie sagte ein wenig verlegen:

Und doch ist der kaufmännische Stand ungebildet und wild, Vater."

" Ja," sagte Smolin bedauernd, indem er mit dem Kopf nickte, das ist eine traurige Wahrheit."

" Ich sage ja auch, daß die Zeitung gut sein wird, wenn die Kaufleute sie selbst leiten."

Erlauben Sie, Vater," sagte Ljuba. Sie begann das Bedürfnis zu fühlen, sich vor Smolin auszusprechen; sie wollte ihn davon überzeugen, daß sie die Bedeutung seiner Worte verstand, und daß sie keine gewöhnliche Kaufmanns­tochter sei, die sich nur für Kleider und Bälle interessirt. Smolin gefiel ihr. Sie sah zum erstenmal einen Kaufmann, der lange im Ausland gelebt hatte und der so überzeugend sprach, sich so anständig benahm, so hübsch gekleidet war, und mit ihrem Vater, dem flügsten Kopf in der Stadt, im herablassenden Ton eines Erwachsenen einem Kinde gegenüber sprach.

Nach der Hochzeit werde ich ihn bitten, mich ins Ausland mitzunehmen," fiel es ihr plöglich ein; dieser Gedanke machte fie verlegen, und sie vergaß, was sie zu ihrem Vater hatte sagen wollen. Sic errötete tief und schwieg ein paar Sekunden,