Mnterhaltungsblatt des Worwärts Sir. 55. Mittwoch, den 19� Marz. 1902 (Nachdniik i!«:botm.> bs, Fonra Govdiejen?. Rcman ron Maxim Gorli. Deutsch von Klara Brannel „Euer Gnaden 1' ertönte dicht an Fomas Ohr etn heiserer Ausruf.„Spenden Sie etwas für den Bau eines Heiligen- schreines l" Foma blickte den Bittenden gleichgültig an: das war ein reckenhafter, bärtiger, barfüßiger Kerl in einem zerlumpten Hemd und mit einem zerschlagenen, verschwollenen Gesicht. „Mach, daß Du weiter kommst!" brummte Foma und wandte sich von ihm ab. „Du, Kaufmann! Wenn Du stirbst, wirst Du das Geld ja nicht mitnehmen, gieb' mir etwas zu einem Schnaps I Oder bist Du zu faul, die Hand in die Tasche zu stecken?" Iowa blickte ihn wieder an: er stand vor ihm, mehr durch den Schmutz als durch die Kleider bedeckt, zitterte vor Betrunkenheit und wartete beharrlich, indem er mit seinen blutunterlaufenen, verschwollenen Augen Foma inS Gesicht sah. „Bittet man denn so?" sagte ihm Foma. „Was— soll ich eines Zehnkopekenstücks wegen vor Dir hinknieen?" fragte der Barfüßler keck. „Da!" und Foma steckte ihm eine Münze in die Hand. „Danke!... Fünfzehn Kopeken... danke I Wenn Du mir noch einmal so viel giebst, werde ich bis zu der Schenke dort auf allen Vieren hinkriechen— willst Du?" schlug der Barfüßler vor. „Geh nur I" sagte Foma und wehrte ihm mit der Hand ab. „Ich habe Dir eine Ehre anthun wollen; wenn Du nicht willst, ist es nicht mein Nachteil," sagte der Barfüßler und trat zur Seite. Foma blickte ihm nach und dachte:„Das ist ja ein ver- lorener Mensch. und wie mutig er ist... Er bittet um ein Almosen, wie man eine Schuld zurückfordert. Woher haben diese Menschen so viel Mut?" Er seufzte tief auf und antwortete sich selbst: „Von der Freiheit... Sie sind durch nichts ge- bunden... was hat man da zu verlieren, was hat man zu fürchten? Und wofür fürchte ich mich? Was habe ich zu verlieren?" Diese beiden Fragen schienen Foma einen Stoß ins Herz zu versetzen und riefen in ihm ein stumpfes Nichtbegreifen hervor. Er sah die arbeitenden Menschen an und dachte un- ausgesetzt daran, was er zu verlieren hatte und wofür er sich fürchtete... „Ich werde wohl allein, durch meine eigne Kraft, keinen Ausweg finden... ich werde mich, wie bisher, als ein Dummkopf unter den Menschen herumtreiben, und alle werden mich verspotten und übervorteilen... Wenn sie mich doch fortstoßen... und hassen würden... dann, dann~ würde ich in die weite Welt hinausgehen... Ob ich da wollte oder nicht, ich müßte gehen!" Von einer Landungsstelle drang schon längst ein lustiges Lied durch die Luft. Die Lastträger waren mit einer Arbeit beschäftigt, die rasche Bewegungen erforderte und paßten diesen die Strophen und den Resrain an. „In der Schenke sitzt ein Kaiifmann Und lrinlt sich mit feinem Schnaps an"— erzählte der Vorsänger in lustigem Recitativ. Die Arbeiter fielen alle auf einmal ein. Und die Bässe schleuderten harte Tone in die Luft, während die Tenorstimmen sekundierten. Foma lauschte dem Liede und ging zur Landnngsstelle. Dort sah er. daß die Lastträger zwei Linien bildeten und aus dem Schiffsraum ungeheure Fässer niit Salzfischen auf Stricken herausrollten. Schmutzig, in roten Hemden mit offenen Kragen, mit.Fausthandschuhen an den Händen und mit bis zum Ellbogen entblößten Armen standen sie über dem Schiffsraum und zogen lustig scherzend, mit von der Arbeit belebten Gesichtern, nach dem Takte des Liedes, an den Stricken. Aus dem Schiffsraum drang die hohe, lachende Stimme des unsichtbaren Vorsängers: ,U»d die arme» Bauernmagen Können sich mit Fusel plagen..." Und die Arbeiter fielen laut und einig wie eine einzige große Brust ein. Foma sah dieser Arbeit, die rhythmisch wie Musik war, voll Freude und Neid zu. Die gebräunten Gesichter der Last- träger wurden durch ein Lächeln erhellt, die Arbeit war leicht und ging schnell vorwärts, und der Vorsänger hatte seinen guten Tag. Foma dachte, es wäre schön, mit guten Kameraden bei einem lustigen Lied tüchtig zu arbeiten, von der Arbeit müde zu werden, ein Glas Schnaps zu trinken und fetten Schtschi zu essen, die die dralle, lustige Wirtin der Arbeitergenossenschaft zubereitet hätte. „Flink. Kinder, flink I" ertönte neben ihm eine unangenehm heisere Stimme. Foma wandte sich um. Ein dicker Mensch mit einem ungeheuren Bauch klopfte mit dem Stock auf die Bretter der Landungsbrücke, blickte die Auslader mit seinem kleinen Augen an und sagte: „Schwatzt nicht so viel und arbeitet rascher.. Sein Gesicht und sein Hals trieften vor Schlveiß, er wischte ihn sich mit der linken Hand ab und atmete so schwer. als gehe er bergauf. Foma blickte diesen Menschen feindselig an und dachte: „Jene arbeiten und er schlvitzt... Und ich bin noch schlechter... ich bin wie eine Krähe auf einem Zaun... Ganz unnütz." Aus jedem Eindruck löste sich bei Foma sogleich der stechende Gedanke an seine Lebensunsähigkeit aus. Alles. worauf er seine Aufmerksamkeit richtete, hatte für ihn etlvas Kränkendes, das sich ihm wie ein Stein auf die Brust legte. Neben ihm. bei der Warenwage, standen zwei Matrosen, und der eine von ihnen, ein fester Bursche mit einem roten Gesicht, erzählte seinem Kameraden: „Wie sie über mich hergefallen sind, da ist's losgegangen! Es waren ihrer vier, und ich war allein I Ich Hab' aber nicht nachgegeben... denn ich wußte, sie würden mich dann totprügcln! Auch ein Hanimel schlägt ja aus. wenn man ihm bei lebendigem Leibe das Fell abzieht... Wie ich mich a uf einmal losgerissen habe I Da sind sie nach allen Himmelsrichtungen hingerollt." „Du hast aber doch etwaL abbekommen?" erkundigte sich der zweite Matrose. „Ja gewiß! Ich Hab' schon was zu kosten gekriegt... ich Hab' so fünf Schläge einstecken müssen... Was thut das aber? Sie haben mich nicht totgeschlagen, und ich danke Gott dajür!" „Da hast Du recht." „Man sagt Euch ja. zum unteren Ende. Ihr Teufel I* brüllte der schweißtriefende Mann mit wilder Stimme zwei Lader an, die ein Faß mit Fischen über das Deck rollten. „Was schreist Du?" wandte sich Foma streng an ihn. der bei seinem Zuruf zusammengezuckt war. „Was geht das Sie an?" fragte dieser mit einem Blick auf Foma. „Das will ich Ihnen sagen... Die Menschen arbeiten. und bei Dir schwitzt das Fett... und da glaubst Du. daß Du sie anschreien niußt?" sprach Foma drohend und rückt? zu ihm hin. „Sie... mäßigen Sie sich..." Der Schweißtriefende riß sich auf einmal vom Platz los und ging ins Comptoir. Fonra blickte ihm nach und ging auch fort, von dem Wunsch erfüllt, über jemand zu schimpfen, irgend etwas zu thun, um seine Gedanken nur für kurze Zeit von sich abzuwenden. Doch sie ließen ihm keine Ruhe: „Der Matrose hat sich losgerissen und ist ganz geblieben!. ... Ja— a... und ich.." Am Abend ging er wieder zu Majakins. Der Alte war nicht zu Hause, und im Speisezimmer saßen Ljuba und ihr Bruder beim Thee. Als Foma zur Thüre schritt, hörte er die heisere Stimme von Taraß. „Was zwingt denn den Vater dazu, sich mit ihm ab» zugeben?" Als er Foma sah. schwieg er und richtete seinen crnstettz
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19 (19.3.1902) 55
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